„Mein Opa hat jahrelang ein Bier am Tag getrunken und ist kerngesund“ – so rechtfertigen viele Patienten ihren Alkoholkonsum. Leider muss ich als Toxikologe da der Buhmann sein. Mein kleines unbeliebtes Alkohol-Einmaleins.
Ich habe in letzter Zeit einige Interviews zum Thema Drogen gegeben und natürlich hat Alkohol hier eine prominente Stelle eingenommen. Immerhin ist er wahrhaft zerstörerisch: Schätzungen gehen von rund 1,77 Millionen Deutschen aus, die alkoholabhängig sind. Etwa 74.000 Menschen in Deutschland sterben jährlich an Alkohol beziehungsweise an einer kombinierten Wirkung aus Alkohol und Tabak. Knapp 50.000 Gewalttaten werden jährlich auf Alkoholeinfluss zurückgeführt – Familien zerbrechen, Kinder werden für ihr komplettes Leben durch alkoholkranke Eltern traumatisiert. Die WHO nennt Alkohol als Auslöser für mehr als 60 verschiedene Krankheiten und spricht in diesem Zusammenhang von weltweit 2,5 Millionen Toten jedes Jahr.
In diesen Interviews habe ich stets versucht, die Risiken des Alkoholkonsums zu verdeutlichen, ohne den Alkohol an sich zu verteufeln. Meine Botschaft war, dass Alkohol als Genussmittel konsumiert werden sollte, nicht als Alltagsgetränk. Denn selbst mäßiger Alkoholkonsum kann die Gesundheit beeinträchtigen: Gemäß einer Untersuchung aus Spanien wurde er in der EU mit ca. 23.000 neuen Krebsfällen im Jahr 2017 in Verbindung gebracht. Das macht 13,3 Prozent aller auf Alkohol zurückzuführenden Krebserkrankungen aus. Früher gab die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen an, dass eine maximale Trinkmenge von 24 Gramm Reinalkohol pro Tag bei Männern und 12 Gramm bei Frauen als „risikoarmer Konsum“ gelten würde. Heute gilt: Mäßiger Alkoholkonsum ist eine Menge von weniger als 20 g reinem Alkohol pro Tag, was schon einem Glas Bier oder Wein entspricht.
Im Anschluss an die Interviews habe ich mir teilweise die Kommentarspalten durchgelesen – und die sorgten bei mir für vehementes Kopfschütteln. Von „Jetzt wollen die uns sogar noch das Bier verbieten. Ich kann doch nicht nur Wasser trinken!“ über „Mein Opa hat jahrelang ein Bier täglich getrunken und er lebt gesund und in einem hohen Alter!“ bis hin zu „Das stimmt nicht, ein Glas Alkohol am Tag ist sogar gesund!“ ist alles dabei. In aller Kürze kann ich dazu nur kommentieren:
Wenn wir von Alkohol sprechen, meinen wir Ethanol. Weist ein Bier 5 Prozent Alkohol auf, dann sind 5 Prozent Ethanol enthalten. Im Normalfall sprechen wir hier von Volumen-Prozent. Ein großes 500-Milliliter-Bier (okay, in Bayern ist das eher ein kleines Bier) mit 5 Prozent Alkohol bedeutet also, dass 5 Prozent des Volumens aus Ethanol besteht. In unserem Beispiel mit dem kleinen bayerischen Bier sind das 25 Milliliter reiner Ethanol. Trinkt man 40 Milliliter eines Single-Malt-Whiskys mit 50 Prozent Alkohol, hat man 20 Milliliter reinen Alkohol zu sich genommen. Im Grunde ganz einfach.
Übrigens können auch Fruchtsäfte oder alkoholfreies Bier geringe Mengen Alkohol enthalten. Bei Fruchtsäften geschieht die alkoholische Gärung durchaus in geringem Maße quasi von allein – maximal 0,38 Volumen-Prozent dürfen so in Fruchtsäften vorkommen. Das ist zum Glück recht wenig. Bei alkoholfreiem Bier könnt ihr übrigens nur sicher sein, dass überhaupt kein Alkohol enthalten ist, wenn diese 0,0 Prozent explizit auf der Flasche vermerkt sind. Ansonsten sind bis zu 0,5 Volumen-Prozent Alkohol erlaubt.
Sobald Ethanol in unserem Körper ist, will ihn unser Organismus schnell wieder loswerden. Das Enzym Alkoholdehydrogenase macht aus Ethanol das Acetaldehyd, was leider ziemlich giftig ist. Deshalb wird dies schnell zu Essigsäure umgebaut, was letztendlich weiter zu Wasser und Kohlendioxid umgewandelt und danach beispielsweise über den Urin beziehungsweise die Atmung ausgeschieden wird. Im Schnitt können so in etwa 0,1–0,15 Promille pro Stunde aus dem Blut entfernt werden.
Das Phänomen, dass Alkohol die Funktionen des Gedächtnisses unmittelbar nach dem Trinken beeinflusst, liegt an der Interaktion mit den GABA-Rezeptoren, die im Gehirn und im Rückenmark weit verbreitet sind. Durch Aktivierung der GABA-Rezeptoren kommt es verstärkt zum Einstrom von Chlorid-Ionen, mit hemmender Wirkung. Je nachdem, wo die GABA-Rezeptoren nun genau vorhanden sind, haben sie beispielsweise Einfluss auf unsere Reflexe (GABA-Rezeptoren im Rückenmark) oder das Einschlafen (GABA-Rezeptoren im Zwischenhirn). Trinkt man alkoholhaltige Getränke, interagiert Ethanol direkt mit diesen Rezeptoren. Alkohol bindet und löst die hemmende Wirkung an Ort und Stelle aus. Man wird müde, träge, Reflexe werden verlangsamt. Selbstverständlich sind die GABA-Rezeptoren nicht die einzigen Rezeptoren, mit denen Alkohol interagieren kann. Sie sind aber sicherlich das prominenteste Beispiel.
Wohl jeder von uns kennt den Kater: Diese ekelhaften Kopfschmerzen am nächsten Tag, wenn man am Vorabend zu viel Alkohol getrunken hat. Diese unerträgliche Übelkeit, die euch – wenn es schlecht läuft – den ganzen Tag im Magen sitzt. Das Interessante ist hier, dass Ethanol streng genommen gar nicht dafür verantwortlich ist. Sofern es unverändert im Körper vorkommen würde, bliebe euch der Kater am nächsten Tag weitgehend erspart. Verantwortlich für den Kater ist das Abbauprodukt Acetaldehyd. Der Stoff führt zur Produktion von freien Sauerstoffradikalen, die Zellwände der Körperzellen schädigen können. Dies ist gemäß wissenschaftlichen Forschungen zumindest teilweise für den Brummschädel verantwortlich.
Auch an dieser Stelle kann ich unmöglich alle Baustellen aufzeigen, an denen Ethanol im Körper schädigend herumwerkelt. Eines der bekanntesten Beispiele von chronischem Alkohol-Missbrauch ist sicherlich der Leberschaden. Fettleber, Fettleber-Hepatitis, Leberzirrhose und Leberkrebs sind hier die wenig verheißungsvollen Stichworte.
Ethanol wirkt eindeutig krebserzeugend. Die Menge des konsumierten Ethanols steht dabei in engem Zusammenhang mit dem Risiko, einen Tumor zu bekommen. Eindeutig gesagt: Je mehr Alkohol man im Leben konsumiert, desto wahrscheinlicher bekommt man davon Krebs. Besonders im Fokus sind hier Tumoren im Mund-Rachen-Raum (inklusive Speiseröhre), Leber-, Brust- und Dickdarmkrebs. Erster Auslöser ist wieder unser Acetaldehyd. Es interagiert direkt mit der Erbsubstanz und kann somit Mutationen hervorrufen. Weiterhin führt Acetaldehyd, wie schon beschrieben, zu freien Sauerstoffradikalen. Diese können ebenso eurer Erbsubstanz sowie weiteren Strukturen im Körper Schaden zufügen und so Krebs induzieren. Da die Umwandlung von Ethanol in Acetaldehyd nicht nur in der Leber, sondern schon in der Mundhöhle geschieht, sind Mund-Rachen-Tumoren bei regelmäßigem Alkoholkonsum gehäuft.
Es sollte selbstverständlich sein, aber manche Patientinnen muss man erinnern: Verzichtet unbedingt auf Alkohol, wenn ihr schwanger seid oder schwanger werden möchtet. Es gibt keine harmlose Menge, schon wenig Alkohol kann zu Schädigungen des Babys im Mutterleib führen. Deshalb sollte man in der Schwangerschaft auch auf das literweise Trinken von Fruchtsaft verzichten, da auch dieser kleine Mengen Alkohol enthält – wobei hier die großen Mengen (Frucht-)Zucker, die ebenfalls oft enthalten sind, noch eher ein Problem wären. Eine mögliche Schädigung durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist beispielsweise das fetale Alkoholsyndrom. Ein zu kleiner Kopf, Fehlbildungen im Gesicht, Missbildungen am Herzen, motorische Störungen, Schielen und geistige Behinderung sind nur eine kleine Auswahl der etwaigen durch Alkohol entstehenden vorgeburtlichen Defekte.
Die neueste Empfehlung geht dahin, dass Alkoholkonsum zur Verbesserung der Gesundheit immer reduziert werden sollte, unabhängig davon, wie hoch die Trinkmenge aktuell ist. Es ist es am besten, überhaupt keinen Alkohol zu trinken. Ich selbst habe für mich beschlossen, dass ein gelegentliches Glas Wein, Bier oder Whisky in Hinsicht auf mein persönliches Risiko durchaus akzeptabel sind. Allerdings achte ich tunlichst darauf, dies nicht zur Gewohnheit werden zu lassen. Je seltener ich Alkohol zu mir nehme, desto größer ist für mich der Genuss. Und ganz im Vertrauen: Es gibt inzwischen auch hervorragende alkoholfreie Biere.
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