Gesetzliche Krankenversicherungen setzen Mitglieder unter Druck, berichten Patientenschützer. Im jetzt vorliegenden Bericht zeigen sie auch Schwachstellen bei der pharmakologischen Beratung und bei Fragen zum Leistungsrecht. Apotheker sind darüber nur wenig verwundert, sie liegen seit Jahren mit GKVen im Clinch.
Anfang Juli erhielt Karl-Josef Laumann (CDU), Patientenbeauftragter der Bundesregierung, einen wenig erfreuliches Dokument. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) wertete 80.000 Beratungen gesetzlicher Krankenversicherungen aus. Gespräche hatten pharmakologische, medizinische, rechtliche, finanzielle oder psychosoziale Aspekte zum Inhalt. Jetzt legten UPD-Vertreter Laumann einen Abschlussbericht vor – und sparen nicht an Kritik. Patienten fühlten sich "allein gelassen“, "betrogen“, und viele hätten Angst, sagt UPD-Geschäftsführer Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler. Er macht deutlich, nicht von Einzelfällen zu sprechen.
Dazu einige Details: Laut Report informierten GKVen Versicherte 5.423 Mal falsch oder unvollständig. Sie verweigerten Leistungen (1.631 Fälle) oder führten Versorgungsleistungen unvollständig durch (1.427 Fälle). Weitere Kritikpunkte betrafen schlechte Versorgungsergebnisse (1.209 Fälle), finanzielle Nöte von Versicherten (1.105 Fälle) oder ungerechtfertigte Weigerungen von Leistungserbringern (1.020 Fälle).
Bei der Versorgung mit Arzneimitteln offenbarten sich ebenfalls große Schwächen im System. Der UPD-Bericht dokumentiert hier 2.877 Patienten und 8.804 Pharmaka. Im Mittelpunkt standen spezifische Fragen zum Arzneimittel selbst (2.047 Patienten), vor allem zu unerwünschten Wirkungen (908 Patienten), zu Wechselwirkungen (714 Patienten), zur Anwendung (639 Patienten) oder zur Wirkung selbst (458 Patienten). Besonders häufig behandelten Ärzte Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nervenleiden, Stoffwechselstörungen oder Probleme des Verdauungssystems. Knapp jeder zweite Patient bekam mehr als fünf Arzneimittel in Dauertherapie. Trotz bekannter Probleme der Polypharmazie wurden Wechselwirkungen kaum überwacht. Auch mangelte es an leitliniengerechten Therapien. Genau hier zeigt sich einmal mehr, welche Leistungen Apotheker erbringen könnten, falls Gesundheitspolitiker ARMIN flächendeckend umsetzen.
Das nächste heiße Eisen: Trotz gefüllter Töpfe, die Rede ist von 30 Milliarden Euro auf der hohen Kante, versuchen manche Krankenkassen laut UPD, Leistungen zu verweigern und Patienten einzuschüchtern. Knapp 28.000 aller 80.000 Beratungsgespräche zwischen April 2013 und März 2014 befasste sich mit der Frage, welche Ansprüche Versicherte haben. Sachbearbeiter rufen krankgeschriebene Mitglieder an und fragen nach, wann sie wieder arbeiten könnten. Laumann: „Auch mir berichten Versicherte immer wieder davon, dass sie von den Krankenkassen zum Beispiel durch regelmäßige Telefonanrufe oder sehr intime Fragen unter Druck gesetzt werden, sich möglichst schnell wieder arbeitsfähig zu melden.“ Bein Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) laufen so manche Dinge auch nicht wie gesetzlich vorgesehen. Zwar sind entsprechende Überprüfungen zulässig. Gutachter kämen innerhalb weniger Minuten und ohne genauere Überprüfung zur Einschätzung, Versicherte seien wieder arbeitsfähig, heißt es weiter. Das betrifft häufig Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Burnout. Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, will alle von der UPD dokumentierten Fälle mit Hinweisen auf ein mögliches Fehlverhalten kritisch überprüfen. Er entgegnet: „In über 80 Prozent der Beratungsgespräche bei der Unabhängigen Patientenberatung zum Thema Krankengeld gab es keinen Hinweis auf eine Problemlage.“
Neben finanziellen Leistungen dokumentiert die Studie weitere Spannungsfelder. An zweiter Stelle standen mit knapp 15.000 Beratungen Patientenrechte. Dazu gehören Zuzahlungen zu Medikamenten oder Forderungen von Ärzten. Laumann mahnt, Kostenträger sollten besser über Kosten und Leistungsansprüche aufklären, ohne „im Genesungsprozess unzulässig Druck auf Versicherte auszuüben“. Bleiben noch Beschwerden über fehlende Möglichkeiten der Einsichtnahme in Patientenakten oder zu niedrig kalkulierte zahnärztliche Heil- und Kostenpläne. Den unrühmlichen dritten Platz im Report belegten Fragen zu Behandlungsfehlern – mit 7.000 Beratungen. Es gelte, keine Fehler zu vertuschen, sondern daraus zu lernen, so Laumann weiter. Er will alle Missstände mit Verantwortlichen diskutieren. Inwieweit sein Vorhaben von Erfolgen gekrönt wird, sei dahingestellt.
Für Apotheker ist das UPD-Dokument aber noch in ganz anderer Weise interessant. Sie haben die Chance, ihr Leistungsspektrum in den nächsten Jahren deutlich zu erweitern. Dazu gehören nicht nur offensichtliche Aspekte wie das Medikationsmanagement. Kollegen können auch ihre Aufgabe als Lotsen im Gesundheitssystem weiter ausbauen – bei sozialrechtlichen Aspekten rund um Medikamente und Hilfsmittel. Krankenkassen kommen dieser Aufgabe nur ansatzweise nach, das zeigt sich jetzt erneut.