Gestern haben wir euch nach der Diagnose von drei Schwindel-Fällen gefragt. Ihr habt fleißig kommentiert – heute gibt’s die Auflösung!
Die richtige Diagnose von Schwindel-Patienten kann schon mal knifflig werden. Gestern haben wir euch drei Fallbeispiele von Patienten vorgestellt, die über Schwindel im Kontext von verschiedenen Begleiterscheinungen klagen. Heute erfahrt ihr die jeweiligen Diagnosen und Behandlungen.
Die Patientin zeigt die typische Symptomatik eines Syndroms des 3. mobilen Fensters oder auch einer Bogengangs-Dehiszenz. Hierbei handelt es sich in den meisten Fällen um einen Knochendefekt im anterioren Bogengang des Gleichgewichtsorgans, weniger häufig sind die anderen Bogengänge betroffen. Es ist insgesamt ein seltenes Krankheitsbild und begegnet einem im Arbeitsleben nicht oft, bei der beschriebenen Anamnese und Klinik sollte man jedoch definitiv daran denken. Ein Druck auf den Tragus (Hennebert-Zeichen) kann bereits Oszillopsien und Schwindel auslösen. Beim Weber-Test wird aufgrund einer verstärkten Knochenleitung in der Regel zur betroffenen Seite lateralisiert. Zusätzlich sollte eine Videookulographie zur Darstellung der Schlagrichtung des Nystagmus erfolgen. Die Schlagrichtung ist zur Eingrenzung des betroffenen Bogenganges maßgeblich. Die vestibulär evozierten myogenen Potentiale haben eine hohe Sensitivität und etwas geringere Spezifität. Bei diesem Verfahren werden Muskelpotentiale abgeleitet, die von durch akustische Reize aktivierte Otolithenorgane über Reflexbahnen hervorgerufen werden. Die Amplituden zeigen sich bei einem Syndrom des 3. mobilen Fensters früher und sind höher. Um den entsprechenden Knochendefekt darstellen zu können, wird ein hochauflösendes Dünnschicht-CT benötigt.
Bei milden Beschwerden sind meist eine entsprechende Edukation und Vermeidung der auslösenden Faktoren ausreichend. Bei starken Beschwerden und operativ zugänglichem Defekt kann eine Okklusion und/oder Abdeckung des Knochendefektes erfolgen.
Dieser Patient hat eine Vestibularisparoxysmie. Hierbei handelt es sich um einen Kontakt einer Arterie mit dem Nervus vestibulocochlearis, meist verursacht durch die A. cerebelli inferior anterior, seltener durch die A. cerebelli inferior posterior oder eine Vene. Die Symptome werden bei manchen Patienten durch Kopfbewegungen ausgelöst, in den meisten Fällen treten sie jedoch spontan auf. Während der Attacke kommt es zu horizontalen Nystagmen, die die Richtung wechseln können. In der Kalorik und Hörtestung kann sich eine Unterfunktion auf der betroffenen Seite zeigen. Ein MRT mit CISS/FIESTA-Sequenz ist zwar sehr sensitiv, aber nicht spezifisch, da ein Gefäß-Nerven-Kontakt auch bei 45 % der gesunden Menschen vorkommt. Somit ist die Klinik und ein Ansprechen auf eine Therapie mit Natriumkanalblockern z.B. Carbamazepin oder Oxcarbazepin zur Diagnosesicherung hilfreicher. Bei Unverträglichkeiten, starken Nebenwirkungen oder Kontraindikationen gegen Carbamazepin oder Oxcarbazepin kann auch Lacosamid verabreicht werden. Operative Dekompressionen sollten nur bei sicherer Diagnose, klarer Seitenzuordnung und Kontraindikationen oder schweren Nebenwirkungen unter oben genannter Medikation erfolgen.
Bei diesem Patienten handelt es sich um eine bilaterale Vestibulopathie. Im Vergleich zur Vestibularisparoxysmie und des Syndroms des 3. Mobilen Fensters kommt dieses Krankheitsbild etwas häufiger vor. Ganz typisch ist für die bilaterale Vestibulopathie eine Verschlechterung der Symptome im Dunkeln, weil die visuelle Kontrolle ausfällt. In manchen Fällen zeigt sich auch eine begleitende Hörminderung. Ursächlich sind häufig vestibuloototoxische Medikamente (am häufigsten Gentamicin) oder ein bilateraler Morbus Menière, 50 % der Fälle sind jedoch idiopathisch. Diagnostisch kann ein Video-Kopfimpuls-Test erfolgen, falls der klinische Kopf-Impuls-Test nicht wegweisend ist, und es sollte immer eine Kalorik und Hörtestung erfolgen. Die kalorische Testung ergibt in der Regel eine Mindererregbarkeit beidseits mit unterschiedlicher Ausprägung. Ziel der Therapie ist eine Sturzprävention und Stabilisierung des Gleichgewichts (durch Physiotherapie, Vermeidung von Stolperfallen, Gehhilfen etc.). Eine spezifische Therapie gibt es nur in wenigen Ausnahmen (abhängig von der Ätiologie). Es sollten weitere Behandlungen mit potenziell vestibuloototoxischen Medikamenten vermieden werden.
Bildquelle: Ludde Lorentz, Unsplash