Demenzen treten selten vor dem 65. Lebensjahr auf. Unter den Menschen, die bei den 9/11-Terroranschlägen an den Rettungs- und Aufräumarbeiten beteiligt waren, kam es jedoch zu erhöhten Demenzraten. Was ist die Ursache?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson nehmen weltweit stark zu, rechnerisch tritt alle 3 Sekunden ein neuer Demenzfall auf. Besonders besorgniserregend ist, dass auch immer mehr jüngere Menschen an Demenz erkranken. Neben der alternden Bevölkerung sind in den letzten Jahren zunehmend Umweltfaktoren als mögliche Ursache in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Für die Alzheimer-Demenz konnte nachgewiesen werden, dass eine Belastung mit Feinstaub der Partikelgröße PM2,5 (die Partikel sind kleiner als 2,5 µm) das Erkrankungsrisiko deutlich erhöht. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist etwa 50 µm dick, also 20-mal dicker als die PM2,5-Feinstaubpartikel.
Wie die Feinstaubpartikel das Demenzrisiko erhöhen, ist noch nicht genau bekannt. Sie dringen beim Atmen tief in die Lunge ein und können so in die Blutbahn gelangen und über den Blutkreislauf das Gehirn erreichen. Noch kleinere Feinstaubpartikel mit einer Größe von weniger als 0,1 µm (PM0,1) können über den Riechnerv sogar direkt ins Gehirn gelangen. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass Feinstaub zu einer Anhäufung von toxischen Proteinen (z. B. hyperphosphoryliertes Tau-Protein) im Gehirn von Mäusen führen kann, was wiederum den Verlust von Nervenzellen und damit eine Neurodegeneration zur Folge hat.
Als bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 in New York die beiden Türme des World Trade Centers einstürzten, wurden Teile von New York City von riesigen Staubwolken bedeckt. Die Luft war stark mit verschiedenen Schadstoffen und Staubpartikeln belastet. Viele der Rettungskräfte, die damals im Einsatz waren, erlitten aufgrund der Luftverschmutzung akute Atemwegs- oder Magen-Darm-Beschwerden.
Dass die damalige Schadstoffbelastung auch Langzeitfolgen hatte, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie. Die Wissenschaftler aus New York rekrutierten eine Kohorte von Personen, die unmittelbar nach den Terroranschlägen als professionelle Rettungskräfte oder freiwillige Helfer an den Aufräumarbeiten beteiligt waren. Die Teilnehmer wurden in 5 Kategorien eingeteilt, je nachdem, wie stark sie den Schadstoffen ausgesetzt waren. Dies hing unter anderem vom genauen Einsatzort, der Dauer des Einsatzes und dem Tragen persönlicher Schutzausrüstung ab.
Insgesamt wurden mehr als 5.000 Studienteilnehmer eingeschlossen, die alle 18 Monate mittels kognitiver Testverfahren untersucht wurden. Primärer Endpunkt war das Auftreten einer Demenz vor dem 65. Lebensjahr. Die Inzidenz neu aufgetretener Demenzfälle stieg mit zunehmender Schadstoffexposition schrittweise an. Die Inzidenzrate reichte von 3 pro 1.000 Personenjahren in der Gruppe mit der niedrigsten Schadstoffexposition bis zu 42 pro 1.000 Personenjahren in der Gruppe mit der höchsten Exposition.
Unter den Studienteilnehmern mit extrem hoher Exposition erkrankten 12 von 89 Personen vor dem 65. Lebensjahr. Obwohl Demenz eine häufige Erkrankung ist, tritt sie in der Normalbevölkerung nur sehr selten vor dem 65. Lebensjahr auf. Umso erschreckender sind die Zahlen der Studie: Bei hoher Schadstoffbelastung erkrankt jeder 8. an Demenz. Dieses Risiko kommt zu den zahlreichen anderen Auswirkungen und Risiken der Schadstoffbelastung hinzu, wie vor allem einer erhöhten Rate an Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Helferinnen und Helfer zahlten einen hohen Preis für ihre Unterstützung.
Was folgt aus den Ergebnissen? Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die gesundheitlichen Risiken durch das Tragen von persönlicher Schutzausrüstung deutlich reduziert werden kann. Die Studienteilnehmer, die ständig Maske und Schutzanzug trugen, wurden in die Kategorie mit geringer Schadstoffbelastung eingestuft und hatten ein geringes Risiko, an Demenz zu erkranken. Während professionelle Rettungskräfte bei großen Katastropheneinsätzen in der Regel mit guter Schutzausrüstung ausgestattet sind, ist dies bei spontanen freiwilligen Helfern meist nicht der Fall. Zukünftig sollten auch freiwillige Helfer im Katastrophenfall mit Schutzausrüstung ausgestattet werden und dies bei der Einsatzplanung berücksichtigt werden.
Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, kommt daher zu dem Schluss: „Die konsequente Verwendung von Schutzausrüstung kann dazu beitragen, Entstehungen von Demenzen vor dem 65. Lebensjahr in Folge solcher Einsätze zu verhindern. Hierfür muss ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit geschaffen werden, und Rettungsdienste, Feuerwehren, aber auch spontan helfende Bürgerinnen und Bürger sollten entsprechend ausgestattet werden oder zumindest FFP2-Masken tragen.“
Darüber hinaus zeigt die Studie erneut, dass Umweltbelastungen einen großen Einfluss auf das Demenzrisiko haben. Dies sollte bei der Bekämpfung von Demenzerkrankungen berücksichtigt werden, da durch die Reduzierung der entsprechenden Schadstoffe oder den Schutz vor der Exposition viele Demenzerkrankungen verhindert werden können.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Erhöhte Demenzraten bei 9/11-Helfern: Studien zeigen, dass Menschen, die nach den 9/11-Anschlägen an den Rettungs- und Aufräumarbeiten beteiligt waren, ein deutlich erhöhtes Risiko haben, vor dem 65. Lebensjahr an Demenz zu erkranken.
Schadstoffbelastung als Risikofaktor: Feinstaubpartikel, insbesondere PM2,5 und PM0,1, erhöhen das Risiko neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer, da sie tief in die Lunge eindringen und über die Blutbahn oder den Riechnerv ins Gehirn gelangen können, wo sie toxische Proteinablagerungen verursachen.
Wichtigkeit von Schutzausrüstung: Die Verwendung persönlicher Schutzausrüstung kann das Risiko, an Demenz zu erkranken, erheblich reduzieren. Es wird empfohlen, dass nicht nur professionelle Rettungskräfte, sondern auch freiwillige Helfer bei Katastropheneinsätzen mit entsprechender Schutzausrüstung ausgestattet werden.
Quellen:
louston et al. Incidence of Dementia Before Age 65 Years Among World Trade Center Attack Responders. JAMA Netw Open, 2024. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.16504.
Serafin et al. Air Pollution: A Silent Key Driver of Dementia. Biomedicines, 2023. doi: 10.3390/biomedicines11051477.
Bildquelle: Benjamin Kerensa, Unsplash