Rückenschmerzen, Husten, Müdigkeit: Die gängigen Volksleiden werden von Ärzten oft falsch therapiert. Wie ihr eure Patienten in der Hausarztpraxis nicht zu viel oder zu wenig versorgt, lest ihr hier.
Es gibt drei Arten der Fehlversorgung in der Medizin: Ärzte machen zu viel, zu wenig oder das Falsche. Die ersten beiden Möglichkeiten sind Gegenstand der eben veröffentlichten S2e-Leitlinie Schutz vor Über- und Unterversorgung – gemeinsam entscheiden der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Diese Leitlinie ist insofern besonders, als sie keine selbst erarbeiteten Empfehlungen enthält. Sie ist vielmehr ein Kompendium von anderen Leitlinien-Empfehlungen, die besonders relevant für Über- und Unterversorgung sind. Als Quellen dienen die S3-Leitlinien der DEGAM und die Nationalen VersorgungsLeitlinien (NVL).
Das 111-Seiten-Werk möchte unnötige Schäden an Leib und Seele, Kosten und Umweltbelastungen vermeiden helfen. „Diese Leitlinie will zu einem vernünftigeren, verantwortungsvolleren und weniger ideologiegeprägten Umgang mit den technischen Mitteln der Medizin […] und zu einer besseren, gerechteren, sichereren und menschenfreundlicheren Medizin beitragen“, schreiben die Autoren.
Hausärzte würden ihre Patienten ein Leben lang begleiten und so am besten deren persönlichen Umstände kennen. Dabei gehe es gar nicht immer darum, wieder gesund zu werden, so die Autoren: „Nicht selten steht akzeptierende Begleitung und adäquater Umgang mit persistierenden Problemen stärker im Fokus der Bemühungen als die Bemühung um Heilung oder Symptomlinderung.“ Ob diese „Lebensbegleitung“ auch schon eine Überversorgung darstellen könnte, fragen die Autoren aber nicht.
Ein Klassiker sind die Probleme, die sich multimorbide Patienten mit ihren Pillenorgeln einhandeln. Hier könnten Hausärzte dank ihres Überblicks gerade bei älteren Patienten ein wachsames Auge auf mögliche Interaktionen der diversen Medikamente haben, was dann gegebenenfalls ein „begründetes Weglassen“ erfordere. Überhaupt sehen die Autoren im Beschwichtigen, Ausschließen und Abraten eine wichtige Aufgabe, wenn Hausärzte mit „angstvollen Fragen“ ihrer Patienten konfrontiert werden. So würden nur zehn Prozent der Konsultationen in einer Diagnose münden.
Klima ist bei Überversorgung ein wichtiges Thema, schließlich ist jede medizinische Handlung direkt oder indirekt mit Energie- und Materialaufwand verbunden, also klimaschädlich. Allerdings endet für die Autoren das Klimawohl da, wo das medizinische Wohl anfängt: „Gleichwohl darf Ressourcenschonung zu keiner Unterversorgung führen.“
Den Großteil der Leitlinie nehmen ausgewählte Empfehlungen aus 18 verschiedenen Leitlinien ein. Jede Erläuterung endet mit einem Kommentar, warum die Empfehlung für die Ziele der Leitlinie relevant ist.
Trotz aller Empfehlungen benennt die Leitlinie – fast schon poetisch – auch die ultimative Grenze medizinischen Tuns: „Dennoch bleiben wir sterblich.“
Hier ist eine Auswahl an weiteren Empfehlungen zum Schutz vor Über- und Unterversorgung:
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