Um wenige Krankheiten ranken sich so viele Mythen und Legenden, wie um die Borreliose. Eine neue Leitlinie hilft bei der Bekämpfung – der Krankheit UND der Legenden.
Für eine Zecke ist das Leben auch kein Honigschlecken. An drei verschiedenen Wirten muss sie Blut saugen, bis sie Eier ablegen kann, nur um gleich darauf zu sterben. Und wenn sie einen Menschen erwischt, sieht es ganz übel aus: Der ist für sie ein Fehlwirt, also eine Sackgasse. Die Chance, dass sie sich auf ihm paaren kann, geht gegen Null. Bis ein Männchen des Weges kommt, wurde sie längst entdeckt und rausgerupft.
Für einen Menschen, der von einer Zecke gestochen wird, kann das Leben aber auch zur Qual werden. Was dann zu tun ist, verrät die eben aktualisierte S3-Leitlinie Neuroborreliose, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Es geht darin um die Diagnostik und Therapie von neurologischen Manifestationen der Lyme-Borreliose bei Kindern und Erwachsenen. Erstmals behandelt die Leitlinie auch die „chronische Neuroborreliose“, um die sich viele Legenden ranken. Die Leitlinie soll auch als Informationsquelle für Patienten und andere Interessierte dienen.
Der Zusammenhang zwischen Stich des Holzbocks und Neuroborreliose ist eindeutig: Sind Zecken mit Borrelien infiziert – in Süddeutschland bis zu 38 Prozent – können die Bakterien beim Stich der Zecke ins Blut gelangen. Reagiert das Immunsystem nicht ausreichend, können sie Lyme-Borreliose und bei etwa jedem hundertsten Zeckenstich auch Neuroborreliose auslösen. Antikörper gegen Borrelien sind auch bei Gesunden häufig, vor allem bei Waldarbeitern. Erstaunlich: In zwei von drei Neuroborreliose-Fällen wurde der Zeckenstich nicht bemerkt.
Ein Zecken-Check ist nach einem Streifzug durch Wald und Flur sinnvoll, weil es ab Stich etliche Stunden dauert, bis die Bakterien tatsächlich in den Menschen gelangen. Am besten sucht man in den Kniekehlen, dem Haaransatz, der Leistenbeuge und hinter den Ohren. Nicht sinnvoll sind dagegen eine Untersuchung des Übeltäters auf Bakterien sowie eine prophylaktische Antibiotikagabe. Eine Impfstoffzulassung ist, anderslautender Schlagzeilen der Bild-Zeitung zum Trotz, derzeit nicht absehbar.
Unter den neurologischen Manifestationen ist das Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom am häufigsten, auch Hirnnervausfälle, mit Ausnahme des Riechnerven, kommen vor. ZNS-Schädigungen mit Myelitis und Enzephalitis sind selten, aber vielgestaltig. Bei Kindern ist die lymphozytäre Meningitis die häufigste Ausprägung.
Neben einer Reihe empfohlener Untersuchungen bei klinischem Verdacht werden auch zehn Untersuchungen explizit nicht empfohlen: vom Antigennachweis aus Körperflüssigkeiten bis hin zu kommerziellen serologischen Schnelltests. Sehr übersichtlich ist der Diagnosepfad für frühe und späte Neuroborreliose in zwei Schaubildern dargestellt.
Definitiv keine späte Neuroborreliose liegt vor, wenn der Antikörper Index negativ ist, und Zellzahl und Gesamteiweiß unauffällig sind. Wenn trotz negativem Antikörper Index Zellzahl und Gesamteiweiß erhöht sind, ist Neuroborreliose unwahrscheinlich.
14 Empfehlungen der Leitlinien behandeln die Therapie. Antibiotika sind die Therapie der Wahl, wenn die Diagnose Neuroborreliose sicher ist, wenn nicht, können Antibiotika zumindest erwogen werden. Bei früher Neuroborreliose sollten die Mittel zwei Wochen, bei später zwei bis drei Wochen verabreicht werden. Zusätzlich sind symptomatische Therapien sinnvoll.
Für die Praxis vermutlich besonders relevant ist das Kapitel „vermeintliche chronische Neuroborreliose“. Fazit: „Insgesamt sprechen die Studien dafür, dass bei Verdacht auf eine „chronische Lyme-Borreliose“ in erster Linie eine intensive Differenzialdiagnostik sowohl organischer als auch psychosozialer Krankheitsfaktoren notwendig ist.“ Für die Diagnose Post Treatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS) ergaben die Studien, dass „Lebensqualität, Fatigue, Depression und Kognition nicht auf eine antibiotische Therapie ansprechen“.
Die Leitlinie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Erik Kartis, unsplash