Pilze lieben das immer wärmere Klima – und werden uns damit immer gefährlicher. Doch bislang scheint das die Medizin wenig zu kümmern. Das muss sich ändern.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Ein Aspekt des Klimawandels, der bislang wenig untersucht und in der Praxis noch wenig berücksichtigt wird, ist der Einfluss auf die Verbreitung und Pathogenität von Mykosen. Mit diesem Thema hat sich jetzt ein Review eines internationalen Forscherteams beschäftigt, das in The Lancet erschienen ist. Die Forscher beschreiben zudem, welche global koordinierten Strategien notwendig sind, um klimawandelbedingte Veränderungen bei Pilzinfektionen besser in den Griff zu bekommen.
„Der Klimawandel passiert: Die Durchschnittstemperatur in der Atmosphäre steigt, es wird wärmer und trockener und die Stärke der Sonneneinstrahlung nimmt zu“, sagt Prof. Martin Hönigl. Er ist Assoziierter Professor an der Klinischen Abteilung für Infektiologie der Medizinischen Universität Graz und einer der beiden Senior-Autoren der Studie. „Pilze mögen zwar eher kühlere und feuchtere Bedingungen, sodass diese Veränderungen für sie zunächst einen Stressfaktor darstellen. Aber viele pathogene Pilzarten sind sehr adaptationsfähig und können sich schnell und effektiv an neue Bedingungen anpassen. Dadurch könnten sie sich in wärmer werdenden Gebieten schnell ausbreiten.“
So können viele Pilze gut mit Nahrungsentzug umgehen, Resistenzen gegen antifungale Medikamente entwickeln und sich an die Temperatur und andere Gegebenheiten im menschlichen Körper anpassen. Eine Reihe von pathogenen Pilzen – zum Beispiel der Schimmelpilz Aspergillus fumigatus oder der Hefepilz Cryptococcus neoformans – produzieren als Reaktion auf eine verstärkte Sonneneinstrahlung mehr Melanin, was ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber niedrigeren pH-Werten, Schwermetallen und radioaktiven Isotopen erhöht. Dadurch können sie auch in mit Säuren, Schwermetallen oder Radioaktivität verseuchten Umgebungen überleben. „Zugleich erhöht das Melanin ihre Virulenz, also ihre Fähigkeit, eine Erkrankung hervorzurufen“, erläutert Hönigl.
Darüber hinaus beeinflusst der Klimawandel eine Reihe anderer Faktoren, die sich auf die Verbreitung, Virulenz und Behandelbarkeit von Pilzerkrankungen auswirken können. Das sind zum Beispiel:
Dazu kommt, dass Gesundheitssysteme durch eine Katastrophe oft überlastet und in ärmeren Ländern generell weniger gut ausgestattet sind. Medizinische Fachkräfte sind oft nicht auf dem Gebiet der Pilzerkrankungen ausgebildet und diagnostische Werkzeuge fehlen. Daher werden Pilzinfektionen häufig nicht erkannt und nicht angemessen behandelt.Mechanismen, durch die Naturkatastrophen zu Pilzausbrüchen führen können. Credit: Seidel et al
„Das bekannteste Beispiel für einen pathogenen Pilz, der durch die Anpassung an wärmere Temperaturen für den Menschen gefährlich geworden ist, ist der Hefepilz Candida auris“, berichtet Hönigl. „Er befällt eigentlich Pflanzen, wurde aber 2009 erstmals als Krankheitserreger beim Menschen beschrieben. Inzwischen hat er sich weltweit ausgebreitet, führt zu großen Ausbrüchen auf Intensivstationen und weist eine starke Resistenz gegenüber gängigen Anti-Pilz-Medikamenten auf.“
Durch klimabedingte Veränderungen können sich auch endemische Pilzinfektionen, die bisher nur in bestimmten Regionen vorkamen, in andere Regionen verbreiten. Beispiele dafür sind die Histoplasmose, ausgelöst durch den Pilz Histoplasma capsulatum, bei der Symptome einer Lungenentzündung oder unspezifische Lungen-Symptome auftreten und die Kokzidioidomykose, auch bekannt als „Wüstenfieber“, die zu grippeähnlichen Symptomen führt. „Histoplasma capsulatum kam beispielsweise früher nur in einigen Flusstälern der USA vor, hat sich aber mittlerweile auf größere Gebiete der USA ausgebreitet“, so der Wissenschaftler. „Andere bisher endemische Histoplasma-Arten kommen inzwischen in weiten Teilen Afrikas und Asiens und in einigen Regionen Europas und Australiens vor.“
Die Symptome und Erkrankungen, die Pilze hervorrufen, können sehr unterschiedlich sein. „Generell unterscheidet man zwischen lokalen Pilzinfektionen der Haut oder der Schleimhäute und systemischen Pilzinfektionen, die innere Organe wie die Lunge oder das Gehirn befallen. Letztere treten meist bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem auf“, erläutert Hönigl. „Allerdings können manche Pilze auch bei nicht immungeschwächten Personen zu Erkrankungen führen. Diese reichen von leichten Symptomen bis hin zu schweren Infektionen.“
So können Schimmelpilze wie Aspergillus auch bei immunkompetenten Menschen zu leichteren, aber anhaltenden Symptomen wie Asthma, Allergien oder Augenirritationen führen. „Gefürchtet sind außerdem Pilze der Ordnung Mucorales, die zu Mukormykose führen – bekannt wurde diese Erkrankung durch einen großen Ausbruch bei COVID-19-Patienten in Indien“, sagt der Forscher. „Bei Verletzten setzen sich diese Pilze häufig in Wunden und führen häufig zu schweren systemischen Infektionen.“
Auch endemische Pilzarten können bei Gesunden zu Symptomen führen. „Solche Pilze kommen in praktisch allen Regionen der Welt, bisher aber kaum in Europa vor“, erläutert Hönigl. „Meist werden hier die Pilzsporen eingeatmet, was zu Symptomen einer akuten Lungenentzündung führen kann. Diese lässt sich mit einer systemischen Pilztherapie meist gut behandeln. Bei einigen Betroffenen kommt es aber auch zu systemischen, lebenslang anhaltenden Symptomen.“ Es ist wahrscheinlich, dass solche Pilzarten durch klimabedingte Veränderungen auch in Europa häufiger werden.
„Insgesamt zeigt unsere Studie, dass der Einfluss des Klimawandels und seiner Folgen auf Pilzinfektionen ein dringendes globales Thema ist, das sowohl Länder mit niedrigem und mittlerem als auch mit hohem Einkommen betrifft“, sagt Hönigl. „Allerdings steht das Thema bisher bei vielen Ärzten und medizinischem Fachpersonal, aber auch in der Politik nicht so stark im Fokus.“ In ihrem Artikel geben die Forscher daher einen Überblick, welche Maßnahmen notwendig sind, um die Herausforderungen im Hinblick auf Pilzinfektionen besser zu bewältigen.
„Dafür sind – neben allgemeinen Maßnahmen gegen den Klimawandel – global koordinierte Ansätze notwendig“, betont der Experte. „Dazu gehören die Bereitstellung von Ressourcen für ein globales Monitoring von Pilzinfektionen, die Ausbildung von Gesundheitsfachkräften auf dem Gebiet der Pilzerkrankungen und eine verbesserte Ausstattung mit zuverlässigen, einfach durchführbaren diagnostischen Tools und geeigneten Medikamenten.“ Die Entwicklung solcher Tests sei im letzten Jahrzehnt gefördert worden und für einige Pilzarten gebe es diese bereits – allerdings noch nicht für Mucorales.
Wichtig sei auch, das Thema bei politischen Entscheidungsträgern stärker in den Fokus zu rücken, Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen, die Forschung zum Thema Pilzinfektionen auszubauen und Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Pilzinfektion zu entwickeln. „Insgesamt gibt es noch eine ganze Reihe offener Fragen, für die mehr Forschung notwendig ist“, sagt Hönigl. „Etwa, wie sich pathogene Pilze allgemein und nach Naturkatastrophen ausbreiten. Oder welche biologischen Mechanismen zur Anpassung von Pilzen an veränderte Klimabedingungen beitragen.“
Weiterhin sollte die Bevölkerung für das Thema Pilzerkrankungen sensibilisiert und stärker darüber aufgeklärt werden, welche Risiken für Pilzinfektionen nach Naturkatastrophen bestehen und wie man sie reduzieren kann. „Ein klassisches Beispiel ist, dass man nach einer Flut nicht in einem feuchten Haus wohnen sollte und es trockengelegt werden muss, um die Ansiedlung von Schimmelpilzen zu vermeiden“, erläutert der Forscher. Wichtig sei auch, darüber zu informieren, dass auch immungesunde Menschen Symptome einer Pilzinfektionen entwickeln können – und wie sich jemand verhalten sollte, wenn nach einer Naturkatastrophe Symptome unklarer Ursache auftreten. Credit: DocCheck, erstellt mit BioRender.com
„Bei unklaren chronischen Erkrankungen wie Asthma oder Allergien nach Überschwemmungen sollte man abklären lassen, ob eine Pilzerkrankung dahintersteckt. Das gilt auch für Europa“, betont Hönigl. „Auch Menschen mit unklaren Lungenbeschwerden nach Waldbränden oder starken Stürmen, etwa Hurrikans oder Tornados sollten zeitnah einen Arzt aufsuchen, da diese durch eine Pilzinfektion hervorgerufen sein können. Daten dazu gibt es bisher fast ausschließlich aus den USA – vermutlich ist dies aber auch für Europa relevant.“ Sinnvoll ist es in solchen Fällen, sich an ein infektiologisches Zentrum zu wenden, das mit Pilzinfektionen vertraut ist und eine spezialisierte Diagnostik durchführen kann.
Internationale Initiativen und Organisationen wie die European Confederation of Medical Mycology (ECMM) oder die International Society for Human and Animal Mycology (ISHAM) – denen auch viele der Studienautoren angehören – setzen sich bereits für eine weltweite Verbesserung bei Monitoring, Diagnostik und Therapie von Pilzinfektionen ein. Auch die WHO hat Pilzinfektionen inzwischen stärker in den Fokus genommen und stellt mehr Gelder dafür bereit. „Wichtig wären nun WHO-Initiativen, die mit Organisationen vor Ort zusammenarbeiten, um Pilzinfektionen nach Naturkatastrophen systematisch und in Echtzeit zu erfassen und zu monitoren“, sagt Hönigl.
Ob sich durch diese Initiativen Pilzinfektionen in Zukunft effektiv in den Griff bekommen lassen, dazu wagt der Forscher keine Prognose. „Pilzerkrankungen werden durch die klimabedingten Veränderungen weltweit zunehmen – unklar ist nur, in welchem Ausmaß“, so Hönigl. „Andererseits gibt es Fortschritte in der Medizin, zum Beispiel werden neue Antimykotika entwickelt. Aber auch dort besteht das Risiko von Resistenzen. Und es gibt Gegenmaßnahmen wie die beschriebenen. Diese sollten in Zukunft weiter ausgebaut werden.“
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Klimawandel und Pilzausbreitung: Der Klimawandel führt zu einer erhöhten Anpassungsfähigkeit von pathogenen Pilzen, die sich an wärmere und trockenere Bedingungen anpassen, Resistenzen gegen Medikamente entwickeln und in neuen Regionen verbreiten. Dies erhöht die Häufigkeit und Schwere von Pilzinfektionen, auch bei nicht immungeschwächten Personen.
Gesundheits- und Umweltfaktoren: Naturkatastrophen wie Stürme und Überschwemmungen begünstigen die Verbreitung von Pilzsporen. Durch kontaminierte Gebäude, kontaminiertes Wasser und verletzte Menschen nach Katastrophen steigt das Risiko für schwere Pilzinfektionen. Zudem beeinträchtigt erhöhte UV-Strahlung das menschliche Immunsystem.
Notwendige Maßnahmen: Um den Herausforderungen von Pilzinfektionen besser zu begegnen, sind globale, koordinierte Ansätze erforderlich. Dazu gehören verbesserte Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten, Ausbildung von Gesundheitspersonal, öffentliche Aufklärung sowie verstärkte Forschung und Monitoring. Politische und finanzielle Unterstützung sind ebenfalls entscheidend.
Bildquelle: Mathew Schwartz, unsplash