Was haben Urlaub und die ärztliche Bedarfsplanung gemeinsam? Richtig, gar nichts. Dabei könnte die Vorbereitung auf den Sommerurlaub so wunderbar als Vorlage dienen. Wenn die Entscheider nur ihr Hirn einschalten würden.
So langsam beginnt die Urlaubssaison – und damit auch die Planung, was man dafür alles benötigt. Ein paar Kriterien sind: Wie lange ist man weg (meist sehr eindeutig zu berechnen) und wie ist die erwartete Wetterlage. Insbesondere wenn man mit Kindern Urlaub macht, muss man zudem die sonstigen lokalen Begebenheiten im Auge behalten und vorbereiten (für den Nordseestrand braucht man wahrscheinlich andere Wechselmonturen als in Südfrankreich, wenn sich das Kind vollgematscht hat).
Ja, ich weiß: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Aber in der Medizin scheinen wir Planungen anders zu anzugehen: Wir schauen einfach, wieviel Tage der Urlaub (= Einwohnerzahl) hat und berechnen daraufhin, was wir benötigen (= Ärzte/Kliniken). Die Berechnungsgrundlage der KBV ist dabei immer einsehbar.
Das erscheint mir irgendwie … zu kurz gegriffen. Klar kann man nicht für jede einzelne Straße einen exakten Plan machen, aber wäre es nicht sinnvoll, dass man sich so grob auch an den vorhandenen Begebenheiten und Besonderheiten orientiert? Ein Beispiel: Eine Freundin arbeitet im Ruhrgebiet und hat extrem viele Patienten mit Lungenerkrankungen (vor allem ehemalige Bergarbeiter). Hier auf dem Land haben wir im Vergleich dazu viel weniger Lungenerkrankungen. Ein Lungenfacharzt aus der Stadt erklärt auf Fortbildungen regelmäßig, dass dies an der viel geringeren Stickoxid-Belastung läge. Das weiß ich nicht, aber es fällt schon auf, dass wir so gut wie nie mit mehr als einem 2er-Kombi-Inhalator therapieren müssen, was wir als Hausärzte aber gut hinbekommen, weshalb ich selten zum Lungenfacharzt schicke.
Noch viel schwieriger finde ich aber, wie groß die Planungsbezirke sind. Dass nicht jede Milchkanne einen eigenen Neurologen bekommen kann – schon klar. Aber wenn dann die Fachärzte sich in der Stadt tummeln, die über 30 km entfernt mit in unserem Planungsbezirk ist und das Land immer weiter ausgedünnt wird, kann das auch nicht richtig sein. Die Realität hier auf dem Land sieht nämlich inzwischen so aus, dass uns gemäß Bedarfsplanung anderthalb Neurologen fehlen (wir haben hier gar keinen mehr), zwei Fachinternisten (kein Gastroenterologe, kein Kardiologe vor Ort außer einer hausärztlich internistischen Praxis, die zumindest noch Echos macht), die Hautärztin hat jetzt auch aufgegeben, der HNO-Arzt hört bald ohne Nachfolger auf. Der Einzugsbereich unseres verbliebenen Augenarztes ist inzwischen riesig geworden und damit die Termine auch in 6 Monaten (außer ich zücke jedes Mal einen „Hausarztvermittlungsfall“, was aber auch nicht ok ist – denn oft sind es keine Notfälle, sondern Dinge, die halt „halbwegs zeitnah“ laufen sollten, also binnen 4–6 Wochen, aber selbst das ist nicht mehr möglich).
Positiv ausgedrückt macht das unsere Arbeit als Hausärzte „vielfältig“, weil wir sehr viel selbst entscheiden müssen und dann die Leitlinien wälzen. Und man schafft sich ein gutes Netzwerk aus „Telefonjokern“, wo man dann nachfragen kann. Das kostet uns aber noch mehr Zeit und ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass wir damit 1:1 die fachärztliche Versorgung ersetzen können. Das macht uns natürlich auch emotional ganz schön Stress, weil es eine extreme Verantwortung ist. Aber es ist wie so oft so, dass wir als Hausärzte die Lücken stopfen. Das ist ja mit der Palliativmedizin genauso. Für alles gibt es tolle „Gesetzesansprüche“ und „Bedarfspläne“. Aber am Ende sitzen die Patienten vor mir und haben Not und wir versuchen zu helfen, so gut es geht.
Das Perfide: Keiner möchte unter diesen Umständen mehr eine neue Praxis aufbauen. Also wird bei uns die fachärztliche Versorgung immer schlechter, weil ja allenfalls jemand ohne Nachfolger schließt. Das erhöht den Druck auch im hausärztlichen Bereich immer weiter. Und es kommt ja auch drauf an, wie immobil die Patienten sind: Natürlich ist es meist einfacher, mit einem Hautausschlag etwas weiter zu fahren als wenn man schwer kardial oder neurologisch vorerkrankt ist.
Letztlich ist es Mängelverwaltung. Inzwischen kommt der Ärztemangel auch in den Städten an, was dafür sorgt, dass dort die Praxen auch langsam besser zu haben sind – und damit das letzte Argument für eine (meist im Einkauf günstigere) Landarztpraxis fällt.
Mein Vorschlag wäre, gerade im Landbereich die Planungsbezirke so zu gestalten, dass auch die Anfahrtszeiten nicht zu krass werden. Dabei denke ich insbesondere an Neurologie und Kardiologie, da die Patienten dieser Fachrichtungen auch nicht selten mobilitätseingeschränkt sind. Oder – wenn es nicht anders geht – wirklich eine Möglichkeit zu schaffen, dass wir als Hausärzte regelmäßige Videokonsile bekommen, damit wir besser versorgen können. Dann müsste aber die hausärztliche Versorgung so aufgestockt werden, dass wir auch genug Zeit dafür hätten.
Vor dem aktuellen Schreckgespenst der Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung habe ich da ehrlich gesagt wenig Angst: Unser Krankenhaus ist jetzt schon knapp bei Personal und da die stationären Patienten ja Vorrang haben werden, glaube ich nicht, dass da wirklich eine Konkurrenz entstehen könnte – dafür reichen die Kapazitäten nicht und es ist nicht lukrativ genug.
Aber wir brauchen Unterstützung. Denn letztlich haben wir unsere ärztliche Versorgung hier so weit ausgezogen, dass wir nicht nur „Barfuß-Medizin“ machen, wie es so oft heißt, sondern bald völlig nackt hier versorgen (um beim Kleider-Beispiel vom Anfang zu bleiben).
Deswegen mein Appell an diejenigen, die die Planung machen: Nicht nur rein auf die Zahlen schauen, sondern auch überlegen, was das heißt.
Oder auch:
„Vor der Planung ist das Hirn einzuschalten und nicht nur der Rechner.“
Werner L. Hetterich, deutscher Architekt
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