Die Besitzerin von Reitpferd Eddie ist besorgt. Sie zeigt mir seinen Huf mit den Worten: „Käsefuß!“. „Das ist Strahlkrebs“, sage ich. Sie wird ganz blass. „Krebs? Muss Eddie jetzt sterben?“
Eigentlich hätte das neue Pferd von Familie E. nur geimpft werden sollen. Aber es war, wie es nun mal häufig ist: „Ich wollte Ihnen noch was zeigen“, sagt die Besitzerin, hebt schon den linken Vorderhuf auf und deutet auf den Strahl. Was ich da zu Gesicht bekomme, will mir so gar nicht gefallen.
Shire-Wallach „Eddie“ (Schimmel, neun Jahre alt) war vor kurzem erst von seinen Besitzern als Reitpferd gekauft worden. Eine vor dem Kauf durchgeführte („kleine“, d. h. klinische) Kaufuntersuchung hatte keine Befunde ergeben, so dass einem Besitzerwechsel nichts im Wege stand.
In neuer Hand entwickelte sich Eddie dann auch genauso wie erhofft: Ein braves Reitpferd, sicher in allen drei Grundgangarten und genauso zuverlässig im alltäglichen Umgang. Außerdem hatte er sich in seinem neuen Stall genügend lange eingelebt und so hatten seine Besitzer beschlossen, dass Eddie nun gegen Influenza, Herpesviren und Tetanus geimpft werden sollte.
Bei der vor der Impfung durchgeführten, allgemeinen klinischen Untersuchung konnten keine von der Norm abweichenden Befunde erhoben werden. Also impfte ich Eddie mit bestem Gewissen, womit der Besuch eigentlich beendet gewesen wäre. Doch die Besitzerin hielt mich zurück: „Ich wollte Ihnen noch was zeigen!“, sagte sie und machte sich auch schon daran, den linken Vorderfuß aufzuheben. „Käsefuß!“, rief sie aus und Eddie hob auf das ihm bekannte Kommando folgsam seinen Huf.
Mein Blick fiel dabei sogleich auf einen zerklüfteten, nicht mehr ganz als regelrecht geltenden Strahl, der sich schmierig und schmutzig darstellte und keine mittlere Strahlfurche mehr erkennen ließ – ein „Käsefuß“ halt eben.
Abb. 1: Vorn links bei Erstbesuch. Stark deformierter Strahl mit käsig blumenkohlartig veränderter Strahlfurche. Abb. 2: Erstuntersuchung hinten rechts. Unter den Belägen blutet es.
„Was ist das?“, blickte mich die Besitzerin fragend an. Beim Betasten der veränderten Strukturen konnte ich mit dem Finger dicke Schichten eines schmierig-talgigen Strahls einfach so wegschieben, wobei das darunter liegende Gewebe spontan zu bluten begann. Bei Palpation der tiefer liegenden Strahlfurche zog Eddie schmerzlich getroffen sein Vorderbein weg. Beim Vorführen im Schritt und Trab auf hartem Boden zeigte der Wallach dagegen keine Lahmheit. Die betroffenen Hufe waren nicht warm und eine Pulsation der Mittelfußarterien konnte nicht festgestellt werden. „Das hat er hinten rechts auch und egal, was ich draufschmiere, es wird gar nicht besser“, erklärte mir Frau E. und schüttelte dabei resigniert den Kopf.
„Das kann es auch nicht“, antwortete ich, „das ist nämlich Strahlkrebs!“ und machte stirnrunzelnd ein nachdenkliches Gesicht. Die Besitzerin verstand die Welt nicht mehr: „Krebs? Muss Eddie sterben?“
Diese Reaktion war verständlich. Aber es handelt sich bei Hufkrebs nicht um eine neoplastische Veränderung im Sinne eines Karzinoms, erklärte ich der Besitzerin, sondern um eine Entzündung der Lederhaut (Pododermatitis chronica verrucosa sive migrans), bei der das gesunde Horn in eine stinkend-schmierig-käsige Masse zerfällt und kein gesundes Horn mehr nachwächst (Parakeratose). Die blumenkohlartige Wucherung des Papillarkörpers, die sich über Strahl, Eckstreben, Sohle, ja die ganze Hornwand bis auf Sporn und Kastanien erststrecken kann, verleiht dem Aussehen des Hufs tatsächlich etwas krebsgeschwürartiges, was ihr im Volksmund die Bezeichnung Hufkrebs eingebracht hat.
Prädestiniert für die Entstehung sind die Hinterhufe von Kaltblutrassen und schweren Warmblütern, vorrangig Füchse. Vollblutpferde sind dagegen kaum betroffen. Auch regionale Unterschiede sind zu verzeichnen. Gleichwohl erkranken Pferde mit Autoimmunerkrankungen häufiger an Hufkrebs. Die Erkrankung tritt meist an mehreren Gliedmaßen gleichzeitig auf, stets verläuft sie progredient und destruktiv. Das gesamte Ausmaß ist oft erst nach Abtragen der veränderten Beläge ersichtlich.
Vorne links, nach erster Zubereitung. Immer noch mit käsig-schmieriger Masse in mittlerer Strahlfurche. Der Defekt reicht tief.
Zu Beginn und bei geringgradiger Ausprägung gehen die Pferde noch nicht lahm, kommt es jedoch zum Übergreifen auf die Sohle und ganze Wandabschnitte, die dann nicht mehr zum Tragen herangezogen werden, gehen die erkrankten Pferde dagegen mitunter mittel- bis hochgradig lahm. Besteht der Strahlkrebs länger, kann sich eine chronische Entzündung des Kronsaums entwickeln. Diese zeigt sich in Auflagerungen am Kronrand mit abstehenden Haaren. Eine Sekundärkomplikation in Form einer Hufbeinsenkung entsteht dann, wenn ein ausgeprägter Wandkrebs vorliegt und den Hufbeinträger schwächt. Dies kann schlimmstenfalls zum Ausschuhen führen.
Wow, das hatte gesessen. Die Besitzerin blickt mich unglücklich an: „Und woher kommt so etwas?“
„Die Ursachen für die Entstehung von Hufkrebs sind noch nicht restlos geklärt“, muss ich einräumen. Das Vorliegen einer Immunsuppression wird angenommen, was die hohe Rezidivrate verständlich macht. Dem Ganzen geht häufig eine vernachlässigte Hufpflege voraus mit einer seit längerer Zeit bestehenden Strahlfäule und unzureichenden, also unhygienischen Haltungsbedingungen. Ob und welche Keime, Viren oder Pilze das Geschehen auslösen oder weiter unterhalten, ist Gegenstand aktueller Forschung. Immer wieder werden Treponoma spezies sowie Bovine Papillomaviren als Ursache diskutiert. Meine Ausführungen haben Frau E. nicht zufriedener gemacht. „Und da sind Sie sich sicher?“, fragt sie und will wissen: „Was machen wir denn jetzt?“
Quellen:
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