Nirmatrelvir war ein Hoffnungsträger für Risikopatienten während der Corona-Pandemie. Doch wird das Medikament seinem Ruf auch gerecht? Eine neue Studie wirft Zweifel auf.
Der Proteaseinhibitor Nirmatrelvir hat in Kombination mit Ritonavir mit dem Handelsnamen Paxlovid® seit dem 28. Januar 2022 in der EU eine bedingte Zulassung zur Therapie einer COVID-19-Erkrankung bei Erwachsenen, die keine Sauerstofftherapie benötigen, aber ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Nirmatrelvir ist eine Weiterentwicklung von Rupintrivir, einem Inhibitor viraler Proteasen, der in klinischen Studien zur Behandlung von Rhinovirus-Infektionen untersucht wurde. Es wird in Kombination mit Ritonavir verabreicht, ebenfalls ein Proteaseinhibitor, der zusätzlich ein starker Hemmer des Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4) ist. Da Proteaseinhibitoren über CYP3A4 abgebaut werden, erhöht Ritonavir durch seine Hemmwirkung den Serumspiegel von Nirmatrelvir.
Die Zulassungsstudie rekrutierte von Juli 2019 bis zum 9. Dezember 2021 insgesamt 2.246 Patienten. Es wurden nur Patienten eingeschlossen, die keinen zusätzlichen Sauerstoffbedarf hatten und mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 aufwiesen. Zu den Risikofaktoren gehörten unter anderem Adipositas (BMI > 25), ein Alter über 60 Jahre, Diabetes mellitus Typ 1 und 2, immunsuppressive Therapie, vorausgegangene Transplantationen, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische Niereninsuffizienz und chronische Lungenerkrankungen. Ausgeschlossen wurden Patienten, die bereits gegen SARS-CoV-2 geimpft waren. In der Studienpopulation reduzierte die Einnahme von Nirmatrelvir/Ritonavir über einen Zeitraum von 5 Tagen die Hospitalisierungs- und Sterberate im Vergleich zu Placebo signifikant, und zwar von 6,5 % auf 0,7 %, wenn das Medikament innerhalb von 3 Tagen nach Symptombeginn eingenommen wurde.
Diese Ergebnisse waren äußerst vielversprechend, und das Medikament wurde in Deutschland zu einem Hoffnungsträger in der Therapie von COVID-19. Doch wie steht es um die Wirksamkeit von Paxlovid®, wenn kein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 besteht? Des Weiteren sind mittlerweile viele Menschen vollständig gegen SARS-CoV-2 geimpft – wie verhält es sich also mit der Wirksamkeit von Paxlovid bei vollständig geimpften Personen, die ein hohes Risiko haben, schwer an COVID-19 zu erkranken?
Diese Fragen wurden in einer kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichten Phase-2- bis -3 doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Studie untersucht. Im Zeitraum vom 25. August 2021 bis zum 25. Juli 2022 wurden insgesamt 1.296 Patienten rekrutiert, die an COVID-19 erkrankt waren. Die Teilnehmer waren mindestens 18 Jahre alt, hatten eine mittels PCR bestätigte Infektion mit SARS-CoV-2 und zeigten mindestens ein Symptom einer COVID-19-Erkrankung innerhalb der letzten 5 Tage.
Es wurden nur Patienten in die Studie aufgenommen, die entweder keine Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19 aufwiesen und ungeimpft waren oder Patienten, die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf hatten, jedoch vollständig gegen SARS-CoV-2 geimpft waren. Die Patienten wurden im Verhältnis 1:1 in zwei Gruppen randomisiert, um entweder Placebo oder Nirmatrelvir/Ritonavir alle 12 Stunden für 5 Tage zu erhalten. Die Teilnehmer füllten täglich für 28 Tage ein elektronisches Symptomtagebuch aus. Der primäre Endpunkt der Studie war die Zeit bis zur anhaltenden Linderung aller genannten Symptome für COVID-19. Ebenfalls wurden Krankenhausaufenthalte und Todesfälle bis zum 28. Tag nach Einschluss ausgewertet.
Die Ergebnisse waren ernüchternd. Die mittlere Zeit bis zur anhaltenden Linderung aller Symptome unterschied sich in den beiden Gruppen nicht signifikant. Unter der Therapie mit Nirmatrelvir/Ritonavir trat die Linderung nach 12 Tagen und in der Placebogruppe nach 13 Tagen ein. Auch die Angabe von unerwünschten Ereignissen waren in beiden Gruppen ähnlich (25,8 % mit Nirmatrelvir/Ritonavir und 24,1 % mit Placebo). Fünf Teilnehmer (0,8 %) in der Nirmatrelvir/Ritonavir-Gruppe und 10 (1,6 %) in der Placebo-Gruppe wurden wegen COVID-19 hospitalisiert oder verstarben an COVID-19 oder anderen Ursachen.
Die Ergebnisse beider Studien deuten darauf hin, dass bisher nur bei ungeimpften Patienten mit einem Risikofaktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 ein Nutzen von Nirmatrelvir/Ritonavir festgestellt werden konnte. Aber immer mehr Menschen sind vollständig immunisiert – sei es durch Impfungen oder durchgemachte Infektionen. Sind die Patienten mit Risikofaktoren geimpft, nimmt das Risiko für einen schweren Verlauf ab, und die Einnahme von Nirmatrelvir/Ritonavir scheint keinen Nutzen mehr zu bieten. Das primäre Problem bleibt bei immunsupprimierten Patienten bestehen, die trotz Impfung nicht ausreichend geschützt werden können. Für diese Patientengruppe könnte die Einnahme von Paxlovid® von Vorteil sein.
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