Nach möglichen Qualitätsmängeln in einer Mammographie-Screening-Einheit griff die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein hart durch: Ein Radiologe darf nicht mehr als programmverantwortlicher Arzt tätig sein. Zu Recht? Insider sprechen hinter vorgehaltener Hand vom Konkurrenzkampf.
Essen kommt beim Thema Brustkrebs nicht zur Ruhe. Ältere Kollegen erinnern sich noch an die Machenschaften des kriminellen Pathologen Josef Kemnitz: Er hatte Mitte der 1990er-Jahre bei rund 300 kerngesunden Frauen Mammakarzinome diagnostiziert. Etliche Amputationen folgten ohne medizinische Notwendigkeit. Als der Skandal 1997 aufflog, legte Kemnitz Feuer in seinem Labor, um Gewebeproben zu vernichten. Nach seinem Suizid ermittelten Staatsanwälte erfolglos gegen weitere Ärzte. Jahre später sorgen Mammographien in der Region erneut für Aufsehen. Zum Hintergrund: Mammographie-Screening-Programme sind mit hohen Anforderungen verbunden. Kassenärztliche Vereinigungen prüfen sowohl die Eingangsqualifikation als auch deren Aufrechterhaltung bei Ärzten beziehungsweise radiologischen Fachkräften. Darüber hinaus begutachtet die Kooperationsgemeinschaft Mammographie beim Start Aspekte zur Organisation und zur apparativen Ausstattung. Nach sechs Monaten werfen Experten einen kritischen Blick auf Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualitäten. Weitere Begutachtungen folgen alle 30 Monate. Genau hier gab es bei der Essener Screening-Einheit Probleme.
Im April 2013 stellten Gutachter „gravierende Mängel“ fest, berichtet die Kooperationsgemeinschaft Mammographie. Standards seien nicht erfüllt worden. Ein programmverantwortlicher Arzt konnte nicht nachweisen, pro Jahr mindestens 50 Biopsien durchgeführt zu haben. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNo) reagierte und entzog ihm seinen Versorgungsauftrag für das Mammographie-Screening. Bereits 2010 verhängte die KVNo entsprechende Maßnahmen gegen zwei Ärzte, nachdem deren Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) zerbrochen war. Dagegen legten die Betroffenen Widerspruch ein, was eine aufschiebende Wirkung nach sich zog. Schließlich führte ein Mediziner das Screening allein weiter, bis kritische Stimmen ihm eine mangelnde Qualifikation vorwarfen. Durch die gescheiterte Rezertifizierung nahm die Sache erneut an Fahrt auf. „Das ist der Zweck der Qualitätssicherung. Sollte ein Arzt das hohe Niveau im Screening nicht halten können und seiner Verantwortung nicht nachkommen, sollte er keine Untersuchungen im Programm anbieten können“, sagt Tatjana Heinen-Kammerer, Geschäftsstellenleiterin der Kooperationsgemeinschaft Mammographie. Ende 2013 war ein Sofortvollzug durch KVNo-Vertreter möglich, Befundungen wurden aber nicht kritisiert.
Während Verantwortliche vom berühmten „Einzelfall“ sprechen und den Wert qualitätssichernder Maßnahmen betonen, bleibt bei vielen Patientinnen großes Unbehagen. Grund genug für die KVNo, selbst aktiv zu werden. Sie vereinbarte mit dem Referenzzentrum Mammographie in Münster, allen Patientinnen auf Wunsch eine weitere Befundung zu ermöglichen. Fragen der Finanzierung sind noch offen – allerdings versprach die KVNo, hier in Vorleistung zu treten. Hinzu kommen knappe medizinische Ressourcen: Würden sich nur einige Prozent aller 20.000 Frauen, die pro Jahr am Screening teilnehmen, erneut untersuchen lassen, gäbe es massive Kapazitätsengpässe. Bislang seien bei Nachuntersuchungen keine auffälligen Befunde festgestellt worden, berichtet die KVNo in einer Stellungnahme.
Jetzt müssen sich Juristen mit der Angelegenheit befassen. Der Betroffene wies alle Vorwürfe zurück und versuchte, seine Genehmigung als programmverantwortlicher Arzt zu behalten – momentan ohne Erfolg: Vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wurde sein Widerruf abgelehnt. Eine Entscheidung in der Hauptsache gibt es noch nicht. Auch arbeitet der Radiologe weiter im Screening. Bei der Qualitätssicherung wurden seine Biopsie-Qualifikationen kritisiert, aber nicht seine Befundungen. Laut Staatsanwaltschaft habe es darüber hinaus mehrere Anzeigen von Patientinnen gegeben, ohne dass Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen bestünden. Rückendeckung erhält der gebashte Radiologe von vier der fünf Essener Kliniken für Frauenheilkunde. Gemeinsam schreiben sie an die KVNo, zu jedem Zeitpunkt sei „unabhängig vom programmverantwortlichen Arzt eine hohe Qualität der Screening-Konferenz und insbesondere der Abklärungsdiagnostik zu verzeichnen“. Die Kliniken Essen-Mitte unterzeichneten den Brief nicht – aus dieser Richtung kamen auch entsprechende Vorwürfe gegen den Kollegen. Insider aus dem Kammerbezirk sprechen von anderen Hintergründen, allen voran einer starken Konkurrenzsituation in Essen. Zudem liegt der öffentlich gebrandmarkte Radiologe mit einem früheren Partner im Clinch, der jetzt als Konkurrent auftritt. Vielleicht schaffen es Richter, entsprechende Nebel zu lichten.