Postoperative sexuelle Funktionsstörungen nach Zystektomien stehen bei Männern oft im Fokus – Frauen werden aber fast nie darüber aufgeklärt. Kollegen, macht’s endlich besser!
Ein Text von Mareen Hohberg, Urologie
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Es ist Donnerstag, 14 Uhr und ich erledige seit dem Morgen präoperative Aufnahmen. Ich führe eine Aufklärung über eine radikale Zystektomie mit einem 63-jährigen männlichen Patienten. Wir kommen schnell ans Eingemachte – 10 Minuten sprechen wir über seine sexuelle Aktivität und seine postoperativen Erwartungen an diese, füllen einen IIEF-5 Score aus und diskutieren über ein potenzielles Nerve-Sparing mit allen verbundenen Risiken. Bei der Patientin heute Morgen fiel das Gespräch knapper aus. Daten zur sexuellen Aktivität präoperativ erhob ich nicht. Ich tausche mich mit meinen urologischen Kollegen und im Bekanntenkreis aus – nur Schulterzucken. Die meisten Patientinnen über 60 meinen, es spiele keine Rolle mehr, sagen sie. Dieses Gespräch vertiefen wir nicht.
Das Thema Sexualität bei Frauen vor und nach uroonkologischen Operationen wird vernachlässigt. Hier besteht ein Gender Gap (jetzt bitte nicht abschalten!) mit signifikant schlechterem Outcome für sexuelle Funktionsstörungen nach radikalen Zystektomien bei Frauen verglichen mit Männern. Bei einer radikalen Zystektomie werden bei Frauen – neben der Blase und der Lymphknoten – der Uterus, die Vorderwand der Vagina sowie optional die Adnexen entfernt. Ebenso liegen im Operationsgebiet die versorgenden Gefäße und Nerven für die Klitoris. So scheint es nicht verwunderlich, dass mehr als 65 % der Frauen postoperativ an einer Störung der Sexualfunktion leiden.
Typische Beschwerden nach der Zystektomie sind Dyspareunie, fehlende Orgasmusfähigkeit, sexuelle Inaktivität aufgrund von psychischen und physischen Beschwerden im Zusammenhang der Krebserkrankung, vaginale Gefühlsstörung, sowie fehlende sexuelle Erregung und Lubrikation. Ein kürzlich veröffentlichtes Systematic Review zeigt, dass Sexualität bei Frauen ärztlich zu wenig thematisiert wird. 40–82 % der Frauen fühlten sich nicht oder unzureichend über eine postoperative sexuelle Funktionsstörung aufgeklärt und beklagen eine fehlende perioperativ Betreuung.
Die Wissenschaftler berichteten von einer unzureichenden Datenlage, weitere Studien seien notwendig. In den existierenden Studien sei die Art der Datenerhebung inhomogen. Häufig seien Daten mittels dem Sexual Function Index (FSFI) erhoben. Dieser schließe jedoch temporär sexuell inaktive Frauen aus. Andere Studien verwenden qualitative Interviews und nicht standardisierte Fragebögen. Daten zur präoperativen sexuellen Funktion seien kaum erhoben. Die Untersuchungszeitpunkte seien zudem nicht genormt, es gebe kein hinreichendes Follow-up.
Laut des Reviews setzen sich aufgrund fehlender Evidenz Urologen zu wenig mit der Möglichkeit des Organ- und Nervenerhaltenden Operierens zu Erhaltung der weiblichen sexuellen Funktion auseinander. Im Review zeigte sich eine bessere sexuelle Funktion bei entsprechender Nerv- und Organerhaltung. Aufgrund der wenigen und inhomogenen Daten sei die Aussagekraft des Ergebnisses jedoch limitiert. Eine vergleichbare präoperative Sexualität sei bei beiden Operationsmethoden postoperativ nicht erreicht.
Bzgl. des onkologischen Outcomes zeigen sich gute Resultate, jedoch sei hier von einem Selektionsbias auszugehen. Die Nerv- und Organerhaltung wurde ausschließlich bei einer ausgewählten Patientinnengruppe durchgeführt, die von vornerein ein kleineres Risikoprofil aufwies. Die Art der Harnableitung Ileum-Conduit vs. Neoblase zeigte keinen Einfluss die sexuelle Funktionsstörung.
Aus den Reviews geht also eine Notwendigkeit der systematischen Datenerhebung hervor, um evidenzbasierte Guidelines zu schaffen. Diese seien notwendig, um zukünftig gezielt Patientinnen auszuwählen, die für eine Nerv- und Organerhaltung in Frage kommen. Zudem seien standardisierte Testinstrumente notwendig, um prä- und postoperativ Daten über die sexuelle Funktionalität zu erheben. Dies führt zu besseren Aufklärungen und einer perioperativen Betreuung. Nur so können multimodale Therapiekonzepte entwickelt werden, um letzten Endes die Lebensqualität der Patientinnen zu verbessen.
Zusammenfassung für Eilige:
Quellen
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Westerman, M. et al. What Women Want: Radical Cystectomy and Perioperative Sexual Function Educational Needs. In: Urology 2021 Nov:157:181–187. doi: 10.1016/j.urology.2021.06.012.
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