Störungen der Okulomotorik
Im Mittelpunkt des Interesses neuro-ophthalmologischen Forschergruppen bei Patient*innen mit Parkinson-Krankheit (PK) stehen vor allem Auswirkungen des Dopaminmangels auf die Pathophysiologie kortikaler, subkortikaler und zerebellärer Schleifen, elektrophysiologische Veränderungen der visuell evozierten Potentiale, neurodegenerativ bedingte Retinopathien, Halluzinationen oder die REM-Schlaf-assoziierte Verhaltensstörung. Nicht zuletzt ist dies auch eine Folge der in den letzten Jahren exponentiell angestiegenen Möglichkeiten der Darstellung dieser Veränderungen mit Hilfe der funktionellen und strukturellen Bildgebung mit hochmodernen Scannern, der Entwicklung der optischen Kohärenztomographie einschließlich der modernen Videookulographie.
Obwohl bereits seit langem bekannt, stehen Störungen der Okulomotorik bislang nicht im Fokus dieser Bemühungen. Auch in der aktualisierten S2k-Leitlinie „Parkinson-Krankheit“ von 2023 hat sich daran nichts geändert.
(https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-010l_Parkinson_Krankheit_2023-11_1.pdf)
Es verbleibt jedoch die aus der vorhergehenden S3-Leitlinie in der neurologischen Untersuchung empfohlene Untersuchung der Okulomotorikstörungen (Sakkadengeschwindigkeit, vertikale Blickparese, Vestibulookulärer Reflex (VOR), Fixationssuppression des VOR).
Ein großer Teil der okulomotorischen Auffälligkeiten kann also bereits im Rahmen einer nicht gerätegestützten klinisch-neurologischen Untersuchung dokumentiert werden. Da diese okulomotorischen Symptome jedoch nicht im UPDRS oder MDS-UPDRS verankert sind, erfahren sie in der Praxis wenig Aufmerksamkeit. Sie haben jedoch, wie in Teil I ausführlich dargelegt, einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität und die Selbständigkeit im Alltag. Aus diesem Grund soll im Teil II nun näher auf genau diese eingegangen werden. Dabei verzichte ich bewusst auf eine umfangreichere pathophysiologische Darstellung der beteiligten zentralen Strukturen. Hier sei auf die dazu zur Verfügung stehenden Lehrbücher verwiesen.
Okulomotorisches System
Unter Okulomotorik werden alle willkürlich und unwillkürlich ablaufenden Bewegungen beider Bulbi durch die äußeren sechs Augenmuskeln subsummiert, welche physiologisch konjugiert ablaufen. Die Innervation erfolgt durch die Nervi abducens, trochlearis und oculomotorius. Sowohl lokale und systemische Myopathien als auch Neuropathien können deshalb bereits zu einer Störung der Okulomotorik führen. Bei Patient*innen mit Parkinson-Krankheit (PK) kommen durch den Dopaminmangel jedoch eher zentrale Ursachen infrage. Die Basalganglien sind an vier funktionellen Rückkopplungsschleifen (Loops) beteiligt, wovon diesbezüglich insbesondere die okulomotorische Schleife von Bedeutung ist. Die frontalen Augenfelder steuern sowohl langsame Folgebewegungen als auch schnelle Blicksprünge, die supplementären Augenfelder erinnerte Sequenzen von Sakkaden. Die präfrontale Hirnrinde ist übergeordnet und kontrolliert Sakkaden und visuelle Fixation. Eingangsstation ist der Kopf des Nucleus caudatus, Ausgangsstation die Substantia nigra Pars reticulata, die zum Thalamus, zum Colliculus superior und zum Zerebellum projiziert.
Folgende Bewegungen sind am Auge möglich: Abduktion, Adduktion, Elevation, Depression, Außen- und Innenrotation, konjugierte und Vergenzbewegungen.
Augenmuskulatur
Das Auge wird von 6 äußeren, vier geraden und zwei schrägen, und drei inneren Augenmuskeln bewegt (Abbildung 1).
Abbildung 1: Aufbau Augenmuskeln (Foto: istock)
Die äußeren Augenmuskeln gehören zur Skelettmuskulatur, sind willkürlich, ermöglichen Augenbewegungen in drei Freiheitsgraden (vertikal, horizontal, torsionell) und dienen dem Anheben des Augenlides bei Änderung der Blickrichtung. Die inneren Augenmuskeln gehören zur glatten Muskulatur und dienen der Akkomodation. Sie beeinflussen die Form der Linse und der Pupillenweite und sind somit auch an der Pupillomotorik beteiligt.
Der N. oculomotorius (N. III) innerviert alle äußeren Augenmuskeln (inklusive M. levator palpebrae superioris) mit Ausnahme des M. obliquus superior (N. trochlearis, N. IV) und des M. rectus lateralis (N. abducens, N. VI). Im N. oculomotorius verlaufende parasympathische Fasern innervieren den M. ciliaris und den M. sphincter pupillae. Die Augenmuskelkerne liegen am Boden des 4. Ventrikels im Hirnstamm und sind durch den Fasciculus longitudinalis posterior miteinander verbunden. Kortikonukleäre Bahnen verbinden die Blickzentren und die Augenmuskelkerne. Weiterhin bestehen enge Verbindungen zum zentralen Vestibularapparat und zum Zerebellum.
Smooth pursuit eye movements (SPEM)
Langsame Augenfolgebewegungen, auch "smooth pursuit eye movements" (SPEM) genannt, dienen der Verfolgung eines sich bewegenden Objektes in frontoparalleler Ebene zur Projektion eines stabilen Bildes auf der Retina (Fovea). In horizontaler Richtung sind sie physiologisch glatt, in vertikaler Richtung können sie auch bei gesunden Personen leicht sakkadiert sein, insbesondere bei der Blickfolge nach unten. Bei PK Patient*innen sind SPEM verlangsamt und durch kleine Mikro-Sakkaden unterbrochen (sakkadiert). Diese sakkadierte Blickfolge wird in der Literatur auch als „Zahnradphänomen“ beschrieben, was diesem in der Tat sehr nahekommt, nur dass man es sehen und nicht fühlen kann. Das Verhältnis der Augen- zur Stimulus-Geschwindigkeit wird als "pursuit gain" bezeichnet und ist bei PK vermindert, ebenso die binokulare Koordination. Lepore (2006) verwendet den Begriff okuläre Diskonjugation (ocular dysconjugacy) für das gestörte Muskelgleichgewicht beider Augen und die daraus resultierende Diplopie.
Zusammengefasst bewegen PK-Patient*innen ihre Augen langsamer, sie haben Schwierigkeiten, ein sich bewegendes Objekt zielgenau mit den Augen zu verfolgen (reduzierter gain) und die sonst harmonischen, glatten Folgebewegungen sind sakkadiert. Es besteht eine seitendifferente "Bradykinese", ein "Zahnradphänomen" und eine Dysmetrie der SPEM.
Sakkaden
Sakkaden (schnelle Augenbewegungen oder Blicksprünge) zählen zu den konjugierten Augenbewegungen und werden noch mehrfach unterteilt, unter anderem in Willkür- und Reflexsakkaden. Rasche Phasen des optokinetischen und vestibulären Nystagmus und die raschen Augenbewegungen im REM-Schlaf (Rapid Eye Movements) werden ebenfalls zu den Sakkaden gezählt. Pathologisch bei PK sind verlängerte Latenzen, reduzierte Geschwindigkeiten und Dysmetrie. Dabei sind die vertikalen Sakkaden stärker und eher betroffen als die horizontalen. Vertikale Sakkaden könnten somit als Biomarker in der Frühdiagnostik Einsatz finden, horizontale Sakkaden sind ein Hinweis auf den Schweregrad der Erkrankung.
Augenstellung
Folgende Abweichungen von einer normalen Augenstellung werden beschrieben: Hypertropie (Höhenschielen, Strabismus vertikalis), Exotropie (Auswärtsschielen, Strabismus divergens), Heterotropie (Begleitschielen), Heterophorie (latente Abweichung der Sehachse nach außen) und Esotropie (Einwärtsschielen, siehe Abbildung 2), Strabismus convergens). Bei genauer Betrachtung der Augenmotilität fallen diese Stellungsanomalien auch klinisch auf (Beobachtung der Autorin).
Abbildung 2: Exotropie links (Foto icsoti)
Oszillatorische Fixationsinstabilität
Die oszillatorische Fixationsinstabilität (Augentremor) kann zu Verschwommensehen führen und ist bereits in frühen Krankheitsstadien nachweisbar.
Optokinetischer Nystagmus (OKN)
Der OKN wird kortikal und subkortikal gesteuert. Der vertikale OKN ist häufig stark asymmetrisch, besonders für vertikal nach unten gerichtete Reize. Auch eine Verlangsamung der langsamen Phase des OKN wird beschrieben.
Konvergenz
Unter Konvergenzreaktion versteht man einen Regelkreis, der zeitgleich mit Beginn einer langsamen, diskonjugierten Bewegung der Augen nach nasal zu Miosis und Akkomodation führt, um Sehobjekte in der Nähe scharf abbilden zu können. Dabei wird die Entfernung, in der das Objekt gerade noch einfach gesehen werden kann, nicht doppelt, Konvergenznahpunkt genannt. In fast allen Arbeiten findet man bei PK eine schlechtere Konvergenzfähigkeit (siehe Abbildung 3), welche sich allerdings in Studien unter dopaminerger Therapie signifikant bessern ließ. Ein Hinweis darauf, dass die Konvergenzschwäche bei PK in den off-Phasen größer ist als in den on-Phasen. Wenn Patient*innen im off über Verschwommensehen klagen, könnte dies eine der Ursachen sein. Die Häufigkeit von Doppelbildern durch eine gestörte Konvergenz bei PK nimmt mit der Dauer der Erkrankung zu und liegt bei 10 - 30 %. Risikofaktoren scheinen neben einer erhöhten Tagesmüdigkeit u.a. auch das Verfolgen schneller Sehobjekte zu sein, z.B. das Verfolgen eines Fußballspiels im TV (Beobachtung der Verfasserin). Davon lässt sich ableiten, dass Doppelbilder bei PK nicht in jedem Fall permanent, sondern auch situativ "provoziert" auftreten können. Medikamentöse Einflüsse (z.B. Zunahme unter einer Therapie mit Dopaminagonisten) können ebenfalls auslösend in Frage kommen.
Abbildung 3: Seitendifferente Konvergenzparese (Foto icsoti)
Zur Naheinstellungsreaktion gehört auch eine Miosis. Man versteht darunter im physiologischen Fall eine zeitlich begrenzte Engstellung der Pupille. Ihre Flexibilität erfolgt über den kräftigen M. sphincter pupillae (parasympathische Fasern des Ncl. oculomotorius, Edinger-Westphal-Kern) und den sympathisch innervierten M. dilatator pupillae. Neben der Konvergenz ist Lichteinfall ein physiologischer Reiz zur Verengung der Pupille (Lichtreflex). Außer Lichteinfall, Akkomodation und Drogeneinfluss reagiert die Pupille jedoch aufgrund der autonomen Innervation auch auf affektive Reize, Angst führt zu einer Aktivierung des Sympathikus mit Mydriasis. Amstrong (2015) beschreibt als Zeichen der autonomen Denervierung bei PK eine Anisokorie mit Zunahme bei Lichteinfall sowie schwächere und verlangsamte Pupillenexkursionen bei Dunkeladaptation.
Zusammenfassend sind Konvergenzbewegungen verlangsamt und unvollständig im Sinne einer Konvergenzparese, welche zu Augen- und Kopfschmerzen, Ermüdung, Verschwommensehen und Doppelbildern sowie einer verlangsamten Hell-Dunkel-Adaptation führen kann. Es besteht eine "Bradykinese" der motorischen Konvergenzfunktion, eine Seitendifferenz und eine gestörte Pupillenreaktivität aufgrund der begleitenden parasympathischen Denervierung.
Blickparesen
Eine konjugierte Blickparese bezeichnet die Unfähigkeit, beide Augen gemeinsam in eine bestimmte horizontale oder vertikale Richtung zu bewegen. Blickparesen sollten bei der primären Parkinson-Krankheit eigentlich nicht auftreten, sie wären ein Ausschlusskriterium, eine leichte Beeinträchtigung beim Aufwärtsblick kann jedoch bei älteren Patienten durchaus vorkommen. Interessant sind Blickparesen eher in der Differenzialdiagnose atypischer Parkinson-Syndrome. Dies würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Diagnostik
Fast alle genannten Störungsbilder können im Rahmen der neurologischen Untersuchung auch ohne gerätegestützte Diagnostik beurteilt werden. SPEM und Sakkaden können zudem mit der Video-Okulographie sehr gut dokumentiert werden. Bezüglich der Pupillengröße gibt es kleine handliche Pupillometer, welche innerhalb von Sekunden Pupillengröße und Lichtreaktivität messen und bildlich wiedergeben.
Autorin:
Quellen
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