Das Reserveantibiotikum Vancomycin war bisher das Ass im Ärmel gegen MRSA-Infektionen. Nun wurde ein Fall aus Brasilien bekannt, bei dem die Blutinfektion eines jungen Mannes mit einem Vancomycin-resistenten MRSA-Stamm nicht mehr behandelt werden konnte.
Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit bis er auftauchen würde: Der erste Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stamm (MRSA), dem das Reserveantibiotikum Vancomycin nichts anhaben kann. In Brasilien wurde im Jahr 2012 ein solcher Keim im Blut eines 35-jährigen Mannes nachgewiesen. Dieser Umstand alleine wäre schon besorgniserregend genug. Dazu kommt aber, dass der Keim offenbar in der breiten Bevölkerung kursiert. Denn dem genetischen Profil des Keims zufolge hatte sich der Mann nicht in einem Krankenhaus damit infiziert. Dort verbreiten sich MRSA-Keime eigentlich bevorzugt, wo sie bei immungeschwächten Patienten leichtes Spiel haben. Weltweit verursacht der Erreger etwa 1,5 Millionen Krankenhausinfektionen pro Jahr – in Deutschland sind es grob 100.000. Wenn MRSA bei geschwächten Patienten eine Blutvergiftung oder eine Lungenentzündung auslöst, enden viele der Infektionen tödlich. Erst in den 1990er Jahren wurden MRSA-Stämme bekannt, die sich auch außerhalb von Krankenhäusern auf gesunden Menschen effektiv ausbreiten konnten. Meistens verursachen diese Stämme schwere Haut- und Weichteilinfektionen, seltener aber lebensbedrohliche Erkrankungen wie eine nekrotisierende Lungenentzündung.
In Brasilien verstarb nun erstmals ein Mann an einem Vancomycin-resistenten MRSA-Erreger. Der 35-Jährige war offenbar in einem schlechten Allgemeinzustand, als er sich mit dem Keim infizierte: Der Mann war kokainabhängig und litt unter Hautkrebs und Diabetes. Als er wegen psychischer Probleme und Infektionen der Haut und der Weichteile ins Krankenhaus kam, wurde eine Zellgewebsentzündung am Beim zunächst mit Cephalexin und topischem Gentamycin behandelt. Mit einem Rezept für Clindamycin wurde der Patient entlassen. Ein halbes Jahr später verschlechterten sich seine psychiatrischen Symptome und die Haut- und Weichteilentzündungen traten erneut auf. Im Krankenhaus erhielt der Patient Vancomycin und Cefepim. Blutproben, die nach der 8-tägigen Behandlung im Krankenhaus entnommen wurden, waren steril. Der Patient verblieb jedoch trotzdem im Krankenhaus, wo er eine chemotherapeutische Behandlung mit Gemcitabin, Vinorelbine und Dexamethason gegen seinen Hautkrebs erhielt. Nach der Chemotherapie gegen den Hautkrebs bekam der junge Mann erneut Fieber und erhielt Vancomycin und Piperacillin-Tazobactam. Zu diesem Zeitpunkt bestätigten Bluttests, dass der Erreger empfindlich gegen Vancomycin, Linezolid and Clindamycin sei. So erhielt der Patient weitere 14 Tage Vancomycin, gefolgt von einer 14-tägigen Teicoplanin-Kur. Am Tag, nachdem Teicoplanin abgesetzt worden war, kam das Fieber zurück und eine Blutanalyse zeigte, dass einer der zwei nachgewiesenen MRSA-Stämme gegen Vancomycin und Teicoplanin resistent geworden war. Weitere Tests zeigten, dass dem Erreger auch Erythromycin, Clindamycin, Ciprofloxacin, Gentamicin und Trimethoprim-Sulfamethoxazol nichts anhaben konnten. Daraufhin begannen die Ärzte eine Behandlung mit Daptomycin. Ein Rektalabstrich, der zwei Wochen nach der positiven Blutprobe gemacht wurde, zeigte, dass der Mann einen Vancomycin-resistenten E. faecalis-Stamm in sich trug. Alle weiteren Behandlungsversuche scheiterten und wenige Wochen später verstarb der Mann.
Wissenschaftler der University of Texas untersuchten jetzt den Erreger, der sich im Blut des jungen Mannes ausgebreitet hatte. Dabei entdeckten sie, dass der Keim während der Antibiotikatherapie den sogennanten vanA-Gencluster aufgenommen hatte, der ihn unempfindlich gegen das Reserveantibiotikum Vancomycin gemacht hatte. Dieser Gencluster wurde im Jahr 2002 zum ersten Mal in MRSA beschrieben und seitdem 13-mal in den USA dokumentiert. Auch in Indien und im Iran wurde sein Vorkommen bestätigt – allerdings noch nie im Blutstrom eines Menschen. Als Überträger der Resistenzgene vermuten Wissenschaftler die Bakterien Enterococcus faecalis and E. faecium. Auch bei diesem Patienten scheint das Genstück, das dem Erreger eine Resistenz gegen Vancomycin verleiht, aus einem Darmbakterium zu stammen. Die DNA-Sequenz des vanA-Genclusters sowie dessen flankierenden Sequenzen war mit der des Darmkeims vom Abstrich des Patienten identisch.
„Wenn Vancomycin nicht mehr wirkt, dann wird es sehr schwer und teuer, diese Infektionen zu behandeln“, so Studienleiter Cesar A. Arias, vom University of Texas Health Science Center in Houston. Die Wissenschaftler mahnen großer Vorsicht, denn außerhalb des Krankenhauses vorkommenden MRSA-Stämme sind besonders leicht übertragbar. Dass die „schlimmste mögliche Resistenz“, wie die Wissenschaftler den vanA-Cluster bezeichnen, ausgerechnet in einem solchen Stamm vorkommt, spitze die Situation noch mehr zu. Verbreite sich ein solcher Keim in der Bevölkerung, könne das zu einem schwerwiegenden Problem werden, da es im Moment keine Behandlungsmöglichkeiten gäbe. Daher sollten weltweit alle MRSA-Fälle besonders genau überwacht werden, um eine Epidemie möglichst rasch zu erkennen. Seit dem Vorfall sind allerdings keine weiteren Blutinfektionen mit einem derartigen Erreger bekannt geworden.