KOMMENTAR | Ein „Feuerbrand der Influenza“ wütet unter jungen Menschen. Doch die aktuelle Impfempfehlung der STIKO geht an der Realität vorbei. Ist eine Impfempfehlung für alle die Rettung?
Ein Text von Dr. Ulrich Enzel
Influenza – das ist doch eine hoch infektiöse Virus-Krankheit, die nur für über 60-Jährige oder Jüngere mit einer Grundkrankheit gefährlich werden kann! Die aktuelle Impfempfehlung der STIKO, die zentral auf diese Gruppen zielt, zwingt geradezu zu dieser Fehleinschätzung. Die Realität sieht ganz anders aus: Mehr Kleinkinder als Alte erkranken schwer an Influenza und benötigen stationäre Betreuung. Seit den COVID-19-Lockdowns werden sogar Jugendliche oftmals Opfer schwerster und komplizierter Influenza-Verläufe. In allen Altersgruppen sind bakterielle Überinfektionen, v.a. durch Otitis media und Bronchopneumonie häufige Komplikationen. Überwiegend bei männlichen Jugendlichen drohen Myokarditiden, die tödlich verlaufen können und dies zumeist bei solchen ohne jegliche Vorerkrankungen. Weltweit kommt es jedes Jahr zu 11.500 bis 28.100 Influenza-bedingten Todesfällen in den Altersgruppen von 0 bis 18 Jahren.
Doch diese große Gefährdung der Kinder und Jugendlichen selbst ist nur die eine Seite der „Influenza-Medaille“. Ganz im Gegensatz zur Übertragung bei COVID-19 stellen diese jungen Altersgruppen das wichtigste Reservoir dar für Influenza-Viren. 20 bis 30 % dieser Jungen tragen Winter um Winter – teilweise über viele Wochen – Influenza Viren im Nasenrachenraum. Zumeist als stille, aber gefährliche Virus-Vehikel, die keinerlei Krankheitszeichen verursachen, niemals schützende Isolierungs-Maßnahmen verlangen. Bei den über 60-Jährigen stellen dagegen nur 5 bis 10 % solche Virus-Träger dar. Dieser junge „Feuerbrand der Influenza“ gefährdet gerade die Alten und chronisch Kranken extrem.
Es ist sinnvoll, diese „alten und kranken“ Hochrisikogruppen für schwerste, ja tödliche Influenza-Verläufe durch konsequentes Impfen zu schützen. Doch wissen wir alle, dass gerade in dieser Klientel eine Influenza-Impfung in der Regel nur eine leicht gesteigerte Immunität induzieren kann und längst kein hundertprozentiger Impfschutz gegen diese Virus-Infektion erzielt wird. Können wir diese hoch Gefährdeten nicht noch weitaus besser schützen?
Das individuelle Erkrankungsrisiko der Kinder und Jugendlichen schreit geradezu nach einer Impfung. Ebenso das Gemeinwohl, das durch eine Impfung potenzieller – eben vor allem junger – Überträger eine optimale Herden-Immunität erreicht.
Nicht nur der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordert vehement eine solche Impfung. Andere Länder, auch direkt benachbarte, haben diese Influenza-Impfung von Kindern längst eingeführt. So empfiehlt die französische Impf-Kommission seit 2023 alle Kinder ab dem 7. Lebensmonat bis zum 9. Lebensjahr im ersten Jahr zweimal, dann in jedem Folgejahr erneut einmal gegen Influenza zu impfen. In England wird ein solcher Influenza-Schutz bei Kindern schon seit vielen Jahren durch eine nasale Lebendimpfung (LAIV) erreicht, deren hohe Effizienz beim „Schutz der Alten“ vielfach in Studien gesichert werden konnte.
Und die praktische Durchführung dieser Influenza-Impfung im Kindes- und Jugendalter ist wirklich ein Kinderspiel! Fast alle Influenza-Impfstoffe sind bereits ab dem 7. Lebensmonat zugelassen. Bei einigen soll in den ersten Lebensjahren nur mit halber Dosis, bei der Erstimpfung aber zweimal mit einem Abstand von mindestens vier Wochen geimpft werden. Der nasale Lebendimpfstoff ist ab dem 3. bis zum 18. Lebensjahr zugelassen. In einigen Bundesländern ist die Influenza-Impfung schon seit vielen Jahren ab dem Alter von sieben Monaten Kassenleistung, in vielen anderen wird sie als freiwillige Satzungsleistung von Krankenkassen übernommen.
Influenza-Impfung bei Kindern und Jugendlichen sind eine für den Individual- wie Herdenschutz hoch effiziente Maßnahme. Das Impfen ist also eine ebenso wichtige wie sinnvolle Aufgabe für jede Praxis, die diese Altersgruppen ärztlich betreut. Die nächste Influenza-Saison ist gar nicht mehr fern – ab September sollte deshalb beim alljährlichen Influenza-Impfprogramm an die Gefährdeten sowie gefährdenden Kinder und Jugendlichen gedacht werden.
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