Stottern ist zwar keine psychische Störung, wird aber durch Stress verstärkt – genau da könnten Psychedelika ansetzten. Solltet ihr euren stotternden Patienten bald MDMA verschreiben?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
LSD, MDMA, Psilocybin – das sind wohl die bekanntesten psychedelischen Drogen, die auch in der Medizin Anwendung finden. Psychedelika wirken halluzinogen und bewusstseinsverändernd und können damit offenbar bei psychischen Erkrankungen wie Depression helfen. Mancherorts, etwa in der Schweiz und Australien, können einige der Substanzen sogar bereits unter bestimmten Umständen medizinisch eingesetzt werden. In den USA soll die FDA im August entscheiden, ob MDMA zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen zugelassen wird. Wie das ausgeht, ist allerdings noch sehr unsicher, denn beratende Fachleute der FDA haben sich kürzlich gegen die Therapie ausgesprochen: Sie sehen keine ausreichenden Beweise für eine Wirksamkeit. In der EU und Deutschland dürfen die Substanzen bisher generell nicht klinisch eingesetzt werden.
Forscher sind hingegen weltweit mit Psychedelika beschäftigt – und zwar nicht nur in Hinblick auf psychische Erkrankungen. Ein US-amerikanisches Team um Eric S. Jackson, Associate Professor im Communicative Sciences and Disorders Department der New York University, brachte die psychedelischen Drogen nun mit Stottern zusammen.
Betroffene leiden häufig unter ihren Sprachauffälligkeiten, werden von anderen ausgelacht oder ausgegrenzt. In der Folge ziehen sie sich oft sozial zurück, die Lebensqualität leidet sehr stark darunter. Es gibt unterschiedliche Therapien, um entweder die Symptome zu lindern oder das Stottern anzunehmen und das Selbstbewusstsein zu stärken. Dazu gehören verschiedene psychotherapeutische Ansätze. Zwar ist Stottern eine motorische und keine psychische Störung, sie wird aber durch Stress und Anspannung noch verstärkt. An dieser Stelle setzen Jackson und seine Kollegen an: Wenn Psychedelika positive Emotionen fördern, negative Verhaltensmuster aufbrechen oder neue Verknüpfungen im Gehirn anregen können, helfen sie möglicherweise auch hier.
Das Team wählte zunächst einen einfachen, wenn auch wissenschaftlich recht eingeschränkten Zugang zu ihrer Frage: Sie analysierten 114 anonyme Beiträge in dem Online-Forum „Reddit“, in denen User die Wirkung von Psychedelika auf ihr Stottern beschrieben. Fast drei Viertel berichteten über kurzfristige Verbesserungen, also etwa weniger Stottern oder eine verminderte psychische Belastung. Es gab allerdings auch User, die von negativen oder gar keinen Veränderungen schrieben. Das Fazit der Autoren: Möglicherweise könnte eine Therapie mit Psychedelika für Menschen mit Stottern hilfreich sein – jedoch dürfe man die Ergebnisse nicht überinterpretieren.
Das sieht auch Dr. Felix Müller so: „Die untersuchten Beiträge sind sehr heterogen, mit verschiedenen Psychedelika und teilweise Microdosing, also nur sehr geringe Konzentrationen“, sagt der Leiter des Klinischen Forschungsbereiches für substanzgestützte Therapie an der Universität Basel. „Außerdem gab es keinerlei Kontrollgruppen und meistens sind die Placebo-Effekte bei solchen Selbstbeobachtungen ziemlich groß.“
Die Studie ist also nur ein erster Hinweis, in welche Richtung die Forschung gehen könnte. Das schreiben auch die Autoren und erhoffen sich für die Zukunft kontrollierte klinische Untersuchungen zu dem Thema.
Für die Psychedelika-Forschung wären allerdings größere Fragen zunächst wichtiger. Selbst der Wirkmechanismus der psychedelischen Substanzen ist noch nicht geklärt. „Ziemlich deutlich ist bisher, dass die Psychedelika an einen bestimmten Serotonin-Rezeptor binden und ihn aktivieren“, erklärt Müller. Indem sie auf diese Weisen den neurochemischen Botenstoff simulieren, könnten sie ihre Effekte vermitteln. „Aber was dann passiert, ist bisher ziemlich spekulativ.“
Dazu kommt, dass die Forschung mit Psychedelika einige Schwierigkeiten birgt. Allein die Auswahl der Kontrollgruppe: Im Idealfall wissen die Teilnehmer einer Studie gar nicht, ob sie die aktive Substanz oder das Placebo bekommen. Bei psychoaktiven Drogen ist es allerdings recht eindeutig, ob man nach der Einnahme halluziniert oder nicht. „Manche Gruppen nutzen beispielsweise niedrige Dosen der Psychedelika als Kontrollen“, sagt Felix Müller. „Aber das ist aktuell eine der großen Herausforderungen dieser Forschung.“
Andere Hürden gibt es etwa in der Auswahl der Teilnehmer und bei der Verallgemeinerung: Was in einer sehr kontrollierten Studie mit genau ausgesuchten Testpersonen funktioniert, muss nicht unbedingt auch in der medizinischen Realität klappen. Zwei niederländische Forscher, Michiel van Elk und Eiko I. Fried, haben 2023 alle ihnen relevant erscheinenden Probleme der Psychedelika-Forschung in einer Publikation zusammengefasst, sie in „einfach“, „mittel“ und „schwer“ kategorisiert und Lösungsvorschläge gemacht. Dabei wird deutlich: Einiges ließe sich besser umsetzen, als es bisher getan wird. Für andere Schwierigkeiten sind derzeit keine sinnvollen Lösungen in Sicht. Und manche Hürden sind nicht spezifisch für Psychedelika, sondern ziehen sich durch verschiedene medizinische Forschungsfragen. Gerade bei der Verblindung – also das Unwissen der Testpersonen, welche Behandlung sie bekommen – und dem Placebo-Effekt sind psychoaktive Therapien nicht die einzigen, die sich leicht erkennen lassen.
Einige Bedenken, die im Zusammenhang mit Psychedelika immer wieder auftauchen, sind immerhin unbegründet, sagt Müller: „Eine Überdosis oder schwere körperliche Zwischenfälle gibt es bei diesen Drogen nicht.“ Und auch eine Abhängigkeit sei in der Regel nicht zu erwarten. Das bedeute nicht, dass Psychedelika völlig ungefährlich sind. „Es kann natürlich zu negativen Auswirkungen kommen, die in Studien aber gut begleitet werden.“ Wirklich problematisch könne es jedoch werden, wenn Patienten die psychedelischen Drogen als eine Art Selbsttherapie ansehen und sie ohne ärztliche Unterstützung ausprobierten.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Quellen:
Aicher et al. Psychedelika-assistierte Psychotherapie. Die Psychotherapie, 2024. doi: 10.1007/s00278-024-00711-y
Van Elk, M. & Fried, E. I. History repeating :guidelines to address common problems in psychedelic science. Ther Adv Psychopharmacol, 2023. doi: 10.1177/20451253231198466
Calder, A. E. & Hasler, G. Towards an understanding of psychedelic-induced neuroplasticity. Neuropsychopharm, 2022. doi: 10.1038/s41386-022-01389-z
Jackson, E. S. et al. Stutterers‘ experiences on classic psychedelics: A preliminary self-report study. J Fluency Disord, 2024. doi: 10.1016/j.jfludis.2024.106062
Laiho, A. et al. Stuttering interventions for children, adolescents, and adults: a systematic review as part of clinical guidelines. J Commun Disord, 2022. doi: 10.1016/j.jcomdis.2022.106242
Kwan, A. C. et al. The neural basis of psychedelic action. Nat Neurosci, 2022. doi: 10.1038/s41593-022-01177-4
Bildquelle: erstellt mit Midjourney