Wenn ich meinen MFA keine Weiterbildung ermögliche, dann gehen sie. Und wenn ich das doch tue – gehen sie auch. Wie soll ich so meine Praxis am Laufen halten?
Wir reden zwar alle immer von einer „Arztpraxis“, aber letztlich vergessen viele dabei diejenigen, ohne die die Arztpraxis nicht laufen würde – unsere medizinischen Fachangestellten (MFA).
Früher noch krasser „Arzthelferin“ genannt, zeigt sich inzwischen zumindest im Namen eine gewisse Wertschätzung mit dem Wort „FACHangestellte“. Da hört es aber leider auch schon wieder auf und das finde ich absolut unglaublich. Mir wurde vor kurzem von einer Mitarbeiterin der Ärztekammer gesagt, dass „Medizinische Fachangestellte“ nicht einmal ein geschützter Begriff sei – jeder (!) dürfe sich so nennen. Ich habe für diesen Artikel versucht, das nachzuprüfen, aber die Formulierungen, die ich gefunden habe, waren schwammig und mir ist nicht 100%ig klar, ob sich das nur darauf bezieht, dass auch diejenigen, die damals noch die Ausbildung zur „Arzthelferin“ gemacht haben, sich heute medizinische Fachangestellte nennen dürfen oder ob das wirklich so ist, dass das faktisch jeder darf.
Wenn ja, fände ich das schon eine echt grobe Missachtung der Kompetenz. Ich habe ein tolles Team und ohne meine MFA würde VIELES in der Praxis nicht so schnell und kompetent gemacht werden, wie es aktuell läuft. Egal ob DMP, Laborabnahmen, Verbände, EKG und auch viel Verwaltung/Abrechnung. All das gehört mit dazu und ich bin heilfroh, dass ich das nicht alles selbst erledigen muss, sondern mich darauf verlassen kann, dass ich mich auf meine ärztlichen Kernkompetenzen beschränken kann. Wenn die MFA mal aus Urlaubs- oder Krankheitsgründen unterbesetzt sind, merkt man das auch sofort.
Aber da auch in meiner Praxis der demographische Wandel und andere soziale Faktoren nicht wegzudiskutieren sind, wollte ich jetzt zusätzlich zu meiner Auszubildenden noch eine medizinische Fachangestellte finden. Drei Monate später muss ich sagen, dass das trotz übertariflicher Bezahlung, flexiblen Arbeitszeiten, Dienstrad, etc. faktisch kaum möglich ist. Ich hatte genau eine (!) Bewerbung einer ausgebildeten MFA. Und die hatte so konkrete Forderungen, dass ich da ablehnen musste, weil ich das meinem restlichen Team nicht antun wollte, dass eine Person jetzt ihre Bedingungen so diktieren kann, dass die anderen sich immer anpassen müssen. Alles andere waren Quereinsteiger, die oft wenig bis gar keine Erfahrung in einer Arztpraxis hatten, oft in überhaupt keinem medizinischen Beruf.
Ich habe mich da viel mit meinen MFA drüber unterhalten. Trotz der Gehaltserhöhung im Rahmen der Tarifverhandlungen verdienen MFA immer noch ziemlich wenig, vor allem in jungen Jahren. Und (auch das ist ein Faktor) viele junge Frauen, die früher MFA geworden sind, gehen heute studieren. Besseres Gehalt, DEUTLICH höhere gesellschaftliche Akzeptanz, bessere Weiterbildungsmöglichkeiten. Also ist es irgendwo auch verständlich, wenn immer weniger junge Frauen MFA werden wollen.
Denn auch ich bekomme mit, wie einige Patienten gerade mit den Anmeldungs-MFA umspringen. „Unhöflich“ ist da oft noch eine wirkliche Verharmlosung. Ja, das sind glücklicherweise nur sehr wenige Patienten, aber das kommt schon mindestens 1–2 x pro Woche (in Stressphasen wie der Erkältungssaison auch gern mal mehr als 1x täglich) vor, dass Patienten aggressiv sind, Vorwürfe machen und dass die MFA dann alles ausbaden soll. Wenn ich es mitbekomme, gehe ich sofort dazwischen und sage auch deutlich, dass das so nicht geht – aber wenn ich im Patientenzimmer bin, bekomme ich es ja nicht mit.
Interessanterweise landet das Lob, wenn alles gut läuft, dann bei mir – weshalb ich inzwischen die lobenden Patienten auch konsequent bitte, das vorne an der Anmeldung auch nochmal zu sagen. Denn Wertschätzung ist einfach extrem wichtig, auch für die seelische Balance und wenn die Wertschätzung immer bei den Ärzten ankommt, aber alles Schimpfen bei den MFA, ist es kein Wunder, wenn die MFA in Scharen aus dem Beruf fliehen.
Fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten (und damit fehlende Möglichkeiten zur Aufbesserung des Gehaltes) sind natürlich auch ein Thema. Ich biete meinen MFA schon an, dass sie Fortbildungen machen können, habe mehrere Verahs (Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis), die auch selbständig Hausbesuche fahren dürfen, aber die ich aufgrund meines Personalmangels akut dann meistens eher in der Praxis brauche. Und letztlich ist Verah (oder NäPA oder EVA oder wie man das nennen mag) auch eigentlich die einzige Weiterbildungsmöglichkeit, die MFA haben, die sie in der Praxis hält.
Ich hatte mit einer meiner Verah-MFA mal nach weiteren Fortbildungsmöglichkeiten gesucht, aber das Angebot ist dünn, wenn diejenige danach in der Praxis bleiben soll. Es gibt wohl jetzt die ersten Absolventinnen eines Studiums für Verah („Primary Care Managerin“), das aber dann fast 11.000 Euro kostet und fünf Semester dauert. Grundsätzlich finde ich ein Aufbaustudium ja eine richtige Richtung – aber das sind Kosten, die ich als Praxisinhaber ja auch irgendwo herholen muss – und ich habe bisher noch nichts über zusätzliche Vergütungsmöglichkeiten gelesen. Und so paradox das klingt – mein persönliches Personalproblem umfasst gerade primär die MFA, nicht die Ärzte. Also ärztliche Tätigkeiten in den MFA-Bereich auslagern, wobei Weiterbildungsassistenten wenigstens bis zum Facharzt gefördert werden, MFA-Weiterbildungen aber kaum bis gar nicht, wäre für mich aktuell wirtschaftlich … schwierig. Und im zweiten Jahr als Praxis-Inhaberin bin ich da lieber noch vorsichtig. Ich bin mit ihr daher so verblieben, dass wir jetzt die ersten Erfahrungen der studierten Verahs abwarten und dann im Personalgespräch nächstes Jahr das Thema wieder aufgreifen (dann bin ich hoffentlich auch finanziell entspannter).
Aber die anderen Möglichkeiten sind für mich als Praxisinhaberin noch schlechter, weil fast alle Qualifikationsmaßnahmen für MFA abseits der o.g. Verah/EVA/NäPA die MFA mehr oder weniger aus der Praxis raus qualifizieren: Egal ob Medizinstudium, Betriebswirtin für Management im Gesundheitswesen, Qualitätsmanagementsbeauftragte – alle diese Abschlüsse qualifizieren die MFA faktisch aus der Praxis raus. Denn ich kann das weder zeitlich noch finanziell stemmen, als Einzelpraxis diese Verwaltungstätigkeiten so zu bezahlen, dass es einem akademischen Abschluss halbwegs angemessen ist. Das können sich gewöhnlich nur große Kliniken oder der „Public Health“ Bereich leisten – gern auch mit Heimarbeitsplatz, besser mit Kinderbetreuung vereinbaren Arbeitszeiten, etc.
Da wir aber jetzt gleichzeitig jahrelang gesellschaftlich wirklich gepredigt haben, dass nur ein Studium „gut“ sei und vor Arbeitslosigkeit und Altersarmut schütze, dürfen wir uns jetzt nicht wundern, wenn die heutigen Jugendlichen keine Ausbildungsberufe mehr ergreifen (und es sei auch daran erinnert, dass MFA KEINEN staatlichen Coronabonus erhalten haben, obwohl sie auch wahnsinnig viel mitgeholfen, sich dem Infektrisiko ausgesetzt und geimpft haben).
Was ist mit Quereinsteigern, von denen ich gerade aus der Gastronomie und dem Hotelgewerbe so einige Bewerbungen bekommen habe? Naja – um sie möglichst breit einsetzen zu können, muss ich sie ja dann letztlich genauso „ausbilden“, wie ich es mit meinen Auszubildenden mache. Sonst können sie nur Termine in den Kalender schreiben, was heutzutage ja auch zunehmend digital über Telefonassistenten und Onlineterminvergabe erfolgt. Die KV propagiert inzwischen in der „Praxis-For-Future“ sogar den „Self-Check-In“. Damit kann ich genau die Anmeldungstätigkeiten also auch elektronisch „abfangen“. Und da gemäß Tarif das MFA-Gehalt vor allem mit Berufsjahren steigt, würde das auch bedeuten, dass ich meine Quereinsteiger dann belohne, während ich Auszubildende und Jung-MFA bestrafe, weil ein Quereinsteiger sich ja dann auch nicht mit einem Azubi-Gehalt zufriedengeben möchte. Also auch keine wirklich gute Lösung.
Wieso sind wir in Deutschland eigentlich nicht in der Lage, MFA auch als „Health Care Professionals“ zu sehen (und zu bezahlen)? Denn das sind sie: Professionelle medizinische Mitarbeiter, deren Expertise in manchen Dingen ähnlich wie im Bereich Krankenpflege meine Fähigkeiten als Arzt ergänzt und in den praktischen Tätigkeiten auch definitiv manchmal übersteigt!
Denn so dürfen wir uns über den Fachkräftemangel nicht beschweren – und das wird immer heftiger werden. Und ohne MFA wird der ambulante Sektor noch schneller zusammenbrechen.
Um dazu Oscar Wilde zu zitieren:
Unsere MFAs sollten uns VIEL mehr WERT sein – in Anerkennung, Fortbildung und Gehältern.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney