Seit Jahrzehnten arbeiten sich Ärzte an der Frage ab, was der PSA-Test eigentlich bringt. Das zeigen die unzähligen Empfehlungen der letzten Jahre. Wir bringen dich durchs Leitlinien-Chaos.
Die Früherkennung von Prostatakrebs kommt einfach nicht aus dem Quark. Seit Jahrzehnten dürfen sich Männer auf Kassenkosten rektal abtasten lassen, den PSA-Test müssen sie hingegen als Individuelle Gesundheitsleistung aus eigener Tasche bezahlen. Wissenschaftlich ist die Tastuntersuchung ein Blindgänger und auch der PSA-Test zündete – für viele sicher unerwartet – nicht so recht. Um seinen Nutzen zu belegen, organisierten die Fachgesellschaften mit gewaltigem Aufwand randomisierte Studien mit tausenden Männern und bis zu 20 Jahren Laufzeit, allen voran die US-amerikanische PLCO-Studie und die europäische ERSPC.
Doch trotz aller Mühen ergab sich daraus kein klares Votum für oder gegen den PSA-Test. Stand der Dinge jetzt: Der PSA-Test kann wenige Männer vor dem Tod durch Prostatakrebs bewahren, aber viele zahlen einen hohen Preis. Gesundheitsinformation.de – das Patientenportal des IQWiG – stellt zu Nutzen und Schaden folgende Rechnung an: Wenn 1.000 Männer zwischen 55 und 69 jährlich einen PSA-Test machen lassen, bekommen 380 von ihnen irgendwann ein auffälliges Ergebnis und bei 130 findet die Biopsie tatsächlich Krebszellen. Diese Männer, nun also Krebspatienten, werden dann entweder eng überwacht, bestrahlt oder operiert.
Am Ende rettet der PSA-Test 3 Männern das Leben. Dafür werden 250 Männer, das ist jeder vierte, unnötigerweise biopsiert, weil der erhöhte PSA-Wert offenbar andere Ursachen hatte. Noch schlimmer: 60 Männer werden unnötigerweise behandelt, weil ihr Krebs nie aufgefallen wäre, wenn man nicht nach ihm gesucht hätte. Sie sind dann womöglich zeitlebens inkontinent und impotent.
Wie wenig die wissenschaftliche Diskussion um die Früherkennung vorankommt, zeigt schön die Entwicklung der S3-Leitlinie Prostatakarzinom. Obwohl es in den vergangenen 15 Jahren durch die Screening-Studien einen deutlichen Zuwachs an Evidenz gab, veränderten sich die Empfehlungen kaum. Der Grund: Dank der Studien wissen wir heute viel genauer, wie schwierig die Nutzen-Schaden-Abwägung ist – aber schwierig ist sie halt immer noch.
Die tatsächlichen Veränderungen von der ersten bis zur heute siebten Version sind wohl eher dem Wunsch geschuldet, Patienten in Entscheidungen einzubeziehen und ihnen nicht zu schaden – das Informieren tritt in den Vordergrund und die Ratschläge zu den Tests werden behutsam immer zurückhaltender.
So wurde die Prostatakrebs-Leitlinie wie sie heute ist. Die einzelnen Schritte:
Aber vielleicht tut sich ja jetzt was. Anfang April erschien in JAMA das 15 Jahre Follow-Up der Cluster Randomized Trial of PSA Testing for Prostate Cancer (CAP-Studie). Rund 300 Praxen in England und Wales boten Männern einmalig einen PSA-Test an, nochmal so viele Praxen dienten als Kontrolle. Insgesamt wurden etwa 400.000 Männer im Alter von durchschnittlich knapp 60 Jahren in die Inventions- und die Kontrollgruppe eingeschlossen.
Ein grundsätzliches Problem aller Screeningstudien zeigt sich auch hier: Teilnehmer der Interventionsgruppe bekommen den Test zwar angeboten, sie müssen ihn aber nicht machen. Ebenso ist die Kontrollgruppe mehr oder weniger stark mit Teilnehmern kontaminiert, die sich trotz Kontrollstatus testen lassen. Genau genommen bilden Screeningstudien also nicht die Effektivität der Tests, sondern der Angebote ab. In der CAP-Studie ließen sich 40 % der Männer in der Interventionsgruppe und geschätzt 10 bis 15 % in der Kontrollgruppe testen.
Die Ergebnisse: Das kumulative Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, lag in der Interventionsgruppe bei 0,69 %, und in der Kontrollgruppe signifikant höher, nämlich bei 0,78 %. Die Differenz von 0,09 % bedeutet umgerechnet etwa einen verhinderten Prostatakrebs-Todesfall auf 10.000 Männer, denen ein Test angeboten wurde, oder 4.000 Männer, die tatsächlich einen Test machten. Bedenkt man, dass der Test nur einmalig angeboten wurde und sich auch in der Kontrollgruppe Männer testen ließen, dürfte der Effekt eines regelmäßigen PSA-Screenens größer sein. Damit liegt der Nutzen etwa in dem Bereich, den das IQWiG aus den bisherigen Studien ermittelt hat.
Der Vollständigkeit halber seien auch noch die weiteren Ergebnisse der CAP-Studie erwähnt: Todesfälle durch andere Erkrankungen hatte das Screenen offenbar nicht zur Folge. Wie zu erwarten, waren die Tumore in der Interventionsgruppe eher in einem früheren Stadium und lokalisierter und sie wurden im Schnitt 1,22 Jahre früher erkannt.
Fazit: Auch die CAP-Studie wird die Screening-Empfehlungen der Leitlinie nicht weiterbringen. Der aktuelle Rat hat also weiter Bestand: Wenn Männer zu einer Risikogruppe gehören oder von sich aus nachfragen, sollen sie ausgewogen über die Vor- und Nachteile des Screenens mit dem PSA-Test informiert werden. Eine Frage ist höchstens, warum das Abtasten über den After, dieses Relikt aus einer Vorsorge-überoptimistischen Zeit, immer noch mitgeschleift wird.
Quellen:
Martin et al; CAP Trial Group. Prostate-Specific Antigen Screening and 15-Year Prostate Cancer Mortality: A Secondary Analysis of the CAP Randomized Clinical Trial. JAMA, 2024. doi: 10.1001/jama.2024.4011.
S3-Leitlinie Prostatakarzinom.
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