Was wäre eigentlich, wenn die Recyclinganlage Ihrer Stadt den Dienst quittiert? Vielleicht würde die Müllabfuhr zunächst die Tonnen vor Ihrer Tür noch abholen. Nach einer Weile häufen sich jedoch Abfälle an. Zudem können wertvolle Rohstoffe ggf. nicht mehr recycelt bzw. zurückgewonnen werden und fehlen andernorts. Ähnliches passiert auch im Körper von Menschen, die von einer lysosomalen Speichererkrankung betroffen sind.
Das Lysosom ist ein etwa 0,2 – 1 µM großes Zellorganell, das dem Golgi-Apparat entspringt und einen relativ simplen Aufbau aufweist: Eine äußere Membran, in die circa 25 verschiedene lysosomale Membranproteine integriert sind, die unter anderem für die Aufrechterhaltung des sauren pH-Werts (pH ≈ 5) im Lumen sorgen. In dem Lumen befinden sich wiederum etwa 60 verschiedene Hydrolasen, zu denen auch Proteasen, Lipasen, Nukleasen, Sulfatasen, Phosphatasen und Glykosidasen zählen. Diese Enzyme dienen als Katalysatoren für hydrolytische Spaltungen und bauen so zahlreiche komplexe Makromoleküle ab. Diese Makromoleküle können durch Endozytose bzw. Phagozytose aus dem Extrazellularraum aufgenommen werden oder sich in Autophagosomen befinden und somit intrazellulären Ursprungs sein. Durch den Abbau der Makromoleküle werden einerseits potenziell zytotoxische Substrate beseitigt, andererseits jedoch auch wertvolle Abbauprodukte für zelluläre Prozesse wieder zur Verfügung gestellt.1
Lysosomale Speicherkrankheiten sind eine Gruppe von circa 70 seltenen Erkrankungen, die eine monogenetische Ursache haben und zumeist autosomal-rezessiv vererbt werden. Die Mutation beeinträchtigt dabei die Funktion eines lysosomalen Enzyms oder führt zu einem Defekt eines integralen Membranproteins, was in der Folge den katabolen Stoffwechsel des Lysosoms einschränkt. Dies führt zur allmählichen Anreicherung von Substraten in dem Organell und in Folge zu Zell- sowie Organschäden. Die geschätzte Inzidenz von lysosomalen Speichererkankungen liegt bei etwa 1 von 5.000 bis circa 7.500 Lebendgeborenen. Einige der lysosomalen Speichererkrankungen kommen jedoch äußerst selten vor und betreffen mitunter nur 1 von 50.000 bis 250.000 Geburten. Zu den häufigsten lysosomalen Speichererkrankungen wiederum gehören: 2
Die Alpha-Mannosidose betrifft etwa 1-2 von 1.000.000 Menschen und wird durch eine Mutation im MAN2B1-Gen verursacht. In der Folge ist die Aktivität des Enzyms Alpha-Mannosidase eingeschränkt, was zur Anreicherung von mannosereichen Oligosacchariden in den Lysosomen der Betroffenen führt. Zu den Symptomen zählen unter anderem eine frühe Beeinträchtigung des Gehörs, ein vergrößerter Schädel mit Gesichtsauffälligkeiten, Skelettanomalien, wiederkehrende Infektionen und mentale Retardierung. Die Ausprägung der Symptomatik variiert zwischen den Betroffenen stark, doch die Symptome nehmen im Laufe des Lebens tendenziell zu. Eine Differenzialdiagnose wird mitunter durch die Ähnlichkeit des klinischen Erscheinungsbilds zu den Mukopolysaccharidosen erschwert.3 Mittels Trockenbluttest bei Verwendung einer Trockenblutkarte kann die Differenzialdiagnose gestellt werden.4Abgesehen von einer symptomatischen Behandlung stehen mittlerweile auch kausale Therapieansätze zur Verfügung. Darunter fällt zum einen die hämatopoetische Stammzelltransplantation, die vor allem bei unter 3-jährigen Patient*innen empfohlen wird, und die Enzymersatztherapie.3,5-7
Morbus Fabry ist eine weitere lysosomale Speicherkrankheit, bei der ein Enzymdefekt vorliegt, der zur Beeinträchtigung des Abbaus eines Substrats in den Lysosomen führt. Bei dieser Krankheit liegt der Defekt auf dem GLA-Gen, welches das Enzym Alpha-Galaktosidase A (α-GalA) kodiert. α-GalA spaltet üblicherweise das Glycolipid Globotriaosylceramid (Gb3). Durch die beeinträchtigte Aktivität des Enzyms kommt es zur Ablagerung des Substrats in den Lysosomen von Endothelzellen verschiedener Organe. Da das GLA-Gen auf dem X-Chromosom liegt, sind Männer häufig stärker von den Symptomen betroffen.8,9 Schätzungen zufolge beträgt die Inzidenz bei Männern 2,5 von 100.000 Neugeborenen.2 Bei der Multisystemerkrankung Morbus Fabry variieren die Symptome stark. Als eines der häufigsten und prägnantesten Frühsymptome gelten brennende Schmerzen in Händen und Füßen, welche sich häufig schon im Kindesalter äußern. Doch auch andere Organe sind häufig betroffen, wie unter anderem das Herz, die Nieren oder das Gehirn.8,9Auch für die Behandlung von Morbus Fabry steht bereits eine Enzymersatztherapie zur Verfügung, bei der das fehlende bzw. mangelnde Enzym substituiert wird.9 Zudem ist eine Chaperontherapie verfügbar, bei der der Wirkstoff die fehlerhafte dreidimensionale Struktur des Enzyms korrigiert bzw. stabilisiert.10
Auch die Cystinose ist auf eine Mutation und einen Proteindefekt zurückzuführen. Schätzungen zufolge sind 1 von 100.000 bis 200.000 Menschen von der Krankheit betroffen, welche durch eine Mutation im CTNS-Gen verursacht wird. In Folge dieses Gendefekts ist die Funktion des lysosomalen Transporters Cystinosin beeinträchtigt, welcher den Transport von Cystin aus den Lysosomen heraus bewerkstelligt. Durch den verminderten Transport von Cystin aus den Lysosomen bilden sich Cystinkristalle, die die Zellen schädigen. Insbesondere die Nieren der Erkrankten sind früh und stark durch die Kristallbildung beeinträchtigt, aber auch andere Organe werden in Mitleidenschaft gezogen, wie zum Beispiel das Auge und die Knochen.11Im Rahmen des Diagnoseverfahrens wird die Cystinkonzentration in den Leukozyten ermittelt und die Cornea auf mögliche Cystinablagerungen mittels einer Spaltlampenuntersuchung kontrolliert. Die Differenzialdiagnose kann mit Hilfe eines Gentests erfolgen.11,12