Bisher warnte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung explizitvor einer veganen Kost. Plötzlich gibt’s die Kehrtwende – warum? Und was hat sich konkret geändert?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre Haltung zur veganen Kost aktualisiert. In dem 26-seitigen Positionspapier, das kürzlich veröffentlicht wurde, stuft die Fachgesellschaft eine gut geplante vegane Ernährung für die Allgemeinbevölkerung als gesundheitsförderlich ein. Damit unterscheidet sich die offizielle Stellungnahme deutlich von den Vorgängerversionen aus den Jahren 2016 und 2020, in denen noch vor einer tierproduktefreien Ernährung gewarnt wurde.
Hatte die DGE in früheren Positionspapieren vorrangig die Nährstoffversorgung betrachtet, so wurden nun auch gesundheitsbezogene Parameter sowie das Risiko, ernährungsbedingte Erkrankungen zu entwickeln, stärker berücksichtigt. In die Neubewertung wurden darüber hinaus zum ersten Mal auch die Auswirkungen auf die Umwelt sowie die Bereiche Tierwohl und Soziales mit einbezogen.
Die Anzahl der Menschen in Deutschland, die sich selbst als Veganer einordnen, lag einer Umfrage aus dem Jahr 2023 zufolge bei 1,52 Millionen. In westlichen Ländern ist der typische Veganer eher jung, weiblich, gebildet, finanziell gut gestellt, lebt in Städten und pflegt einen insgesamt gesunden Lebensstil. Der häufigste Grund für eine vegane Ernährung ist ethischer Natur, gefolgt von gesundheitlichen, ökologischen, sozialen und religiösen Motiven.
Für die DGE-Neubewertung wurden die Ergebnisse bereits vorhandener Übersichtsarbeiten zusammengefasst und ergänzende Literaturrecherchen durchgeführt (Umbrella Review). Neben der erwachsenen Allgemeinbevölkerung wurden auch vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Kinder und Jugendliche, Schwangere und Stillende sowie Senioren berücksichtigt. Außer der Hauptdimension Gesundheit wurden erstmalig auch die Zieldimensionen Umwelt, Tierwohl und Soziales in die Analyse einbezogen.
Als Endpunkte in der Dimension Gesundheit dienten:
Als Vergleichs- bzw. Expositionsgruppen wurden alle Formen omnivorer Ernährungsweisen wie z. B. Mischköstler (Allesesser) und Vegetarier herangezogen. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz (Certainty of Evidence, CoE) wurde für alle Assoziationen mittels des GRADE Ansatzes (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation ermittelt.
Insgesamt erfüllten 31 systematische Reviews (SR) die Ein- und Ausschlusskriterien und wurden in den Umbrella Review eingeschlossen. Davon enthielten 20 SRs eine Metaanalyse (MA), zehn Informationen zur Nährstoffzufuhr bzw. zum Nährstoffstatus, 21 zu gesundheitsbezogenen Parametern und vier zu ernährungsbedingten Erkrankungen. Die SRs basierten überwiegend auf Querschnitts-, Fall-Kontroll- und Kohortenstudien und nur zu einem geringen Teil auf randomisierten kontrollierten Studien. Zur veganen Ernährung bei Kindern und Jugendlichen lag nur ein SR mit MA vor. Für Schwangere und Stillende sowie für Senioren konnten lediglich einzelne Primärstudien identifiziert werden.
Eine vegane Ernährung war bei der erwachsenen Allgemeinbevölkerung, mit einer niedrigeren absoluten Energie-, Protein- und Gesamtfettzufuhr sowie mit einer höheren absoluten Zufuhr von Kohlenhydraten im Vergleich zu einer omnivoren Ernährung verbunden. Personen, die sich vegan ernährten, hatten darüber hinaus eine niedrigere Zufuhr von gesättigten sowie einfach ungesättigten Fettsäuren, aber eine höhere Zufuhr von mehrfach ungesättigten Fettsäuren (Alpha-Linolensäure), Ballaststoffen, Vitamin E, Vitamin B1 (Thiamin), Vitamin B6 (Pyridoxin), Vitamin B9 (Folat), Vitamin C, Magnesium, Eisen und Kupfer. Weiterhin war eine vegane Ernährung im Vergleich zu Allesessern mit einer niedrigeren Zufuhr der beiden langkettigen Omega-3-Fettsäuren (EPA, DHA), Vitamin B12 (Cobalamin), Vitamin D sowie Calcium, Jod, Zink und Selen assoziiert. Keine relevanten Unterschiede hinsichtlich der Versorgung zeigten sich für Vitamin A (Beta-Carotin und Retinol im Serum oder Plasma), Vitamin B2 (Riboflavin), Vitamin B3 (Niacin), Natrium und Phosphor.
Neu ist, dass die DGE nun auch dem Spurenelement Jod eine Sonderstellung bei veganer Ernährung zuspricht. Veganer haben im Vergleich zu Allesessern tendenziell eine geringere Jodzufuhr, da Lebensmittel wie Seefisch sowie Milch und Milchprodukte entfallen und pflanzliche Milchalternativen in Deutschland jedoch nur selten mit Jod angereichert sind. Gute vegane Jodquellen sind neben jodiertem Speisesalz und Meeresalgen speziell mit Jod angereicherte Lebensmittel. Da Algen schwankende Jodkonzentrationen aufweisen können, sollten nur Algenprodukte mit deklariertem Jodgehalt verzehrt werden. Sofern ein laborchemisch nachgewiesener Jodmangel vorliegt, können, nach ärztlicher Verordnung, auch Jodtabletten eingenommen werden.
Neu ist weiterhin, dass die DGE die Versorgung mit Vitamin A bei veganer Ernährung als kritisch einstuft. Der Begriff Vitamin A beschreibt eine Gruppe von Verbindungen, die Vitamin-A-Wirkung besitzen. Die zentrale Wirkform, Retinol, ist jedoch ausschließlich in tierischen Lebensmitteln enthalten. Bei einer veganen Ernährung werden i. d. R. zahlreiche Provitamin-A-Karotinoide zugeführt. Diese Vorstufen können vom Körper in Retinol umgewandelt werden, sofern keine Störung der Fettverdauung vorliegt und die für die Konversion notwendigen Enzyme in ausreichender Menge gebildet werden. Dabei wird jedoch etwa die 12–14-fache Menge benötigt, um die gleiche Menge an Retinol zu erhalten. Die wichtigste Vitamin-A-Vorstufe ist ß-Carotin. Sie kommt sowohl in tiefgelben und orangefarbenen Gemüsesorten als auch in grünem Blattgemüse, Brokkoli sowie einigen Obstsorten vor. Eine gezielte Lebensmittelauswahl ist also insbesondere bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen erforderlich.
Die Ergebnisse des Umbrella-Reviews zeigen bei der erwachsenen Allgemeinbevölkerung positive Wirkungen der veganen Ernährung im Hinblick auf die kardiometabolische Gesundheit. Hierzu zählen unter anderem günstigere BMI-, Blutfett- und Nüchtern-Blutzuckerwerte, ein geringerer Taillenumfang, sowie ein niedrigeres Risiko für ischämische Herzerkrankungen und das metabolische Syndrom. Keine Unterschiede zeigten sich für den systolischen und diastolischen Blutdruck sowie für die Insulinresistenz.
Für die Häufigkeit von Schlaganfällen und Diabetes konnten aufgrund der unzureichenden Datenlage ebenfalls keine eindeutigen Zusammenhänge abgeleitet werden. Zudem zeigte sich ein reduziertes Risiko für Krebserkrankungen (Prostata- und Kolorektal-Karzinome) sowie eine Tendenz zu einer niedrigeren Gesamtsterblichkeit im Vergleich mit Mischköstlern. Andererseits gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für eine schlechtere Knochengesundheit sowie ein höheres Frakturrisiko bei veganer Ernährung. Ein möglicher Grund dafür könnte die niedrigere Calciumzufuhr sowie ein tendenziell schlechterer Vitamin-D-Status sein.
Die DGE weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die Studienlage zu den gesundheitlichen Vor- und Nachteilen zum Teil widersprüchlich ist und die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse überwiegend als sehr niedrig bis niedrig eingestuft werden muss. Der geringen Vertrauenswürdigkeit der Evidenz liegen zahlreiche methodische Aspekte zugrunde. Dazu gehören das Fehlen einer einheitlichen Definition von veganer Ernährung, die Nicht-Berücksichtigung von Störfaktoren wie z. B. Geschlecht, Alter, körperliche Aktivität, Alkohol- und Nikotinkonsum und sozioökonomischer Status der Teilnehmerkollektive.
Hinzu kommt der Umstand, dass die Daten zur Ernährungsweise überwiegend auf Selbstauskünften der Studienteilnehmer beruhen. Für die Beurteilung der Relevanz der Ergebnisse muss außerdem berücksichtigt werden, dass die Mehrzahl der Metaanalysen auf Basis von Beobachtungsstudien durchgeführt wurde, die aufgrund ihres Designs nicht geeignet sind, kausale Zusammenhänge aufzuzeigen. Um die gesundheitlichen Auswirkungen einer veganen Ernährung sicher beurteilen zu können, sind deshalb weitere, gut geplante randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) mit großen Teilnehmerzahlen und ausreichend langen Laufzeiten notwendig.
Für alle identifizierten Assoziationen zu Nährstoffzufuhr/-status und gesundheitsbezogenen Parametern bei den vulnerablen Bevölkerungsgruppen wurde eine niedrige bis sehr niedrige CoE ermittelt. Aufgrund der nach wie vor limitierten Datenlage für Kinder, Jugendliche, Schwangere, Stillende und Senioren gibt die DGE derzeit keine generelle Empfehlung zur veganen Ernährung in diesen Lebensphasen ab. Sofern jedoch besonders fundierte Ernährungskenntnisse vorliegen, um sich bedarfsgerecht vegan zu ernähren, spricht nach Auffassung der DGE aber auch nichts dagegen. Diese Bewertung ist deutlich weniger streng als frühere Einschätzungen, in denen die DGE noch von einer veganen Ernährung in „kritischen“ Lebensphasen abgeraten hat.
Ein weiterer Absatz des Positionspapiers beschäftigt sich mit der Fehlannahme, dass vegane Lebensmittel automatisch gesund seien. Dass viele vegane Fertigprodukte nicht den Empfehlungen einer vollwertigen Ernährung entsprechen, ist beim Blick auf die Nährwerttabelle oft schnell klar. Leider fehlen aber für die Lebensmittelgruppe der pflanzlichen Alternativprodukte vergleichende Studiendaten, um sie in die vorliegende Neubewertung einschließen zu können. Für den Verzehr von Milch-, Käse- und Fleischalternativen gibt es demzufolge kein pauschales Urteil, hier kommt es auf die jeweiligen Produkte an.
Anhand von Ökobilanzierungen und Modellrechnungen kommt die DGE zu dem Schluss, dass eine vegane Ernährungsweise verglichen mit einer omnivoren Ernährungsweise umweltfreundlicher ist und das Klima weniger belastet. Die ausgewerteten Daten zu verschiedenen Umweltfaktoren wie Treibhausgasemissionen, Landnutzung und Biodiversitätsverlust zeigen insgesamt deutliche Vorteile einer veganen gegenüber einer omnivoren Ernährung. Da die bisherigen Ansätze zur Bewertung der Auswirkungen von Ernährungsweisen im Zusammenhang mit den Zieldimensionen Tierwohl und Soziales noch nicht genügend etabliert sind, gibt die DGE hier kein abschließendes Urteil ab. Sie geht allerdings davon aus, dass die vegane Ernährung auch hier am besten abschneidet.
Laut DGE ist eine gut geplante, vollwertige vegane Ernährung für die gesunde erwachsene Allgemeinbevölkerung mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden. Auch Personen mit Übergewicht und Fettleibigkeit, oder Vorerkrankungen, wie z. B. Typ-2-Diabetes, können davon profitieren. Einzige zwingende Voraussetzung ist die ausreichende Supplementierung von Vitamin-B12 mit entsprechenden Nährstoffpräparaten, da pflanzliche Lebensmittel kaum nennenswerte Mengen an bioverfügbarem Vitamin-B12 enthalten. Darüber hinaus muss lediglich auf eine bedarfsdeckende Zufuhr potenziell kritischer Nähstoffe geachtet werden. Dazu gehören vor allem Jod, Vitamin A, die langkettigen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA (z. B. in Form von Algen-Öl), Calcium (z. B. in Form von Mineral- oder Heilwasser) sowie die Spurenelemente Eisen, Zink und Selen (z. B. in Form von Nüssen, Samen, Hülsenfrüchten, Gemüse, Pilzen). Im Gegensatz zu Vitamin B12 können alle bioaktiven Substanzen durch den Verzehr sorgfältig ausgewählter Lebensmittel und deren schonende Zubereitung gedeckt werden.
Die DGE weist ausdrücklich darauf hin, dass weder vegane noch andere Ernährungsformen pauschal bewertet werden können. Relevant für die Bewertung ist also immer die individuelle Umsetzung in der Praxis, und die scheint der Wissenschaft bereits weit voraus zu sein.
Mit der Neubewertung der veganen Ernährung nähert sich die DGE an die positiven Stellungnahmen zahlreicher internationaler Fachverbände an. So empfiehlt z. B. die größte Ernährungsorganisation der Welt, die amerikanische Academy of Nutrition and Diatetics (AND), die vegane Ernährung in allen Lebensphasen – und das schon seit 1988.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Umfassender Blick: Die DGE betrachtet jetzt nicht nur die Nährstoffversorgung, sondern auch gesundheitliche Vorteile, Umweltaspekte, Tierwohl und soziale Faktoren. Besonders wichtig bleibt: Veganern wird geraten, auf kritische Nährstoffe wie Vitamin B12, Jod und Vitamin A zu achten.
Licht und Schatten: Eine gut durchdachte vegane Ernährung kann die Gesundheit fördern, den BMI senken und das Risiko für bestimmte Krebsarten reduzieren. Aber Vorsicht: Es gibt auch Risiken wie eine schlechtere Knochengesundheit. Die DGE ruft nach mehr Forschung, um alle Aspekte klarer zu beleuchten.
Quellen:
Klug et al. Neubewertung der DGE-Position zu veganer Ernährung. Ernährungs Umschau International, 2024.
Leitzmann C. Veganismus: Grundlagen, Vorteile, Risiken. C.H. Beck-Verlag München, 2018.
Monteiro et al. A new classification of foods based on the extent and purpose of their processing. Cad Saúde Pública, 2010. doi: 10.1590/s0102-311x2010001100005
Monteiro et al. Ultra-processed foods: what they are and how to identify them. Public Health Nutrition, 2019; doi: 10.1017/S1368980018003762
Lane et al. Ultra-processed food exposure and adverse health outcomes: umbrella review of epidemiological meta-analyses. BMJ, 2024. doi: 10.1136/bmj-2023-077310
Melina V, Craig W, Levin S. Position of the Academy of Nutrition and Dietetics: Vegetarian Diets. J Acad Nutr Diet, 2016. doi: 10.1016/j.jand.2016.09.025
Bildquelle: Erstellt mit DALL.E