Patienten mit Paracetamol-Überdosierung benötigen nur dann ein Antidot, wenn das Risiko einer Leberschädigung hoch ist. Das wird bisher mithilfe eines unspezifischen Tests ermittelt. Drei vielversprechende Marker könnten in Zukunft Ärzten die Entscheidung erleichtern.
Paracetamol-Intoxikationen sind im klinischen Alltag bedeutsam. Jede sechste Lebertransplantation, die EU-weit bei akutem Leberversagen erforderlich ist, lässt sich auf das Analgetikum zurückführen. Häufig nehmen Patienten Medikamente in suizidaler Absicht, teilweise handelt es sich um grobe Therapiefehler. Die Vergiftung lässt sich gut behandeln, falls sie rechtzeitig entdeckt wird. Genau hier liegt das Problem.
Innerhalb der ersten 24 Stunden gibt es nur wenig charakteristische Merkmale. Nach einer Vergiftung kommt es zu Bauchschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen. Der Alanin-Aminotransferase-Spiegel (ALA) steigt zeitlich verzögert an. Wichtig ist jedoch, innerhalb weniger Stunden N-Acetylcystein als Antidot rechtzeitig zu verabreichen. Daraus entsteht im Körper Cystein, und die Produktion von entgiftendem Glutathion wird forciert. Ärzte versuchen nach Möglichkeit, die aufwändige, stationäre und mit Nebenwirkung verbundene Behandlung nur bei Patienten durchzuführen, deren Leber wirklich in Mitleidenschaft gezogen wurde. ALA ist als Marker zu unspezifisch.
Deshalb machte sich James W. Dear von der University of Edinburgh auf die Suche nach besseren Tests. Basis seiner Arbeit waren zwei Kohorten mit britischen Patienten, die aus unterschiedlichen Gründen zu große Mengen an Paracetamol eingenommen hatten. Bei mehr als 1.000 Patienten erfassten Ärzte drei unterschiedliche Marker: eine leberspezifische Nukleinsäure (microRNA-122), ein Protein, das aus abgestorbenen Zellen freigesetzt wird (High-Mobility-Group-Protein B1) und ein Marker für den Zelltod (Keratin 18). Alle drei Moleküle konnten je nach Kohorte eine Leberschädigung um 54 bis 95 Prozent besser vorraussagen. Als Vergleich wurde der bekannte ALA-Test herangezogen. Die starke Schwankung lässt sich auf unterschiedliche Patientencharakteristika, wie Paracetamol-Dosis und Zeit bis zur Erstbehandlung, zurückführen.
In einem Editorial stellt William Bernal vom King's College Hospital in London die Frage, ob neue Biomarker vielleicht schon bald bekannte Strategien zur Risikostratifizierung ersetzen. „Ich vermute nicht in naher Zukunft“, konstatiert Bernal. „Selbst, wenn sie in klinisch verfügbare Assays transformiert werden, ist ihre Messung wahrscheinlich zeitaufwendig, und es ist nicht klar, ob sie kosteneffektiv sein würden.“ Acetylcystein sei hingegen preisgünstig, wirksam und gut verträglich. Bernals Maxime: „Im Zweifelsfall Acetylcystein geben.“ Er sieht allerdings Vorteile in neuen Tests, um bei Patienten die Behandlungsdauer, sprich den stationären Aufenthalt, zu verkürzen.