Als junge Assistenzärztin habe ich in der forensischen Psychiatrie gearbeitet. „Warum ausgerechnet da – und ist das nicht gefährlich?“, fragen sich vielleicht einige Kollegen. Hier kommt mein Erfahrungsbericht.
Auf meine Zeit als Assistenzärztin in der forensischen Psychiatrie schaue ich mit gemischten Gefühlen zurück. Ich arbeitete in einer Abteilung für psychisch erkrankte Straftäter oder Personen in Untersuchungshaft. Selten haben wir auch Patienten aus den allgemeinen Abteilungen dort behandelt, z. B. Suchterkrankte, bei denen man vergeblich versucht hat, eine Abstinenz zu sichern und diagnostisch Klarheit bekommen wollte, wie viel der Psychopathologie durch die Substanzen beeinflusst war.
Es gab einen Aufenthaltsbereich mit einem Kunstatelier, Kicker etc. und auch mein Arztbüro war in diesem Aufenthaltsbereich – das heißt, die Patienten könnten auch jederzeit klopfen.Je nachdem wie man den Patienten oder die Patientin einschätzt, hat man die Visiten auch alleine mit der Person in einem Raum durchgeführt. Es gab für jeden Patienten feste Regeln nach Stufenschema: Was für Besteck sie nutzen durften, wie lange auf den Hof gehen, wie oft Rauchen, ob sie Mitpatientenkontakt haben dürfen und so weiter. Es wurde auch zusammen gekocht, gegessen und die Patienten haben zusammen im Atelier gebastelt. Über den Mittag mussten dann alle wieder für 2 Stunden ins Zimmer.
Jede Neuaufnahme musste zuerst in den speziell gesicherten Bereich abseits der anderen Patienten. Dies waren Einzelzimmer, so wie man sie aus Filmen kennt, also sehr spärlich eingerichtet mit teils nur einem Matratzenblock. Ob die Tür zur Toilette geöffnet wurde, wurde von uns immer erst nach der ersten Visite entschieden. Wenn der Patient einmal „entisoliert“ war aus dem gesicherten Bereich, entschied meistens die langjährig erfahrene Pflege wie es dann weiter voran ging in der Gruppe.
Ehrlich gesagt war es für mich mit deutlich mehr Sicherheitsgefühl verbunden als die Akutstationen, da ich jederzeit entscheiden konnte, ein Zimmer nicht zu betreten oder nur mit 1 oder 2 Sicherheitskräften, die mit Sicherheitskleidung und Equipment ausgestattet und entsprechend trainiert waren.
Ich fand es auch schlichtweg interessant, diesen Teil der Gesellschaft mal kennenzulernen, beziehungsweise zu verstehen, welche Risiken es gibt, einmal delinquent zu werden aufgrund einer psychischen Erkrankung. Auch wie Gefangenschaft diese beeinflusst und wie auch das System versucht, Wiederholungsrisiken einzuschätzen und Prävention und Wiedereingliederung zu betreiben.
Letztendlich hatte ich als Ärztin und junge Frau natürlich durchaus zu Beginn starken Respekt und Berührungsängste und man musste auch wirklich sehr vorsichtig sein, da juristische Aspekte zu beachten waren.
Beispielweise durften man bei einigen Patienten keine Fenster öffnen, sie durften kein Radio hören oder telefonieren – wegen Kollusionsgefahr (Verdunkeln von Straftaten). Ebenso war das Herausgeben von Informationen an Angehörige oder andere Institutionen auch nochmal um einiges heikler und reglementierter.
Ein schwieriger Punkt für mich war unter anderem auch der Fakt, dass ich bei Patienten in Untersuchungshaft keine „therapeutischen Gespräche“ durchführen durfte, damit die Informationen über potenzielle Erkrankungen nicht im Verfahren genutzt werden konnten.
Man sieht also – es ergaben sich eine Menge Stolpersteine, da man es mit besonderen Patienten zu tun hatte. Oft befand man sich auch zwischen den Stühlen und musste immer wieder darauf hinweisen, dass wir als Ärzte uns nur um die Gesundheit kümmern, die Justiz aber nicht beeinflussen können.
Menschen, die im Wahn bereits getötet haben, gewaltbereit sind und über wenig Impulskontrolle verfügen, sind potenziell gefährlich. Ich erlebte sehr viele, in Anbetracht der straffen Strukturen jedoch sehr höfliche und angepasste Patienten, vermutlich in dem Wissen, dass die Überwachung existiert und man auch nicht flüchten kann. Die Strukturen mit diversen Sicherheitsschließmechanismen, der Monitorüberwachung und Alarmsysteme, die wir bei uns tragen und dem gut geschulten Team gaben mir ein solides Vertrauen dort ohne große Angst zu arbeiten.
Letztendlich gilt es bei Vielem auf Erfahrung und Bauchgefühl zu hören und sich auf keine Situation einzulassen, die sich unwohl anfühlt. Komplett ausschließen kann man Zwischenfälle aber nicht. Ein Patient kann an einem Tag lammfromm und nicht psychotisch wirken und am nächsten plötzlich unerwartet mit einer Schere im Atelier auf eine Mitarbeiterin losgehen. Das kann einem auf anderen Stationen der Psychiatrie aber leider genauso passieren, weshalb wir in Gewaltmanagement und Vigilanz geschult werden und man immer wachsam sein sollte. Wovor ich übrigens echt Angst hatte, war aber, meinen Schlüssel zu verlieren.
Ich habe sehr viele, sehr spannende Personen und Krankheitsausprägungen kennengelernt und auch viel über gerichtliche Maßnahmen erfahren. Zwangsmaßnahmen kamen leider in dem Bereich häufig vor, aber man konnte es mit Unterstützung des Sicherheitspersonals gut üben. Ich fand es toll, wie die verschiedenen Therapeuten sich für die Patienten eingesetzt haben und man hat mal wirklich ein 24/7-Protokoll der Behandlung gehabt, ohne äußere Einflüsse wie Drogen oder Beziehungen, die das Bild störten. Meistens sind die Menschen, die dort arbeiten eher von einem härteren Kaliber – bis auf wenige schlechte Ausnahmen waren der etwas trockene Humor und die raue Art aber echt erfrischend.
Es war oft eine sehr drastische und akute psychiatrische Behandlung, da die Patienten – sobald sie wieder stabil waren – wieder zurückgeführt werden mussten. Manchmal fühlte es sich wirklich eher wie eine Verwahrung an, als könnte man nicht viel bewegen. Falls einem etwas am Beziehungsaufbau und Psychotherapie liegt, ist dies bedingt durch die institutionelle Distanz und den Sicherheitsaspekt schwierig.
Mitarbeiter sollten außerdem (noch) besser selektiert und überprüft werden. Eine Person, die in so einem Bereich das Ausüben von Macht gegenüber den Patienten genießt, hat dort meiner Ansicht nach nichts zu suchen. Leider gibt es auch in vermeintlich professioneller Umgebung Personen, die etwas dadurch kompensieren und sich dann gezielt so einen Beruf suchen.
Die Autorin ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
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