Eine neue Hoffnung im Kampf gegen resistente Bakterien heißt Lolamicin – es setzt am Lol-System an. Was genau das ist und wie es funktioniert, lest ihr hier.
Resistente Bakterien stellen eine erhebliche Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar, und die Dringlichkeit, wirksame neue Medikamente zu entwickeln, wächst stetig. Insbesondere gramnegative Bakterien, die oft besonders virulent und widerstandsfähig sind, machen Medizinern weltweit Sorgen. Wie steht es um die aktuelle Situation der Antibiotikaresistenzen und wie notwendig ist die Entwicklung neuer Antibiotika? Gute Neuigkeiten: es gibt einen vielversprechenden neuen Ansatz, der kürzlich in Nature vorgestellt wurde.
Die Zunahme von Antibiotikaresistenzen ist eine der größten Herausforderungen der modernen Medizin und erschwert die Behandlung von Infektionen erheblich. Besonders besorgniserregend sind dabei die multiresistenten gramnegativen Erreger, zu denen beispielsweise Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae gehören. Sie verursachen eine Vielzahl von Infektionen, darunter Harnwegsinfektionen, Lungenentzündungen und Sepsis.
Refresher: Das macht gramnegative Bakterien so besonders
Gramnegative Bakterien besitzen mehrere Barrieren, die das Eindringen von Antibiotika verhindern. Zudem sind sie in der Lage, genetische Informationen auszutauschen, die Resistenzen vermitteln. Dadurch verbreiten sich resistente Stämme schnell und machen bisher wirksame Antibiotika nutzlos. Ihre äußere Membran fungiert als starke Barriere. Sie besteht aus einer Lipid-Doppelschicht mit Lipopolysacchariden in der äußeren Schicht, die hydrophobe und polare Moleküle abweist. Kleine hydrophile Moleküle können durch Porine in die Zelle gelangen, werden jedoch oft durch Effluxpumpen wieder hinausbefördert. Dies führt zu einer insgesamt reduzierten Wirksamkeit vieler Antibiotika gegen gramnegative Bakterien.
Zusätzlich zur strukturellen Barriere sind gramnegative Bakterien in der Lage, genetische Informationen durch Mechanismen wie Konjugation, Transformation und Transduktion auszutauschen. Diese Prozesse ermöglichen die schnelle Verbreitung von Resistenzgenen innerhalb und zwischen Bakterienpopulationen. Beispielsweise können Plasmide, die multiple Resistenzgene enthalten, leicht zwischen Bakterien transferiert werden, was zur Entstehung multiresistenter Stämme führt. Diese Kombination aus physikalischer Barriere und genetischer Flexibilität macht gramnegative Bakterien besonders widerstandsfähig und erklärt, warum die Entwicklung neuer, wirksamer Antibiotika so dringend notwendig ist.
Aktuell gibt es nur wenige Antibiotika, die gezielt gegen gramnegative Bakterien wirken, und diese greifen oft auch das nützliche Darmmikrobiom an, was zu weiteren gesundheitlichen Problemen führen kann. Die Situation der Antibiotikaresistenzen hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben weltweit jährlich über eine Million Menschen an Infektionen, die durch multiresistente Bakterien verursacht werden.
Staphylococcus aureus(Kokken, grampositiv, dunkelviolett) und Escherichia coli (Stäbchen, gramnegativ, rot). Quelle: Y tambe, Wikimedia Commons
Besonders bedrohlich ist die Lage in Krankenhäusern, wo Patienten mit geschwächtem Immunsystem besonders anfällig für Infektionen sind. Breitbandantibiotika, die gegen eine Vielzahl von Bakterien wirken, werden häufig zur Behandlung eingesetzt, was jedoch das Risiko von Resistenzen erhöht. Diese Medikamente zerstören auch die nützlichen Bakterien im Darm, was zu Sekundärinfektionen wie Clostridioides difficile führen kann. Es besteht daher ein dringender Bedarf an neuen Antibiotika, die gezielt gegen pathogene Bakterien wirken und das Mikrobiom schonen.
Ein vielversprechender Ansatz zur Entwicklung neuer Antibiotika wurde kürzlich von einem Team um Dr. Kristen A. Muñoz von der University of Illinois at Urbana-Champaign vorgestellt. Die Forscher haben das Lol-System (Localization of Lipoprotein) als Ziel für ein neues Antibiotikum identifiziert. Dieses System, das in gramnegativen Bakterien vorkommt, besteht aus fünf Komponenten und ist für den Transport von Lipoproteinen zuständig. Es befindet sich im Periplasma zwischen der äußeren und inneren Membran der Bakterien.
Interessanterweise unterscheiden sich die Lol-Systeme von pathogenen gramnegativen Bakterien deutlich von denen der kommensalen, also nützlichen, gramnegativen Bakterien im Darm. Diese Unterschiede machen das Lol-System zu einem idealen Ziel für ein Antibiotikum, das pathogene Bakterien abtötet, ohne das Darmmikrobiom zu schädigen. Die Substanz, die von den Forschern entwickelt wurde, wurde auf den Namen „Lolamicin“ nach seinem Angriffspunkt getauft. In Nature berichten die Wissenschaftler, dass Lolamicin in vitro gegen mehr als 130 klinische Isolate mit Mehrfachresistenzen wirksam war. Zudem wurde es erfolgreich in Mausmodellen für akute Pneumonie und Sepsis getestet. Dabei blieb das Darmmikrobiom der Tiere unversehrt, und Sekundärinfektionen mit Clostridioides difficile konnten verhindert werden.
Diese doppelt selektive Strategie – die gezielte Abtötung pathogener Bakterien und das Schonen des Mikrobioms – könnte ein Ansatzpunkt für die Entwicklung weiterer Antibiotika sein. Unabhängige Forscher loben den Ansatz als vielversprechend, weisen aber darauf hin, dass vor einer möglichen Zulassung des Wirkstoffs als Arzneimittel noch viel Forschungsarbeit nötig ist. Die Entwicklung eines neuen Antibiotikums ist kostspielig und langwierig, und der finanzielle Anreiz für Pharmaunternehmen ist zum derzeitigen Zeitpunkt zu gering – der dringenden Notwendigkeit zum Trotz.
Die Entdeckung von Lolamicin könnte also einen bedeutenden Fortschritt im Kampf gegen multiresistente gramnegative Bakterien darstellen. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch Antibiotikaresistenzen ist die Entwicklung solcher gezielten Therapien von entscheidender Bedeutung. Die Gemeinschaft sollte nun auch dringend sicherstellen, dass die notwendigen Ressourcen und Unterstützung dafür bereitgestellt werden, um die Entwicklung von Lolamicin oder ähnlichen Substanzen voranzutreiben. Nur so können wir der Bedrohung durch resistente Krankheitserreger langfristig begegnen und die Gesundheit der Menschen weltweit schützen.
Bildquelle: Lydia Winters, unsplash