Jüngere Menschen zwischen 18 und 39 Jahren fallen als Patienten maligner Erkrankungen häufig durchs Raster, wenn es um Beratung geht. Anders als ältere Patienten machen sie sich Sorgen um Berufsausbildung oder Familienplanung. Ärzte sollten auf diese Fragen vorbereitet sein.
„Muss ich meinen Arbeitgeber informieren? Was gibt es bei der Krankenkasse zu beachten und natürlich – wie sieht es später mit Kindern aus?“: Diese Fragen schossen Claudia (32) durch den Kopf. Vor 36 Monaten hatten Ärzte bei ihr ein Hodgkin-Lymphom diagnostiziert. Jenseits der medizinischen Versorgung stellte die Patientin jedoch schnell fest, dass viele Fragen offen sind. „Ich fiel in ein tiefes Loch, und nicht nur wegen der Diagnose“, erinnert sie sich. Krebs ist für Menschen jeden Alters ein harter Schlag. Für junge Erwachsene stellen sich im Vergleich zu älteren Patienten aber noch ganz andere Herausforderungen, die den Alltag wie etwa die Berufsausbildung und das Liebesleben betreffen.
Pro Jahr erkranken etwa 15.000 junge Erwachsene in Deutschland zwischen 18 bis 39 Jahren an Krebs. Besonders häufig handelt es sich um Mammakarzinome oder um Hodenkarzinome. Das zeigen Registerdaten des Robert Koch-Instituts: Altersspezifische Erkrankungsraten bei Hodenkrebs © Robert Koch-Institut Altersspezifische Erkrankungsraten bei Brustkrebs pro 100.000 Einwohner © Robert Koch-Institut Altersspezifische Erkrankungsraten bei Leukämien pro 100.000 Einwohner © Robert Koch-Institut Eine kürzlich in „The Lancet Oncology“ veröffentlichte Studie zeigt, wie relevant die spezielle Patientengruppe tatsächlich ist. Miranda M. Fidler von der International Agency for Cancer Research (IARC), Lyon, untersuchte Daten der Altersgruppe zwischen 20 und 39. Von allen 975.396 neu aufgetretenen malignen Erkrankungen betrafen 632.675 Frauen und 342.721 Männer. Über beide Geschlechter addiert, handelte es sich besonders häufig um Krebserkrankungen der Brust (19,6 Prozent), des Gebärmutterhalses (11,4 Prozent), der Schilddrüse (8,1 Prozent), des blutbildenden Systems (5,1 Prozent) und des Darms (4,2 Prozent). Als Inzidenz werden in der Studie 43,3 Neuerkrankungen pro 100.000 Menschen und Jahr angegeben sowie 15,9 krebsassoziierte Todesfälle pro 100.000 Menschen und Jahr.
Aus onkologischem Blickwinkel betrachtet sind die Prognosen in der Altersgruppe gut. „Darauf hat mich auch mein Arzt hingewiesen“, so Claudia. Im Schnitt gelingt es, mehr als 80 Prozent aller jungen Erwachsenen mit Krebs zu heilen. Betroffene haben jenseits ihrer Erkrankung aber mit besonderen Problemen und Entscheidungen zu kämpfen. Sie befassen sich beispielsweise mit der Familienplanung, der Unterbrechung ihrer Ausbildung oder ihres Studiums sowie der Frage, was sie ihrem Arbeitgeber erzählen. Sie sind vielleicht gerade in die erste eigene Wohnung gezogen oder haben noch sehr kleine Kinder. Haushalt und Familie lassen sich schwer mit Chemotherapien vereinbaren. Hinzu kommen oft finanzielle Sorgen. Nicht immer finden Patienten bei Selbsthilfegruppen Antworten auf ihre Fragen. Oft handelt es sich um Zusammenschlüsse älterer Patienten, die sich in ganz anderen Lebensphasen befinden. „Wir haben zwar ein gutes Sozialsystem und auch gute Behandlungsmöglichkeiten, aber es gibt an der einen oder anderen Stelle eben doch noch Probleme“, gibt Prof. Dr. Mathias Freund zu bedenken. Er ist Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Konkret nennt Freund die Frage, ob Patientinnen später noch Kinder bekommen können, indem sie vor Therapiebeginn Eizellen einfrieren lassen. „Das wird bei uns heute noch nicht bezahlt“, kritisiert er. Gespräche mit jungen Krebspatienten hätten außerdem gezeigt, dass mehr Hilfestellungen direkt nach der Diagnose erforderlich wären.
„Mir schossen tausend Fragen durch den Kopf“, erinnert sich Claudia. „Der Arzt hat sich zwar viel Zeit genommen, konnte aber fast nur medizinische Fragen beantworten.“ Freund will zusammen mit Betroffenen wie Claudia diese Lücke jetzt schließen. Aus Gesprächen entstand der Leitfaden „Jung und Krebs: Erste Hilfe“. Seine wichtigsten Tipps lauten:
Diese Punkte geben nur einen ersten Überblick für Patienten. Sie liefern aber auch Ärzten wichtige Informationen. Sie zeigen, was für Patienten, neben den medizinischen Informationen, wichtig ist. Ärzte müssen diese Fragen nicht alle beantworten können. Denn Patienten benötigen teilweise sehr spezifische Informationen. Ärzte können aber dem Patienten Hinweise geben, wo sie diese Informationen finden. Sie werden häufig als vertrauensvolle Ansprechpartner wahrgenommen, daher ist es wichtig, dass sie auf die Fragen vorbereitet sind und auch gute Informationsquellen anbieten können. Dies war auch ein Grund für Prof. Freund zusammen mit weiteren Unterstützern das „Junge Krebsportal“ zu gründen. Nach der Registrierung hat Claudia Kontakt zu Experten aus verschiedenen Bereichen aufgenommen. Sie wollte mehr über Veränderungen im Hormonhaushalt oder über Immundefekte durch die Behandlung wissen. Fachleute beantworten auch sozialrechtliche Fragestellungen. Dazu gehören Aspekte rund um Job und Geld, um die Reha oder die Wiedereingliederung. Gleichzeitig fand Claudia Kontakt zu anderen Betroffenen, um sich auszutauschen. Darüber hinaus ermutigt die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen NAKOS Jugendliche, eigene Initiativen zu gründen. In jedem Fall ist es sinnvoll, sich langfristig auszutauschen. Selbst nach überstandener Krebskrankheit stehen ehemalige Patienten vor Herausforderungen. Dazu gehört, wieder im Job Fuß zu fassen. Eine Befragung von 18 Überlebenden hat gezeigt, dass sich ehemalige Patienten weniger Arbeitsstunden, mehr kollegiale Unterstützung und nicht zuletzt mehr sozialrechtliche Beratung wünschen.