Schwangere Veganerinnen müssen sich oft viel Kritik anhören – aber ist diese immer berechtigt? Was ihr euren Patientinnen in Schwangerschaft und Stillzeit raten solltet, damit Mutter und Kind nicht gefährdet werden, erfahrt ihr hier.
Deutschland ist Vegan-Weltmeister: in keinem anderen Land der Welt kommen jährlich mehr neue vegane Produkte auf den Markt – und das aus gutem Grund. Denn bereits 2022 lebten in Deutschland 1,58 Millionen Veganer und 7,9 Millionen Vegetarier – 70 % davon sind weiblich und der Großteil ist unter 30 Jahre alt. Bei dieser Demographie bleibt natürlich die Frage nicht aus: Wie funktioniert Veganismus während der Schwangerschaft und Stillzeit? Welche Probleme es gibt und auf welche Nährwerte Ärzte und Patienten besonders achten sollten, erklärt Prof. Silvia Rudloff auf dem Kongress Ernährung 2024 in Leipzig.
Dass es bei einer veganen Ernährung schnell zu Nährstoffmängeln kommen kann, ist nichts Neues. Veganer müssen sich daher eingehend mit ihrer Ernährung auseinandersetzen und gegebenenfalls auf Supplementierung zurückgreifen. Doch in der Schwangerschaft und Stillzeit erhöht sich der Nährstoffverbrauch. So können auch Nährstoffe, die eigentlich im Überfluss vorhanden sind – wie etwa Protein – zum Problem werden, erklärt Rudloff.
„Ich möchte hier auch eine Lanze für stillende Frauen brechen. Es wird ja oft gesagt: Stillen kostet nichts. Das stimmt einfach nicht! Stillen kostet pro Liter Muttermilch ungefähr 700 kcal und 10 Gramm Protein und eine ganze Menge anderer Nährstoffe. Und dabei sind noch nicht mal die berücksichtigt, die dazu gebraucht werden, die Milch zu synthetisieren!“
Wenn also die Kalorienzufuhr und auch die Proteinzufuhr knapp ist, reichen die zusätzlichen 500 kcal, die eine stillende Mutter laut Leitlinien zu sich nehmen sollte, oft nicht aus. „Das sollte auch ein Hinweis darauf sein, dass man bei den Ernährungsempfehlungen nochmal besser differenzieren sollte“, mahnt Rudloff.
Über Ernährung – und vor allem vegane Ernährung – in der Schwangerschaft wird viel diskutiert. Doch es gibt bisher nur wenige zuverlässige Studien und die, die es gibt, bestehen aus kleinen Kohorten oder fanden retrospektiv statt. In den bisherigen Studien zu veganer Ernährung in der Schwangerschaft finden sich laut Rudloff aber keine Unterschiede zur Inzidenz von Hypertonie, Gestationsdiabetes und Frühgeburten. Allerdings kommt es zu einem geringeren Geburtsgewicht und die Säuglinge sind häufig zu klein für ihr Gestationsalter.
Die Risiken für eine unzureichende Nährstoffversorgung von Mutter und Kind bei veganer Ernährung sind ebenfalls noch nicht ausreichend erforscht. „Wenn es beispielsweise zu einem Mangel an Vitamin B12 kommt, ist das Risiko hoch, dass es zu einer Störung der neurologischen Entwicklung des Kindes kommt“, so Rudloff. Weitere Mängel können Jod, Eisen, Zink, Vitamin D, Calcium und Protein betreffen. „Wenn ich wenig Protein zuführe, dann muss zumindest viel Energie da sein, damit die Proteine nicht zur Energiezufuhr verwendet werden“, so Rudloff.
Calcium wird bei einer Blutwertemessung oft als unproblematisch erachtet, denn der Calciumgehalt im Blut ist recht gleichbleibend – damit ist er auch in der Muttermilch ziemlich gleichbleibend. Aber: Wo kommt das ganze Calcium her, bei einem Calciummangel durch vegane Ernährung? „Die Mutter mobilisiert aus dem Knochen Calcium, um die Homöostase im Blut zu erhalten – damit ist zwar die Milch gut zusammengesetzt, aber das kostet die Mutter Knochensubstanz“, erklärt Rudloff.
Hier seien auch die verwirrenden und sich ständig wechselnden Zusätze von Calcium in beispielsweise veganen Milch- und Milchproduktalternativen ein großes Problem. „Ärzte sollten hier ihre Patienten sensibilisieren und darauf verweisen, dass sie bitte ganz genau gucken sollen, was auf den jeweiligen Verpackungen steht – ein Optimum wären 120 Milligramm Calcium pro 100 ml“, so Rudloff im Gespräch mit DocCheck News.
„Jegliche Lebensmittelrestriktion stellt also ein Risiko dar. Es bringt aber nichts, den Patienten zu sagen: Das ist die eine richtige Ernährung und wer sich nicht daran hält, ist auf sich allein gestellt“, sagt Rudloff. „Wichtig wäre, zu gucken, gibt es eine Kompromissbereitschaft, während der Schwangerschaft gewisse Lebensmittel in die Ernährung aufzunehmen? Wenn nicht, muss man ganz klar supplementieren – vor allem B12. Außerdem sollte man Schwangeren, die sich vegan ernähren, empfehlen, auf eine ausreichende Energiezufuhr zu achten, damit das oft wenige Protein, das aufgenommen wird, dann auch entsprechend genutzt wird, um Synthese zu betreiben“, betont Rudloff gegenüber DocCheck.
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