Schon länger bringen Ärzte künstliche Befruchtungen mit perinatalen Risiken in Verbindung. Hinweise auf mehr Krebserkrankungen gibt es ebenfalls – zu Recht? Eine neue Studie soll für mehr Klarheit sorgen. Die wichtigsten Ergebnisse.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Krebs in jungen Jahren ist zwar selten – deutschlandweit erkranken pro Jahr rund 2.200 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren daran. Am häufigsten sind Leukämien, gefolgt von Tumoren des zentralen Nervensystems wie Hirntumoren. Seit den 1980er-Jahren verzeichnen Forscher weltweit allerdings eine zunehmende Inzidenz für pädiatrische Krebserkrankungen – aber warum?
Erinnern wir uns: Am 25. Juli 1978 kam Louise Joy Brown als erstes Baby zur Welt, das mit künstlicher Befruchtung gezeugt worden war. Mit der wegweisenden Leistung von Prof. Robert Edwards, Cambridge, begann ein neues Zeitalter in der Reproduktionsmedizin.
Doch wo viel Licht ist, ist der Schatten nicht weit. Ärzte fanden heraus, dass Kinder aus künstlicher Empfängnis im Vergleich zu Kindern, die auf natürlichem Wege gezeugt worden waren, ein erhöhtes Risiko für ungünstige perinatale Ergebnisse, einschließlich Frühgeburten, niedrigen Geburtsgewichten und fetale Wachstumsanomalien, haben. Die Frage nach möglichen Zusammenhängen mit onkologischen Erkrankungen drängt sich auf; doch sie blieb lange Zeit unbeantwortet.
Eine große französische Kohortenstudie untermauert jetzt den Verdacht, dass ein Teil der pädiatrischen Krebserkrankungen mit künstlicher Befruchtung in Verbindung stehen könnten.
Forschende der Universitäten Paris-Cité, Bourgogne Franche-Comté (Dijon) und der Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé (ANSM) untersuchten Daten des französischen Mutter-Kind-Registers (EPI-MERES). Sie fokussierten sich auf alle zwischen dem 1. Januar 2010 und dem 31. Dezember 2021 in Frankreich lebend geborenen Kinder. Die Datenbank enthält umfassende Angaben zu Krankenhausaufenthalten und zu Zahlungen der Krankenkassen für mehr als 99 Prozent der französischen Bevölkerung.
Darin sind auch alle Schwangerschaften ab 2010 verzeichnet; sie lassen sich mit Daten der Nachkommen verknüpfen. Den Wissenschaftlern standen damit Informationen über 8.526.306 Kinder mit einem Durchschnittsalter von 6,4 Jahren zur Verfügung. 51,2 Prozent waren männlich, 48,8 Prozent weiblich. Insgesamt wurden 260.236 Kinder (3,1 Prozent) mit Hilfe der Fortpflanzungsmedizin gezeugt und bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 6,7 Jahren gab es insgesamt 9.256 pädiatrische Patienten mit Krebs. Dabei wurden alle möglichen Krebsfälle erfasst.
Nach statistischen Analysen kamen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass es keinen Unterschied im Gesamtkrebsrisiko für Krebs gab, verglichen mit Kindern, die auf natürlichem Wege gezeugt worden waren:
Betrachteten Wissenschaftler nur die häufigsten Krebsarten, mit 29,4 Prozent Leukämien, und speziell die häufigste Leukämie, sprich die akute lymphatische Leukämie (ALL), so ergab sich ein signifikant höheres Risiko für Kinder, die aus einer FET entstanden waren, als für natürlich gezeugte: HR 1,61, bereinigte Risikodifferenz 23,2 pro Million Personenjahre. Bei der ET gab es keine signifikanten Unterschiede zu Kindern nach normaler Zeugung (HR 1,14).
Als die Forschenden sich nur auf Daten von Kindern beschränkten, die zwischen 2010 und 2015 geboren worden waren und deren mediane Nachbeobachtungsdauer länger war, fanden sie ein signifikant höheres Gesamt-Leukämierisiko (einschließlich der akuten myeloischen Leukämie, AML) für ET-Kinder (HR 1,42, bereinigte RD, 19,7 pro Million Personenjahre), nicht jedoch bei der FET (HR 1,27).
Ein höheres Risiko für andere Krebsarten war nicht mit Verfahren der Reproduktionsmedizin assoziiert.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder, die nach FET oder ET geboren wurden, ein erhöhtes Leukämierisiko haben könnten“, so das Fazit der Autoren. Sie schränken ein, dass die absolute Zahl der an Krebs erkrankten Kinder relativ gering sei, obwohl diese Studie eine große landesweite Kohorte umfasst habe.
„Die Risikobewertung von Krebserkrankungen im Kindesalter ist angesichts ihrer Seltenheit eine Herausforderung, und Ergebnisse, die auf kleinen Zahlen beruhen, können sowohl mit mangelnder Aussagekraft als auch mit dem Potenzial für falsche Assoziationen behaftet sein“, heißt es weiter.
Doch Marie Hargreave vom dänischen Krebsinstitut, Kopenhagen, bestätigt in einem Expertenkommentar zu dem Artikel, die Ergebnisse würden sich mit Resultaten einer systematischen Übersichtsarbeit und Meta-Analyse sowie einer großen registerbasierten Studie decken. Demnach finden sich immer mehr Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen ET bzw. FET und einem erhöhten Risiko für Leukämie.
Hargreave fordert weitere Studien – nicht nur, um den Zusammenhang zu bestätigen. Es geht auch um die Frage, welche Faktoren, Kausalität vorausgesetzt, eine Leukämie bei Kindern auslösen könnten. Handelt es sich um Medikamente, die Frauen zur Vorbereitung der Eizellgewinnung bei einer In-vitro-Fertilisation erhalten? Oder sind Bestandteile der Nährlösung zur Inkubation befruchteter Eizellen kritisch? Das müssen neue Untersuchungen zeigen.
Bis dahin bleibt Ärzten nur, bei der Untersuchung von Kindern, die nach künstlicher Befruchtung geboren worden sind, an höhere Leukämie-Risiken zu denken.
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