Stichverletzungen gehen im Rettungsdienst oft mit einer spektakulären Gesamtsituation einher. Wie ich damit umgehe und was die wichtigsten Maßnahmen sind, erfahrt ihr hier.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Messerstichverletzungen sind nicht nur etwas besonders Seltenes, sondern präsentieren sich meist auch in einer spektakulären Gesamtsituation. Oft geht eine tätliche Auseinandersetzung voraus – das bedeutet viel Blaulicht und Polizei, viel Action. Oft läuft der Polizeieinsatz sogar noch, wenn wir dazu kommen. Es gibt aber auch tragische Fälle von Selbstverletzungen. Ich habe schon einen Menschen behandelt, der sein Messer eingespannt hat und selbst reingelaufen ist. Oder auch Unfälle – ein Kind rennt in die Küche, der Vater schneidet gerade Tomaten, dreht sich um, das Kind rennt ins Messer.
Wie so oft, ist es von größter Wichtigkeit, sich nicht von den Umgebungsbedingungen ablenken zu lassen. Weder im spektakulären Gewusel des SEK-Einsatzes noch durch viel Blut. Im Folgenden habe ich ein paar wesentliche Erkenntnisse aus der Notfallversorgung von Messerstichverletzungen zusammengetragen.
Medizin ist weit komplexer, als es so ein locker geschriebener Artikel vermuten lässt. Einsätze verlaufen oft dynamisch, Anwesende haben selten alle Informationen. Bei identischem Verletzungsmuster kann eine Entscheidung in dem einen Setting uneingeschränkt korrekt, in dem anderen Setting zumindest diskussionswürdig sein. Die äußeren Umstände sind immer anders. Entfernung bis zur nächsten Klinik, Entfernung bis zur nächsten für dieses spezielle Verletzungsmuster geeigneten Zielklinik, Wetter, Uhrzeit, Zusammensetzung des Teams, verfügbare Transportmittel, Umgebungsbedingungen (Fußballspiel in der Stadt, Großdemonstration … ).
Messerstichverletzungen und deren Versorgung finden sich oft in der Presse wieder und ich lese darunter auch immer wieder Kommentare (am liebsten auf YouTube) von (selbsternannten) Experten, die alles besser wissen – warum man dies und jenes hätte machen müssen und warum da absolute Klappspaten am Werk waren, weil man selbst das so und so gelöst hätte. Sowas ist unprofessionell und respektlos. Man kann Einsätze gerne debriefen – und gerade so spektakuläre und seltene Einsätze wie den in Mannheim muss man in geeigneter Atmosphäre nachbesprechen – aber bitte sachlich und in Kenntnis aller Umstände und nicht auf Basis einer Handvoll Informationen aus einem Video in den Nachrichten.
Ich habe so viele Artikel und Kommentare zu Einsätzen gelesen, bei denen ich selbst vor Ort war und genau wusste, warum ein Einsatz so und nicht anders sehr gut gelaufen ist. Und wie oft hätte ich mir nach einem solchen Einsatz Ninja_650 oder Taunustobi89 gerne geschnappt, um ihnen zu sagen: „Jetzt pass mal auf – das war so und so und du hast nicht den Hauch einer Ahnung, also halt gefälligst den Rand!“ Stattdessen klappe ich dann den Laptop zu und atme das beim Sport weg.
Wie versorgt man also eine Stichwunde oder eine Verletzung nach einem Messerstich? Das Allerwichtigste ist immer der Selbstschutz. Die entscheidende Frage, bevor man irgendetwas macht, muss lauten: Sind wir hier sicher? Sind wir in einer Polizeilage oder in einer Rettungsdienstlage? Läuft vielleicht sogar noch ein Täter frei herum? Bis das nicht geklärt ist, muss man extrem vorsichtig sein. Es bringt niemandem der Opfer etwas, wenn wir selbst zu Opfern werden.
Falls alles sicher ist, gilt es nach ABCDE zu behandeln, oder besser cABCDE bzw. xABCDE. Verschiedene Abkürzungen, die alle das gleiche bedeuten: Behandle zuerst, woran der Patient zuerst stirbt. Und bei einem Trauma ist das meist die spritzende Blutung (hier mit c bzw. x für Exsanguination beschrieben).Deshalb ist das auch die einzige Ausnahme, bei der man selbst bei einem A-Problem trotzdem erst zügig die spritzende Blutung stoppen würden, um dann weitere Probleme zu adressieren. Aber wir verlieren uns heute nicht in Begriffsdefinitionen, das überlasse ich Lehrbüchern. Wir konzentrieren uns nur auf die Messerstichverletzung. Was kann man als Ersthelfer nun bei einer Messerstichverletzung tun? Die entscheidende Frage ist: Wie groß ist das Messer und welchen Körperteil hat das Messer verletzt?
Eine oberflächliche Schnittverletzung, zum Beispiel eines Fingers, kann man problemlos selbst behandeln. Bei einem spitzen Thorax- oder Abdominaltrauma sieht das Ganze anders aus. Ein Messer steckt – warum auch immer – in Brust, Bauch oder Rücken. Die allerwichtigste Regel: NIEMALS, wirklich niemals wird das Messer von einem von euch rausgezogen!
Nehmen wir mal an, das Messer hat ein wichtiges Gefäß durchstoßen. Dann besteht die geringe Chance, dass das noch steckende Messer genau dieses Gefäß noch teilweise oder ganz verschließt. Zieht man es jetzt raus, hat die Blutung freie Bahn und die bekommt man so schnell nicht gestoppt. In jedem Fall solltet ihr sofort die 112 zur Hilfe dazurufen (und die schickt meist direkt die Polizei mit oder umgekehrt). Es gilt dann genau abzuwägen, ob der Patient von einer Stabilisierung und Versorgung vor Ort profitiert (selten) oder so schnell wie möglich in eine Klinik mit der Möglichkeit zur Schwerverletztenversorgung gebracht werden kann.
Wenn kein Messer mehr steckt gilt hier wie immer: Blutungen stoppt man immer mit Druck. Aus der Wunde kommt Blut mit hohem Druck – also muss man von außen mit entsprechend hohem Druck dagegen drücken. Das kann man, je nach Größe der Wunde, mit einer einfachen Kompresse, zur Not tut es auch ein (Taschen-)Tuch. Auch empfiehlt sich: Ruhe bewahren. Das schreibt sich deutlich einfacher, als man das in der Situation beherzigen kann! Ein Verband bleibt außerdem drauf, bis der Rettungsdienst da ist. Die entscheiden dann, ob man nochmal drunter schaut um ggf. die passende Zielklinik auswählen zu können.
Ganz besonders gefährlich sind Messerstichverletzungen – wer hätte es geahnt – im Bereich des Herzens. Bis vor ein paar Jahren blieb hier nur die Möglichkeit in die nächste Klinik zu fliegen, in der Hoffnung, dass es der Patient bis dahin schafft. Heute wissen wir, dass einige Patienten von einer Versorgung am Einsatzort profitieren. Diese müssen nach definierten Kriterien ausgewählt werden und es erfordert von dem versorgenden Team eine extrem spezialisierte Expertise, die auch nicht jeder Notarzt vorweisen kann. In sehr speziellen Fällen kann neben einer Eröffnung der beiden Brusthöhlen über eine Minithorakotomie eine Eröffnung des Brustkorbs mit Exploration des Herzens notwendig sein – die Clamshell-Thorakotomie.
Wenige Dinge wurden in den letzten Jahren in der Notfallmedizin so heiß diskutiert, wie der Sinn und Nutzen einer Clamshell-Thorakotomie. Ich will dieses Fass hier nicht weiter aufmachen. Es sei nur so viel gesagt: Hierbei wird der Brustkorb mit einer Schere von beiden Seiten aufgeschnitten und hochgeklappt. Danach sieht man die Lungen und das Herz im Herzbeutel. Auch der Herzbeutel wird daraufhin eröffnet, um eventuell behebbare Ursachen eines durch eine Verletzung bedingten Kreislaufstillstandes zu erkennen und vielleicht sogar behandeln zu können. Das Verfahren sieht nicht nur brutal aus, sondern es wird für umstehende Personen sicher verstörend sein. Falls irgend möglich, sollten nur die unbedingt erforderlichen Personen anwesend sein.
Ohne zu sehr in die Details zu gehen, sind mir ein paar Dinge wichtig: Es braucht eine Indikation zur Durchführung und die Indikation ist nicht „ich zeige euch jetzt mal, wie das geht“. Das Team muss erfahren in der Durchführung sein, es muss die benötigte Ausrüstung vorhanden sein, die Umgebung muss passen und es darf nicht zu viel Zeit verstrichen sein. Gerade der letzte Punkt ist fast nie erfüllt. Empfohlen sind weniger als 10 Minuten nach Kreislaufstillstand – aber wer kann das schon immer so genau sagen? Im Zweifel muss man auch sagen, dass ein toter Mensch erstmal tot bleibt, wenn man nichts macht. Wenn der Notarzt und das Team es für sinnvoll, notwendig und durchführbar erachten, eine Clamshell-Thorakatomie durchzuführen, dann sollte man das machen.
Es gibt sehr beeindruckende Fallberichte von Menschen, die man noch vor 20 Jahren an Ort und Stelle für tot erklärt hätte. Aber es ist und bleibt eine sehr spezielle Einzelfallentscheidung und eine in jeder Hinsicht extreme Therapieoption, die man außerhalb der Luftrettung in einem ganzen Berufsleben vielleicht nur ein einziges Mal oder auch gar nicht erlebt.
Wichtiger ist es, die Basics zu beherrschen und dazu gehören die zügige Versorgung und die Stabilisierung vor Ort. Hier gilt nur so viel vor Ort machen wie unbedingt nötig und so wenig wie möglich Zeit zu verlieren. Manche Menschen brauchen Kerosin bzw. Diesel – die rettet man nur durch einen möglichst schnellen Transfer in die nächst geeignete Klinik.
In der Hoffnung, dass ihr nie ein solches Szenario erleben, miterleben oder überleben müsst – bleibt gesund!
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