Vor wenigen Monaten konnte sich die Patientin kaum bewegen – jetzt kann sie ein fast normales Leben führen. Welche neue Therapie die Symptome ihrer systemischen Sklerose so drastisch lindern konnte, lest ihr hier.
Es ist ein durchaus spektakulärer Fall: Nach einem mehrwöchigen Behandlungszyklus mit einem immuntherapeutischen Krebsmedikament hat ein Team von Forschern unter Leitung der Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie sowie der Medizinischen Klinik und Poliklinik III des LMU Klinikums eine junge Patientin mit systemischer Sklerose von ihren schweren Symptomen befreit. Die Frau war zuvor nicht einmal in der Lage, ein Hemd anzuziehen. „Wir sollten nicht behaupten, dass sie geheilt ist“, sagt Prof. Hendrik Schulze-Koops, Leiter der Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie an der Medizinischen Klinik IV. „Aber ihr Zustand hat sich drastisch gebessert.“ Es ist der weltweit erste Fall einer solchen Behandlung, jetzt veröffentlicht im European Journal of Cancer.
Die systemische Sklerose ist eine seltene, aber potenziell tödliche Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem der Patienten greift in einem von dauerhaften Entzündungen begleiteten Prozess körpereigene Gewebe an. In diesem Falle vor allem die gesamte Haut: Sie vernarbt und verhärtet. „Es ist, als ob der Körper eingemauert wird“, sagt Schulze-Koops.
Ende Dezember 2023 hatte die Steifheit der 35-jährigen Patientin am Hals, im oberen Brustbereich, an den Armen und den Beinen so zugenommen, dass sie sich kaum bewegen konnte. Zudem hatte die Vernarbung bereits in einem inneren Organ begonnen – im Herzen. Die Ausweitung der Erkrankung auf die Organe bestimmt maßgeblich die Lebenserwartung der Patienten.
Eine ursächliche Behandlung gibt es bisher nicht. Seit geraumer Zeit aber haben Forscher Hinweise darauf, dass B-Zellen ausgeprägt an den Attacken des Immunsystems beteiligt sind. So reifte unter den Münchner Wissenschaftlern der Gedanke, die B-Zellen der Patientin aus dem Blut zu entfernen.
Dafür steht seit längerem Blinatumomab zur Verfügung. Onkologen nutzen ihn zur B-Zell-Depletion bei Patienten mit einer bestimmten Leukämie. Das Medikament ist ein im Labor maßgeschneiderter Antikörper mit zwei Armen. Der eine Arm heftet sich an das CD19-Molekül, das auf der Oberfläche von B-Zellen sitzt. Der andere Arm bindet an das CD3-Molekül auf der Oberfläche der T-Zellen. „In dieser räumlichen Konstellation zerstören diese T-Zellen dann die B-Zellen“, sagt von Bergwelt.
„Wir haben unserer Patientin über Neujahr 2023/2024 das Medikament intravenös über fünf Tage niedrig dosiert gegeben, dann vier Wochen später nochmal über fünf Tage niedrig dosiert“, erklärt Subklewe. Danach wurde die Behandlung in höherer Dosierung zweimal wiederholt. Ergebnis bis jetzt: Ein überraschend durchschlagender Erfolg. Sobald die B-Zellen aus dem Blut verschwanden, verbesserten sich die Symptome der Patientin drastisch. „Sie kann gerade ein fast normales Leben führen“, erklärt Schulze-Koops. Selbst die Symptome des Raynaud-Syndroms verschwanden, unter dem Patienten mit systemischer Sklerose ebenfalls leiden.
Und die Nebenwirkungen? „Bisher hat die Patientin die Therapie erstaunlich gut vertragen“, sagt Subklewe. Es kam nicht zum gefürchteten Zytokinsturm. „Natürlich aber fehlen der Frau jetzt die B-Zellen, um Infektionserkrankungen zu bekämpfen, das werden wir jetzt genau beobachten müssen“, so Skapenko weiter. Sollte die Patientin wieder Symptome der systemischen Sklerose bekommen, ist eine erneute Therapie mit Blinatumomab möglich. Darüber hinaus wollen die Münchner Forscher die neue Therapie jetzt bei weiteren Patienten mit seltenen Autoimmunerkrankungen testen.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Klinikums der Universität München. Die Originalstudie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Adrien Antal, Unsplash