Statine gehören weltweit zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln. Doch manche der Wirkstoffe können das Diabetesrisiko erhöhen. Forscher arbeiten nun daran, die molekularen Zusammenhänge dieses Phänomens zu verstehen und mit diesem Wissen gezielt auszuschalten.
In Deutschland wurden im Jahr 2012 laut Arzneiverordnungsreport so viele Statine verschrieben, dass etwa 4,5 Millionen Patienten damit versorgt werden könnten. Damit gehört diese Wirkstoffgruppe mit zu den am häufigsten verordneten Präparaten. Einerseits hemmen Statine die Neubildung von Cholesterin in der Leber, andererseits erhöhen sie die Anzahl der Antennenmoleküle für LDL-Cholesterin, vor allem auf den Leberzellen. Diese fischen daraufhin vermehrt LDL aus dem Blut – die Blutfettwerte normalisieren sich. Denn wer zu viel LDL-Cholesterin im Blut hat, hat ein erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.
Dass die Einnahme von Statinen auch das Diabetesrisiko erhöhen könnte, war zuerst in der JUPITER-Studie von 2008 aufgefallen. Dort wurde dem Wirkstoff Rosuvastatin bescheinigt, die Rate von Neuerkrankungen am Typ-2-Diabetes um 27 Prozent zu erhöhen. Auch andere Studien lieferten auf ein Statin-bedingtes erhöhtes Diabetesrisiko. Bei einer Auswertung der Daten aus der NAVIGATOR-Studie zeigte sich eine Risikoerhöhung von 32 Prozent unter Statinen – oder anders ausgedrückt: auf je zwölf Patienten, die damit behandelt wurden, erkrankte innerhalb von fünf Jahren ein Patient neu an einem Diabetes Typ 2. Doch offenbar scheinen nicht alle Statine diesen Effekt auszulösen, da beispielsweise der Wirkstoff Pravastatin in der WOSCOPS-Studie das Diabetesrisiko um 30 Prozent gesenkt hatte.
Im letzten Jahr veröffentlichen kanadische Wissenschaftler eine Studie, in der sie in Kanada zugelassene Statine durch einen Vergleich mit Pravastatin auf diesen Effekt hin untersucht hatten. Dabei kam es unter der Therapie mit Rosuvastatin, Atorvastatin und Simvastatin tatsächlich häufiger zu Diabeteserkrankungen – allerdings in einem Ausmaß, bei dem die Vorteile in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich höher waren als das Diabetesrisiko (1 Diabetesneuerkrankung pro Jahr bei 172 mit Atorvastatin behandelten Patienten, bei 210 mit Rosuvastatin behandelten Patienten und bei 363 mit Simvastatin behandelten Patienten). Fazit: Auch wenn Statine offenbar nicht jeden Patienten gleich zum Diabetiker machen, scheint – zumindest bei manchen Wirkstoffen – ein erhöhtes Risiko dafür zu bestehen. Woran kann das liegen?
Wissenschaftler haben nun untersucht, wie Statine auf molekularbiologischer Ebene mit der Entstehung eines Typ-2-Diabetes verbunden sein könnten. „Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass Statine eine sehr spezifische Immunantwort auslösen, die Insulin davon abhält, richtig zu wirken“, so Jonathan Schertzer von der McMaster University in Ontario, Kanada. An Mäusen konnten die Wissenschaftler um Schertzer zeigen, dass die Statine Atorvastatin, Lovastatin, Simvastatin und Fluvastatin in Immunzellen und Fettgewebe eine bestimmte Entzündungsreaktion (IL-1β Sekretion von Makrophagen) aktivieren, die als Vorstufe für einen Typ-2 Diabetes gilt. Um diese Beobachtung zu prüfen, verabreichten die Wissenschaftler den Versuchstieren ein Antidiabetikum. „Wenn wir den Mäusen zu den Statinen Glibenclamid – einen Sulfonylharnstoff – verabreichten, konnten wir damit die Entzündungsvorgänge unterbinden“, erklärt Schertzer, und weiter: „Der Wirkstoff kann offenbar verhindern, dass Statine eine fehlerhafte Insulinantwort auslösen.“
In ihren Erkenntnissen sehen die Forscher neue Möglichkeiten, das Diabetesrisiko, das von einigen Statinen ausgeht, gezielt auszuschalten. Schertzer denkt dabei nicht nur an eine Zusatzmedikation: „Eventuell eignen sich auch natürliche Produkte oder Ernährungsstrategien, um die Nebeneffekte von Statinen zu umgehen.“ Das sollen zukünftige Untersuchungen am Pankreas, dem Ort des Geschehens, zeigen. Und wenn der entdeckte Entzündungsstoffwechselweg auch Grund für andere Nebenwirkungen von Statinen wie Muskelschmerzen oder lebensbedrohlichem Muskelversagen wäre, könnten die Forscher mit seiner Blockade gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. „Seit im Beipackzettel auf das Diabetesrisiko hingewiesen wird, sind viele Menschen, die regelmäßig Statine einnehmen, verunsichert. Zu Unrecht, denn für manche Patienten sind Statine sehr nützlich. Wir sollten uns darauf konzentrieren, die Biologie der Statine besser zu verstehen, um diese Medikamente zu verbessern“, so Schertzer. Als unstrittig gilt, dass Statine bei der Behandlung von herzkranken Menschen oder Menschen mit einer genetisch bedingter Hypercholesterinämie einen großen Nutzen haben. Eine aktuelle Metastudie zeigte, dass auch Menschen mit erhöhtem LDL-Cholesterinspiegel, aber ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen von der Einnahme von Statinen profitieren.