Notfälle sind hochkomplexe, unerwartete und zeitkritische Ereignisse. Bevor es für junge Pflegekräfte und angehende Mediziner ernst wird, durchlaufen sie jetzt in Greifswald ein gemeinsames, zweitägiges Simulationstraining.
Seit kurzem trainieren an der Universitätsmedizin Greifswald (UMG) erstmals Pflegeschüler des 2. Lehrjahres der Beruflichen Schule zusammen mit Medizinstudierenden in einem zweitägigen Intensivkurs den Notfall. Das Projekt ist einzigartig in Deutschland und Teil einer Initiative der Robert Bosch Stiftung für mehr Patientensicherheit durch interprofessionelles Lernen. Der Vorstand der Universitätsmedizin Greifswald vertritt die Meinung, dass das Training „[...] schon in der Ausbildung dazu beitragen wird, die Patientensicherheit in der Notfallmedizin weiter zu erhöhen. In kritischen Situationen richtig miteinander zu agieren und zu kommunizieren, stellt an alle Beteiligte höchste Anforderungen und kann gar nicht früh genug geübt werden“, so der Ärztliche Vorstand, Dr. Thorsten Wygold. „Mit dem Schaffen einer solchen Gelegenheit durchbrechen wir auch bewusst althergebrachte Ausbildungsstrukturen und Rollenbilder.“ Das Überleben von Patienten in der klinischen Notfallmedizin hänge, laut Auffassung der Verantwortlichen, wesentlich von einer eingespielten Zusammenarbeit der beteiligten Gesundheitsberufe ab. In dem Greifswalder Projekt sei deshalb ein gemeinsames Lehrangebot für Medizinstudenten und Auszubildende der Pflege im Bereich der klinischen Notfallmedizin entwickelt worden. „Medizinstudierenden wird ebenso wie Schülern der Gesundheits- und Krankenpflege während ihrer Ausbildung zu wenig handlungsbezogenes Wissen vermittelt“, so Prof. Konrad Meissner von der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der das interprofessionelle Projekt initiierte. „Und obwohl diese beiden Berufsgruppen später täglich in Notfallsituationen für den Patienten möglichst fehlerlos funktionieren müssen, gibt es bislang keine gemeinsamen Ausbildungsmöglichkeiten. Das wollten wir ändern.“
In den Notfallkursen werde der Ernstfall in einem Simulationszentrum an zwei Tagen mit wechselnden Rollen, mit lebensechten Puppen und professionellem OP-Equipment trainiert. Auszubildende und Studierende würden mit unterschiedlichen Situationen konfrontiert - beispielsweise einem frischoperierten Patienten mit plötzlicher Atemnot - und müssten diesen Vorfall gemeinsam bewältigen. In 16 Trainingsstunden an zwei Tagen würden insgesamt acht Fallszenarien trainiert. Das gemeinsame Agieren und die Kommunikation miteinander sowie mögliche Fehler würden anschließend per Videoanalyse ausgewertet. „Sowohl die Pflegeschüler als auch die Studierenden erlernen in ihrer Ausbildung notfallmedizinische Handlungs- und Entscheidungsschritte, die als grundlegende Abläufe bekannt und von elementarer Bedeutung sind. Die Wirklichkeit hält jedoch viele menschliche Überraschungen bereit“, so Oberarzt Dr. Martin von der Heyden, „auf die die meisten nicht ausreichend vorbereitet sind. Es geht um die sogenannten non-technical-skills, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit im Team, zur richtigen Einschätzung der Situation und zum Treffen von angemessenen Entscheidungen innerhalb kürzester Zeit.“
Wer vergibt Aufgaben? Werden Anweisungen klar kommuniziert? Auf welche Weise wird Rückmeldung gegeben? Da müsse es klare Regeln geben, die dann in der Extremsituation auch zur Anwendung kämen. Alle relevanten Abläufe könnten, so die Zuständigen, an programmierbaren Simulatorpuppen lebensecht dargestellt und durchgespielt werden. Fehler hätten somit in dieser Phase keine negativen Auswirkungen, dafür aber einen nachweislich länger anhaltenden Lerneffekt. Die Teilnehmer erhielten ein professionelles Feedback ihrer Instruktoren und könnten über das Video-Debriefing ihr eigenes Verhalten, ihre Stärken und Schwächen reflektieren. „Welche Erkenntnisse die Teilnehmer daraus ableiten, was sie künftig anders machen wollen, obliegt ihrer eigenen Entscheidung und Verantwortung. Eine Fähigkeit, die sie auch im späteren Berufsalltag befähigt, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und zu korrigieren“, erläutert Projektkoordinatorin Maud Partecke. Die ersten Erfahrungen nach dem Start des gemeinsamen Notfalltrainings seien fast durchweg positiv. „Beide Berufsgruppen empfinden es als eine große Bereicherung, miteinander ihr Wissen in einer gespielten Krisensituation austesten zu können. Das Interesse daran ist sehr groß, wie auch die schnell ausgebuchten Kurse belegen“, so Prof. Konrad Meissner. „Die bessere interprofessionelle Zusammenarbeit der Berufsgruppen ist vor allem ein Gewinn für die Patienten und sollte fester Bestandteil der medizinischen Ausbildung werden.“