Übergewicht ist längst zu einem weltweiten Problem geworden. Neben der Ernährungsweise scheinen auch genetische Faktoren eine Rolle zu spielen. Wissenschaftler sind dabei, eine Pille gegen überflüssige Pfunde zu entwickeln.
Jeder dritte Mensch auf der Erde ist zu dick. In den letzten 30 Jahren hat die Zahl der übergewichtigen Menschen weltweit zugenommen. Trugen 1980 noch 28,8 Prozent der Männer und 29,8 Prozent der Frauen zu viele Kilos mit sich herum, wiesen im Jahr 2013 bereits 36,9 Prozent der Männer und 38,0 Prozent der Frauen einen BMI über 25 kg/m2 auf. Auch Kinder und Jugendliche werden immer dicker. Dieser Trend ist nicht nur in den Industrienationen, sondern zunehmend auch in Entwicklungsländern zu beobachten, wie eine kürzlich in The Lancet veröffentlichte Studie zeigte. Die ernüchternde Erkenntnis: In den letzten 33 Jahren konnte weltweit kein einziges Land die Zahl seiner übergewichtigen Einwohner senken. Zeit, neue Wege zu beschreiten?
Natürlich spielt die Kalorienbilanz bei der Entstehung von Übergewicht eine zentrale Rolle, doch ausschließlich auf die Ernährung lässt sich das Problem nicht reduzieren. Denn anders als vielleicht landläufig vermutet, sind nicht etwa die Amerikaner oder die Mexikaner das dickste Volk der Erde. Vielmehr führen die kleinen Inselstaaten Tonga, Samoa und Kiribati die Liste der Länder mit den meisten übergewichtigen Einwohnern an. Neben kulturellen Eigenheiten wie einem anderen Schönheitsideal als in den westlichen Ländern, könnte die Leibesfülle der Inselbewohner auch genetische Ursachen haben. Denn bis die Engländer im 19. Jahrhundert kamen, waren die Inselvölker lange Zeit praktisch unter sich – auch genetisch betrachtet. Als die kleinen Inseln vor etwa 4000 Jahren von den ersten Siedlern heimgesucht wurden, überlebten wahrscheinlich nur diejenigen, die ihre Nahrung besonders effektiv in Energie umsetzen konnten. Dieser genetische Überlebensvorteil wurde innerhalb der Inselvölker von Generation zu Generation weitergegeben - bis heute. Trifft diese genetische Grundausstattung auf eine westlich geprägte Ernährungsweise, hat das fatale Folgen für die Leibesfülle der Inselbewohner.
Die Aufklärung der Bevölkerung über einen gesunden Lebensstil stellt eine wichtige Säule im Kampf gegen die massive Zunahme von Übergewichtigen dar. Zusätzlich versuchen Wissenschaftler seit geraumer Zeit, das schwerwiegende Problem auch von anderer Seite her in den Griff zu bekommen - mit einer Pille gegen Übergewicht. Das Protein FFA4 könnte einer der Akteure sein, die maßgeblich an der Ausprägung von Übergewicht beteiligt sind. Denn es ist in der Lage, verschiedene physiologische Aktivitäten zu stimulieren: FFA4 kann sowohl die Produktion von Appetit-kontrollierenden Hormonen, als auch von Hormonen, die die Aufnahme von Nährstoffen aus dem Darm steuern, anregen. Es kommt in der Membran von Darm-, Immun- und Fettzellen vor und wird durch langkettige, freie Fettsäuren aktiviert, die wir über die Nahrung aufnehmen. Ist das der Fall, sorgt FFA4 dafür, dass Hormone ausgeschüttet werden, die den Appetit bremsen und die Aufnahme von Zucker aus dem Blut erhöhen.
„Bei manchen Menschen funktioniert dieses Protein nicht richtig. Sie haben ein stark erhöhtes Risiko, adipös zu werden und an Diabetes Typ-2 zu erkranken“, erklärt Bharat Shimpukade von der University of Southern Denmark. Zusammen mit Wissenschaftlern von der University of Glasgow sucht Shimpukade nach Molekülen, die FFA4 aktivieren können. Doch das ist gar nicht so einfach. „Es gibt eine nahezu unendlich große Anzahl an Molekülen, die wir synthetisieren und dann auf ihre Fähigkeit hin überprüfen können, FFA4 zu aktivieren“, so Shimpukade. Um diese langwierige Laborarbeit zu umgehen, haben die Wissenschaftler eine andere Strategie entwickelt: „Wir haben ein Computermodell von FFA4 etabliert, mit dem wir am Bildschirm testen können, ob ein Molekül an FFA4 binden kann. Auf diese Weise können wir tausende Moleküle innerhalb kürzester Zeit testen, bevor wir ihre Funktion im Labor überprüfen. Das wird die Entwicklung eines Wirkstoffes gegen Übergewicht und Diabetes Typ 2 wesentlich beschleunigen“, prophezeit Bharat Shimpukade.
Bereits im Jahr 2012 hatten der Wissenschaftler und seine Kollegen den ersten selektiven Aktivator von FFA4 publiziert, der heute dazu benutzt wird, die Funktionen des Proteins zu untersuchen. Das Molekül kann FFA4 zwar einwandfrei aktivieren, als arzneilicher Wirkstoff eignet es sich jedoch nicht, da es im menschlichen Körper nicht ausreichend stabil ist. „Wir brauchen eine Verbindung mit größerer Wasserlöslichkeit und besserer Stabilität“, so Shimpukade, und weiter: „Sie muss im Körper so lange intakt bleiben, bis sie ihren Job gemacht hat. Andererseits sollte die Verbindung aber auch nicht für immer stabil sein.“ Mit Hilfe des Computermodells wird er das optimale Molekül bald finden, da ist sich Bharat Shimpukade sicher. Doch wird das die Lösung des massiven, weltweiten Problems sein?