Sesselfurzer bis Malocher – wie wichtig ist euch der Beruf eurer Patienten für die Diagnose und zur AU-Ausstellung? Wir haben euch gefragt. Das sind eure Antworten.
Die klare Antwort: Ja, die Erwerbstätigkeit spielt eine Rolle – und das nicht nur bei Arbeitsmedizinern. So sind 5 von 6 Ärzten darüber informiert, welchem Beruf ihre Patienten nachgehen. 2/3 erfassen den Erwerbsstatus dazu bereits im Anamnesebogen (81 von 303) oder im anschließenden (Erst)Gespräch (123 von 303). 1/6 informieren sich nach der Diagnose, wenn ein Zusammenhang zwischen Beruf und Erkrankung wahrscheinlich ist.
Auch mit Blick auf die Häufigkeit der Korrelation von Arbeit und Erkrankung, sind sich Fach- wie Hausärzte nach eigenen Angaben einig. So gebe es im Schnitt täglich 2 bis 3 Fälle, in denen der Beruf von medizinischer Bedeutung ist. Unter den berufsbedingten Erkrankungen selbst gibt es auch klare Dauerbrenner. So sind orthopädische Anliegen wie (chronische) Rückenschmerzen, Frakturen und Bandscheibenprolapse am häufigsten vertreten – Bewegungsmangel, Sitzarbeit, Bildschirmzeit und Büroarbeit sei Dank. Dicht dahinter nanntet ihr psychische Leiden als durch die Arbeit mitbedingte Erkrankung. So seien Burnout, Depression, Angststörungen oder ADHS nicht von Mobbing und Überarbeitung zu trennen.
„Ich habe einen Bandscheibenprolaps behandelt, der mehrfach durch berufliche Belastung und Nicht-Einhaltung der Lastenhandhabungsverordnung durch den Arbeitgeber hervorgerufen wurde. Ebenso gab es Sehnenzerrungen/-risse nach Wiedereingliederung bei zu erwartender starker körperlicher Belastung.“
„Es gibt viele Beispiele, bei Handwerkern oder „Handarbeitern“ behandeln wir häufig eine Tendovaginitis.“
„Von Rückenschmerzen, über das Schulter-Arm-Syndrom bis zur Bursitis praepatellaris haben wir zig Beispiele dafür, warum wir die Berufstätigkeit erheben.“
Ähnlich häufig wie orthopädische Behandlungen nanntet ihr Frauengesundheit und Vorsorge als Punkte, warum der Aspekt Beruf wichtig sei. So zum Beispiel für die Betreuung von „Schwangeren und Frauen mit Descensus genitalis, um Schutzmaßnahmen für Schwangere [zu gewährleisten]. Gerade in der Schwangerschaftsvorsorge ist die Art der Berufstätigkeit wichtig, um mögliche Gefahren durch den Arbeitsplatz zu erkennen.“
„Pneumologische Abklärungen beinhalten die Frage nach aktueller oder stattgehabter Exposition gegenüber Stäuben, Metallen usw. Eine Berufsanamnese, die die aktuelle Erwerbstätigkeit umfasst, ist absolut essentiell, um ein berufsbedingtes Asthma, HP oder Pneumokoniosen richtig zu diagnostizieren.“
In die Kategorie Vorsorge zählt auch, wenn ein Arzt berichtet, dass er bei seinen Patienten mit stimmlastigen Berufen wie Sängern, Schauspielern oder Lehrern im Rahmen von Narkosen ggf. kleinere Tuben oder großzügiger Larynxmasken statt standardmäßiger Tuben nutzt.
Doch auch der andere Weg ist bekannt, wenn die Diagnose sich erst im Nachhinein durch den ehemaligen Beruf erklären lässt: „Wir hatten zufällig diagnostizierte Karzinome von Pleura, Bronchien, Urothel dabei, die bei entsprechenden Berufen mit Expositionen auftraten. Auf Nachfrage kam dann: Ja, ich habe als XY gearbeitet.“
Weniger mit einem speziellen Beruf konnotiert als mit einer allgemein anstrengenden Arbeitssituation gilt Stress als Auslöser einer Vielzahl von Erkrankungen. Einige von euch berichteten, dass sie gastrointestinalen, kardiologischen und psychischen Leiden und Dyspnoe mit Stress in Zusammenhang bringen konnten.
„Anzeichen von Überlastung bedingen immer eine Abfrage der privaten und beruflichen Belastung (Dienste, Anzahl der Dienste etc.).“
Doch der Beruf zieht den Körper nicht nur durch kontinuierliche Belastung in Mitleidenschaft. Dermatologische und allergologische Fälle sind bei euch ebenfalls an der Tagesordnung.
„Ein Patient war Kanalreiniger und hatte sich dort einen Parasiten eingefangen. Es folgte die Einlieferung mit hohen Leberwerten. Diagnose: Laparoskopisch granulomatöse Entzündung. Nach Auskunft über die Berufstätigkeit (zuerst städt. Angestellter angegeben, dann auf genaues Befragen: Kanalreinigung) folgte die Weiterleitung der histologischen Präparate an das Institut für med. Parasitologie. Nach der Diagnosestellung und erfolgreicher Therapie mit Mebendazol konnte eine völlige Normalisierung der Laborwerte erreicht werden.“
Ebenso stellen sich Patienten mit Kontaktallergien bzw. Handekzemen nach Feuchtarbeit vor, Pflegekräfte und Kita-Mitarbeiter mit Skabies, Fleischverkäufer mit Salmonellen, Chemiearbeiter mit hoher Chemikalienbelastung, Binnenschifffahrer mit Asbestkontakt, Straßen- und Industriearbeiter mit hoher Feinstaubbelastung vor.
„Wir hatten zuletzt Parästhesien in bei beiden Armen behandelt. Die Ursache: Starke Bleiexposition im Rahmen der Arbeit.“
Dass jegliche berufsbedingten Diagnosen und entsprechende Vorsorgen nur betrieben werden können, wenn die Voraussetzungen – die Offenheit der Patienten in Kombination mit klarer Kommunikation – stimmen, ist so offensichtlich wie leider auch nicht selbstverständlich. Zwar geben rund 60 % von euch an, dass eure Patienten ausführlich Auskunft geben und weitere 23 % brauchen keine Jobangaben, allerdings gehen 16 % davon aus, dass Patienten nicht ausreichend und womöglich falsch auf entsprechende Fragen antworten. 15 % gehen infolgedessen auch davon aus, dass Desinformation zu Fehldiagnosen und einem schlechteren Gesundheitszustand geführt haben.
„Tatsächlich haben wir auch Erfahrungen gemacht, dass Menschen ohne Arbeit, die einer Maßnahme des Arbeitsamtes entgehen wollten, Falschaussagen geben. Das stellt sich dann heraus, nachdem eine Fülle von Untersuchungen ohne pathologischen Befund bleibt.“
Letztlich gilt es für Ärzte jedoch auch zu bedenken, dass „keine Arbeit“ nicht bedeutet, dass dies keine Belastung sei bzw. keine Hilfe zur Diagnosestellung ist. So zeigten eure Antworten, dass finanzielle Nöte, Mobbing und Stigmatisierung insbesondere zu mentalen Problemen führen können. Auch hier kann die Spirale durch die ärztliche Seite durchbrochen werden, wenn man nachfragt, wie ein Beispiel zeigt:
„Eine Medikationsanalyse eines Patienten mit sozialer Phobie hatte beispielsweise Probleme mit der Krankenkasse, da er aufgrund dieser Phobie nicht zum Jobcenter gehen konnte. Den Zusammenhang konnte man erst mit entsprechenden Angaben erstellen, da die Diagnose wohl vorher so noch nie gestellt wurde. Er begab sich schließlich in psychiatrische Behandlung und langfristig konnte sich gesundheitliche Besserung einstellen.“
Von Fach- und Hausärzten über Apotheker, Pfleger und PTAs kamen fachübergreifend Hinweise, dass Patienten immer ganzheitlich zu sehen seien. Nicht allein die zu behandelnde Krankheit sei essentiell, sondern der Mensch und auch dessen äußere Umstände seien wichtig für eine erfolgreiche Genesung. Immerhin geht es für Ärzte letztlich auch darum wie Therapien anzusetzen und Patienten zu entlassen sind. Stichwort: AU.
„Der Beruf ist unter anderem aufgrund der Ausstellung einer AU relevant. So wird beispielsweise ein Sitzberufler anders begutachtet als ein Bauarbeiter.“
„Schon alleine eine AU ist anhand der tatsächlichen Arbeitsbelastung zu eruieren. Mit einem gebrochenen Bein kann man unter Umständen noch ins Büro gehen – auf ein Dach kann man aber ganz sicher nicht damit steigen.“
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