Knapp 90 Prozent aller Rücken-Operationen könnten überflüssig sein, Parkinson durch Pestizide ist jetzt Berufskrankheit und drei neue Medikamente gegen fortgeschrittenen Krebs zugelassen. Diese und weitere News lest ihr hier.
88 Prozent der Rücken-OPs sind unnötig – diese Zahl macht hellhörig. Zumindest lautet so das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung der Techniker Krankenkasse (TK) zu einem Zweitmeinungsprogramm vor Rücken-Operationen. Dabei werden Patienten, denen zu einer Rückenoperation geraten wurde oder die eine Klinikeinweisung bekommen haben, in einem interdisziplinären Schmerzzentrum untersucht. Letztlich wurde hier 9 von 10 Teilnehmern von einer Operation abgeraten und somit kein Eingriff im Folgejahr von der Kasse abgerechnet.
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„Zu oft wird in Deutschland vorschnell operiert”, erklärt Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. Zwar seien manche Eingriffe an der Wirbelsäule unvermeidlich, aber sie sollten stets die „letzte Option” bleiben. „Wenn die allermeisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Zweitmeinungsprogramm ohne OP auskommen, zeigt das unsere Fehler im System”, so Baas.
Rückenbeschwerden lassen sich häufig auch ohne OP effektiv und schonend behandeln – etwa durch gezielten Muskelaufbau mittels Physiotherapie. Doch die finanziellen Anreize im Gesundheitswesen förderten eine Operation oft mehr als konservative Behandlungsmethoden. „Operationen an Rücken, Knie und Hüfte sind lukrativ“, erklärt Baas. Ein Umdenken sei dringend nötig.
Die geplante Krankenhausreform könnte hier Wendepunkte setzen. Sie zielt darauf ab, Kliniken finanziell unabhängig von der Anzahl der Operationen zu unterstützen. Stattdessen sollen Strukturkosten gedeckt und die Vergütung pro Behandlung gesenkt werden. Das könnte den Anreiz, hohe Fallzahlen zu generieren, reduzieren.
Baas betont: „Wir brauchen eine Klinikreform für mehr Qualität – und weniger unnötige Operationen.“ Eine verbesserte Spezialisierung der Kliniken und der Abbau nicht mehr benötigter Angebote könnten die Qualität der medizinischen Versorgung erheblich steigern. Doch aktuell sieht Baas die Qualitätsaspekte der Reform verwässert. Die Reform sollte sich nicht darauf beschränken, Geld in veraltete Strukturen zu stecken. Vielmehr sollte das Ziel sein, die Versorgungsstrukturen zu modernisieren und die Qualität der Versorgung zu erhöhen.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat in ihrer letzten Sitzung drei neue Medikamente zur Behandlung von mehreren fortgeschrittenen Krebsformen zugelassen. Gegen metastasierten kolorektalen Krebs wurde Fruzaqla® zugelassen. Darmkrebs ist eine der häufigsten Krebsarten und etwa 20 % der neu diagnostizierten Fälle sind bereits metastasiert. Zusätzlich kommt es bei 25 % der Patienten mit lokalisiertem Krebs später zu einer Metastasierung. Hier soll Fruzaqla® Abhilfe schaffen: Es enthält den Wirkstoff Fruquintinib, ein Kinase-Inhibitor, der gezielt die Blutverbindung des Tumors unterbindet. In der FRESCO-2-Studie konnte gezeigt werden, dass Fruquintinib das Gesamtüberleben von Patienten mit refraktärem metastasiertem Darmkrebs signifikant verbessert: Patienten zeigten im Schnitt 7,4 Monate progressionsfreies Überleben im Gegensatz zu 4,8 Monate in der Placebo-Gruppe.
Gegen Brustkrebs wurde Truqap® zugelassen. Brustkrebs ist die weltweit häufigste Krebsart unter Frauen und ist gerade in fortgeschrittenen Stadien besonders schwer zu behandeln. Truqap® soll in den späteren Phasen helfen, das Tumorwachstum zu stoppen. Es basiert auf dem Wirkstoff Capivasertib, welches das Protein AKT blockiert, das das Tumorwachstum fördert. In Kombination mit dem bereits etablierteren Medikament Fulvestrant hat Truqap® in der CAPtello-291-Studie bei Tumoren mit den Mutationen PIK3CA, AKT1 oder PTEN zu signifikanten Verbesserungen geführt: Patienten mit dieser Kombinationstherapie überlebten im Schnitt 7,2 Monate lang progressionsfrei, wohingegen es in der Placebo-Gruppe nur 3,6 Monate waren.
Gegen fortgeschrittenen Brustkrebs und Liposarkome, eine oft schwer zu behandelnde Krebsform des Fettgewebes, wurde Eribulin Baxter® zugelassen. Eribulin Baxter® ist ein Generikum des bereits etablierten Medikaments Halaven®. Beide nutzen den Wirkstoff Eribulin. Dieses stört die Zellteilung des Tumors, was zu einem programmierten Tod der Krebszellen führt. Halaven® wurde bereits 2011 von der EMA für die Behandlung von fortgeschrittenem Brustkrebs und Liposarkomen zugelassen.
Parkinson, das durch Pestizide ausgelöst wurde, wird jetzt offiziell als Berufskrankheit anerkannt. Schon seit Jahren hatten sich Mediziner und Gewerkschaften für die Aufnahme in die Berufskrankheitenverordnung eingesetzt – umso mehr wird dieser Schritt jetzt begrüßt. Damit folgt Deutschland dem Beispiel von Italien und Frankreich und wird das dritte EU-Land, das den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Pestiziden und dieser degenerativen Nervenkrankheit anerkennt.
Trotz fortgeschrittener medizinischer Forschung bleibt die genaue Ursache von Parkinson ein Rätsel. Klar ist jedoch: Personen, die regelmäßig Pestizide verwenden, tragen ein signifikant höheres Risiko, an Parkinson zu erkranken. Dies betrifft vor allem Berufsgruppen wie Gärtner, Landwirte und Winzer.
Die Anerkennung als Berufskrankheit bringt erhebliche Vorteile: höhere Rentenansprüche und finanzielle Unterstützung bei der Behandlung sind nur einige davon. Die Entscheidung fiel, nachdem ein ärztlicher Sachverständigenrat die Aufnahme in die deutsche Berufskrankheitenverordnung empfohlen hatte – ein Verfahren, das seit März 2024 im Gange ist.
Internationale Studien bestätigen das Risiko: Bereits 2000 wies die US-Epidemiologin Beate Ritz auf ein erhöhtes Parkinson-Risiko in kalifornischen Regionen mit intensiver Pestizidnutzung hin. Ihre Forschungen aus dem Jahr 2009 zeigten, dass der Kontakt mit bestimmten Pestiziden, wie Maneb und Paraquat, das Risiko für Parkinson deutlich steigert. Auch Studien aus Frankreich und den Niederlanden bestätigen diese Befunde.
Die Diskussion um die Sicherheit von Pestiziden bleibt allerdings hitzig – Hersteller behaupten meist, ihre Produkte seien bei sachgerechter Anwendung sicher.
Wenn sich von CSU bis Grüne alle in der Sache einig sind, muss es irgendwo schon ordentlich brennen. So geschehen derzeit im Rahmen der Krankenhausreform, in der auch die Gesundheitsminister der Länder zum 30. April noch einmal letzte Eingebungen machen konnten, um in ihrem Sinne umzulenken.
In ihrem Forderungspapier kritisieren die Länder neben den Fragen nach Zuständigkeit und Zustimmungspflichtigkeit vor allem, dass man sich in Berlin weiterhin sträube eine Auswirkungsanalyse voranzuschicken, bevor es an den praktischen Umbau geht. Entsprechend sei auch nicht evident, ob die geplante Vergütungssystematik überhaupt Besserung bringe.
Indes kam auch aus Hamburg das erwartete Rechtsgutachten der Universität Hamburg zur Finanzierung der Reform über den Transformationsfonds. Ergebnis: Verfassungswidrig. „Sozialversicherungsbeiträge sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts streng zweckgebunden und dürfen nicht zur Finanzierung des allgemeinen Staatshaushalts verwendet werden. Genau das geschieht aber“, erklärt Rechtsgutachterin Dagmar Felix gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Hier geht es um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nämlich um die medizinische Daseinsvorsorge, und das betrifft die Gesamtbevölkerung“.
Der von den Kassen in diesem Zusammenhang bereits angekündigte Marsch zum Bundesverfassungsgericht fällt dennoch vorerst aus. Die neue rote Linie des GKV-Spitzenverbands heißt nun „Kassenreserve.“ Diese dürfe laut Uwe Klemens, Verwaltungsratsvorsitzender und Versichertenvertreter im GKV-Spitzenverband, nicht überschritten werden.
Zur gleichen Zeit veröffentlichte auch die Bundesärztekammer ihre Stellungnahme, in der nochmals darauf hingewiesen wird, dass die selbstgesteckten Ziele von „Qualitätsverbesserung, Entbürokratisierung und Sicherung der flächendeckenden Versorgung“ verfehlt werden. Zudem machten die Ärztevertreter zentral auf die Themen Personalausstattung und Weiterbildung aufmerksam, die beide als zentrale Punkte in der Reform aufgegriffen werden müssten.
Und in Berlin derweil? Dort brütet man nun bis zum 8. Mai über den eingegangenen Papieren im stillen Kämmerlein. Was dabei herauskommt, erfährt Deutschland dann vermutlich am 8. Mai, wenn es mit einem neuen Lauterbachschen Vorschlag ins Kabinett geht.
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