Forscher konnten den Mechanismus der Chromosomen-Fehlverteilungen in menschlichen Krebszellen unterdrücken. Damit konnten sie die stetige Veränderung des Genoms in chromosomal instabilen Krebszellen stoppen. Die Ergebnisse könnten dabei helfen, Krebs besser zu behandeln.
Krebszellen besitzen eine Eigenschaft, die es schwer macht, sie zu bekämpfen: Sie können sich gut anpassen. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Professor Dr. Holger Bastians, Wissenschaftler am Institut für Molekulare Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), hat jetzt in Darmkrebszellen einen Schlüsselmechanismus entdeckt, dessen Defekte die Grundlage von Chromosomen-Fehlverteilungen sind. Diese Fehlverteilungen begünstigen, dass der Krebs Metastasen bildet oder Resistenzen gegenüber Behandlungsmethoden entwickelt. Grund dafür ist die sogenannte chromosomale Instabilität: Dabei geben die Tumorzellen bei jeder Zellteilung ganze Chromosomen fehlerhaft an ihre Tochterzellen weiter. Den Wissenschaftlern ist es gelungen, den Mechanismus der Chromosomen-Fehlverteilungen in menschlichen Tumorzellen zu unterdrücken. Sie konnten damit die stetige Veränderung des Genoms in chromosomal instabilen Krebszellen stoppen. Die Ergebnisse könnten dabei helfen, Krebs besser zu behandeln, indem die Anpassungsfähigkeit von Tumoren und die Entwicklung von Therapieresistenzen unterdrückt werden. Die chromosomale Instabilität von Tumorzellen führt dazu, dass menschliche Zellen nicht mehr den normalen Chromosomensatz von 46 aufweisen, sondern einzelne Chromosomen zu viel oder zu wenig besitzen. Die Zellen sind dann aneuploid. Ein bekanntes Beispiel für eine einfache Aneuploidie ist die Trisomie des Chromosoms 21, die zum Down-Syndrom führt. Im Gegensatz zum Down-Syndrom zeigen Krebszellen hochgradige Aneuploidie. Das heißt, es sind mehrere Chromosomen betroffen. Dieses Phänomen ist bereits seit über 100 Jahren bekannt. Seither untersuchen viele Krebsforscher die molekulare Grundlage der Chromosomen-Fehlverteilung, die zu den zentralen, noch ungeklärten Fragen der Tumorforschung gehört.
Bei jeder Zellteilung wird zunächst die Erbinformation dupliziert und die verdoppelten Chromosomen werden anschließend gleichmäßig auf zwei Tochterzellen verteilt. In der Mitose werden alle Chromosomen mithilfe von Mikrotubuli, an den Spindelapparat angeheftet und in der Mitte der Zelle aufgereiht. Das ist notwendig, damit die Chromosomen anschließend ordnungsgemäß voneinander getrennt und gleichmäßig auf die zwei Tochterzellen verteilt werden können. In Krebszellen verläuft dieser Prozess offenbar fehlerhaft. Welche Defekte dafür genau verantwortlich sind, ist bisher unklar. Die Forscher haben hier neue Erkenntnisse gewonnen. So reichen geringfügige Veränderungen der Beweglichkeit von Spindel-Mikrotubuli aus, um zu fehlerhaften Anheftungen der Chromosomen an den mitotischen Spindelapparat und zu Chromosomen-Fehlverteilungen zu führen. Mithilfe von Mikroskopie-Experimenten in lebenden Zellen entdeckten die Wissenschaftler in verschiedenen Krebszellen erhöhte Wachstumsraten der einzelnen Spindel-Mikrotubuli. Das bedeutet: Eine veränderte Dynamik der Mikrotubuli in der Mitose führt direkt zu Chromosomen-Fehlverteilungen in Krebszellen. Normale Zelle: korrekte Ausbildung der Mikrotubuli des Spindelapparats und Gleichverteilung der Chromosomen (blau). Krebszelle: : ungeordnete Ausbildung der Mikrotubuli. © H. Bastians
Darüber hinaus sind die Forscher dieser Frage nachgegangen: Welche genetischen Veränderungen in Tumorzellen führen zu einer erhöhten Mikrotubuli-Dynamik und damit zu Chromosomen-Fehlverteilungen? „Wir haben uns zunächst auf den Darmkrebs konzentriert, weil es bei dieser Erkrankung besonders oft zu Chromosomen-Fehlverteilungen kommt“, sagt Dr. Ailine Stolz. „Wir haben systematisch die genetischen Veränderungen, die am häufigsten auftreten, und ihren Einfluss auf die Mikrotubuli-Dynamik untersucht.“ Dabei konnte das Forscherteam zeigen, dass ein erhöhtes Level des onkogenen Proteins Aurora-A sowie der Verlust der Tumor-suppressiven Proteine Chk2 oder Brca1 zu einer erhöhten Mikrotubuli-Dynamik und zu Chromosomen-Fehlverteilungen führen. Die Wissenschaftler konnten bestätigen, dass diese genetischen Veränderungen bei rund 70 Prozent der Gewebeschnitte von Darmkrebspatienten nachweisbar sind. Es sind also entweder erhöhte Mengen des Aurora-A Onkogens oder ein Verlust der Tumorsuppressoren Chk2 oder Brca1, die eine Veränderung der Mikrotubuli-Dynamik und eine chromosomale Instabilität auslösen können. „Weitere Untersuchungen werden nun zeigen müssen, ob diese genetischen Veränderungen auch bei anderen Krebsarten eine Bedeutung haben. Wäre dies der Fall, könnte die gezielte Unterdrückung der chromosomalen Instabilität ganz neue therapeutische Optionen bei der Behandlung von Krebs liefern“, sagt Professor Bastians.
„Wir haben die Erkenntnis, dass eine erhöhte Mikrotubuli-Dynamik eine chromosomale Instabilität und damit eine erhöhte Anpassungsfähigkeit der Tumoren auslösen kann. Das lässt vermuten, dass eine Wiederherstellung einer normalen Mikrotubuli-Dynamik sowohl die stetige Genomveränderung als auch die Tumorzell-Adaption stoppen könnte“, sagt Dr. Norman Ertych. Dieser These sind die Forscher nachgegangen und haben einen Weg gefunden, die erhöhte Mikrotubuli-Dynamik zu hemmen. Eine Hemmung einer Mikrotubuli-Polymerase, die für das Wachstum der Mikrotubuli verantwortlich ist, stellt beispielsweise eine normale Mikrotubuli-Dynamik wieder her und stoppt die Chromosomen-Fehlverteilungen. „Leider gibt es bisher noch keine pharmakologischen Hemmstoffe für diese Mikrotubuli-Polymerase, die man therapeutisch einsetzen könnte. Wir werden diese Richtung jedoch weiterverfolgen“, sagt Professor Bastians. „Wir müssen noch mehr über die molekularen Mechanismen lernen, wie die Mikrotubuli-Dynamik in der Mitose gesteuert wird, um neue therapeutische Zielstrukturen zu identifizieren und so neue Behandlungsansätze zu entwickeln.“ Originalpublikation: Increased microtubule assembly rates influence chromosomal instability in colorectal cancer cells Norman Ertych et al.; Nature Cell Biology, doi: 10.1038/ncb2994; 2014