Berichte von Hämatomen und sogar Knochenbrüchen zeigen: Massagepistolen sind gefährlich. Zwei Fallberichte setzen jetzt auch heftigen Lagerungsschwindel auf die Liste der Beschwerden. Wie kann es dazu kommen?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Sogenannte Massagepistolen werden von verschiedenen Herstellern beworben und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Es handelt sich dabei um batteriebetriebene Geräte, die äußerlich einem Akkuschrauber ähneln. An der Spitze befindet sich eine Art Massageball, der bei der Anwendung vibriert und die verspannte Muskulatur, die mit der Pistole bearbeitet wird, lockern soll. Die Pistolen erreichen dabei eine Stoßfrequenz von bis zu 3.000 Bewegungen pro Minute, der Massageball bewegt sich mit einer Amplitude von bis zu 16 mm und es wird eine erhebliche Kraft auf die behandelte Körperregion ausgeübt. In verschiedenen Medienberichten wurde daher ein vorsichtiger Umgang mit den Geräten empfohlen, um Verletzungen zu vermeiden. Dabei wurde vor allem auf die Entstehung von Hämatomen, z. B. bei der Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten, oder auf Knochenverletzungen bei Osteoporose hingewiesen.
Ein weiteres Risiko könnte die Entwicklung eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels (BPLS) sein. Zwei Fallberichte wurden kürzlich in der Fachzeitschrift JAMA Otolaryngology veröffentlicht. Die erste Patientin war 31 Jahre alt und stellte sich wegen einer akut aufgetretenen Schwindelattacke vor. Es wurde ein BPLS des rechten hinteren Bogengangs diagnostiziert und entsprechend behandelt. Zwölf Stunden vor dem Auftreten der Symptome hatte sie eine Massagepistole benutzt.
Die zweite Patientin, 48 Jahre alt, stellte sich wiederholt mit BPLS-typischen Beschwerden vor, die jeweils kurzzeitig auf die Behandlung ansprachen, dann aber wieder auftraten. Bei der vierten Vorstellung wurde sie schließlich ausführlich nach möglichen Auslösern befragt. Dabei berichtete die Patientin von der regelmäßigen Anwendung einer Massagepistole im oberen Nacken- und Hinterkopfbereich. Ihr wurde empfohlen, die Anwendung einzustellen. Daraufhin traten keine neuen Schwindelepisoden mehr auf. Insbesondere der zweite Fall legt einen kausalen Zusammenhang nahe, da die Schwindelepisoden zum einen in einem klaren zeitlichen Zusammenhang mit der Anwendung standen und zum anderen nach Absetzen der Massagepistole verschwanden.
Auch mechanistisch erscheint die Verursachung des BPLS durch die Massagepistolen plausibel. Ein BPLS entsteht durch die Ablösung von Otolithen im Gleichgewichtsorgan des Innenohres. Dies führt zu heftigem Drehschwindel.
So legen freischwimmende Ohrsteinchen den Gleichgewichtssinn lahm: Otolithen sind kleine Kristalle oder Steinchen, die normalerweise an der Innenwand des Gleichgewichtsorgans befestigt sind. Manchmal lösen sich diese Steinchen jedoch nach einem Trauma oder spontan von der Wand. Die Steinchen schwimmen dann in der Flüssigkeit, die das Gleichgewichtsorgan ausfüllt. Über die Bewegungen dieser Flüssigkeit registriert das Organ die Bewegungen des Körpers und leitet die Signale an das Gehirn weiter. So können wir koordinierte Bewegungen ausführen und zum Beispiel sicher geradeaus laufen. Durch die in der Flüssigkeit schwimmenden Steinchen wird die Bewegung der Flüssigkeit jedoch deutlich verstärkt. Das Gleichgewichtsorgan meldet dem Gehirn bei kleinsten Bewegungen eine starke Drehbewegung. Andere Sinnesorgane wie die Augen melden aber gleichzeitig, dass es keine Drehbewegung gibt. Diese Diskrepanz führt zu heftigem Drehschwindel, oft begleitet von Übelkeit und Erbrechen.
Es ist bekannt, dass ein BPLS gehäuft nach einem Trauma auftritt. Dabei können auch leichtere Krafteinwirkungen bei entsprechender Veranlagung zu einer Ablösung der Otolithen führen. Noch häufiger tritt dies jedoch spontan auf, die meisten Patienten berichten von keinem Trauma oder besonderen Umständen vor Auftreten der Symptomatik. Oft beginnt die Symptomatik auch kurz nach dem Aufwachen, so dass in diesen Fällen nicht von einem vorangegangenen Trauma ausgegangen werden kann. Durch die erhebliche Krafteinwirkung und die schnellen Vibrationen bei der Anwendung von Massagepistolen erscheint es plausibel, dass bereits locker sitzende Otolithen abgelöst werden können und so einen BPLS auslösen.Mit einem Klick auf das Bild kommt ihr zum Flexikon-Artikel, der euch das Gleichgewichtsorgan in 3D präsentiert. Klickt euch rein!
Ein Zusammenhang zwischen der Verwendung elektrischer Zahnbürsten und dem Auftreten von BPLS wurde bereits früher vermutet, konnte aber in einer Studie nicht bestätigt werden. Dagegen waren zahnärztliche Behandlungen, bei denen ebenfalls starke Vibrationen auftreten, in einer anderen Studie mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von BPLS verbunden. Die Vibrationen von elektrischen Zahnbürsten sind vermutlich weniger intensiv als die von Massagepistolen oder Zahnarztbohrern, so dass davon auszugehen ist, dass das Risiko erst bei höherer Intensität deutlich ansteigt.
Die Verwendung einer Massagepistole kann Risiken bergen, die wie üblich gegen den erwarteten Nutzen abgewogen werden müssen. Eine Alternative zur Verwendung einer Massagepistole wäre eine herkömmliche manuelle Massage. Diese kann auch andere positive Wirkungen haben: In einer kürzlich erschienenen systematischen Übersichtsarbeit wurden verschiedene positive Auswirkungen von Berührungen auf die körperliche und mentale Gesundheit beschrieben.
Kurze Zusammenfassung für Eilige
Massagepistolen mit Nebenwirkungen: Diese Geräte sind der neueste Trend, können aber fiese Überraschungen wie Hämatome und sogar heftigen Schwindel verursachen – das zeigen zwei Fallberichte.
Schwindel durch Vibrationen: Die Vibrationen einer Massagepistole können Otolithen im Innenohr losrütteln und so den Gleichgewichtssinn durcheinanderbringen. Ergebnis: Alles dreht sich, und der Magen spielt verrückt – nicht gerade das gewünschte Wellness-Erlebnis.
Mit Vorsicht genießen: Wer also auf Nummer sicher gehen will, sollte seinen Patienten empfehlen, die Massagepistole nur mit Bedacht einzusetzen oder gleich zur Handmassage raten. Die kann genauso entspannend sein, ohne dass man danach Karussell fährt.
Quellen:
Elisha et al. Benign Paroxysmal Positional Vertigo After Use of Handheld Massage Gun. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg, 2024. doi: 10.1001/jamaoto.2024.0543.
Sayal et al. Analysis of Patients Diagnosed with Benign Paroxysmal Positional Vertigo and the Corresponding Incidence and Patterns of Electric Toothbrush Use. Cureus, 2019. doi: 10.7759/cureus.5697
Chang et al. Benign Paroxysmal Positional Vertigo after Dental Procedures: A Population-Based Case-Control Study. PLoS One, 2016. doi: 10.1371/journal.pone.0153092.
Packheiser et al. A systematic review and multivariate meta-analysis of the physical and mental health benefits of touch interventions. Nat Hum Behav, 2024. doi: 10.1038/s41562-024-01841-8
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