Die geschlechtsspezifische Therapie von Männern und Frauen ist der letzte Schrei. Bei der Sekundärprophylaxe für Kardio-Erkrankungen mit Aspirin muss das aber nicht sein – also keine „Mini-Dosis“ für Frauen?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor die häufigste Ursache von Morbidität und Mortalität in den USA. Aspirin® (Acetylsalicylsäure, ASS) wird regelhaft für die Sekundärprophylaxe bei kardiovaskulären Erkrankungen eingesetzt. Welche Dosis dabei die beste ist, hat unter anderem die ADAPTABLE-Studie aus dem Jahr 2021 untersucht. Darin gab es keinen Unterschied bei Patienten mit einer chronisch stabilen koronaren Herzerkrankung in der Sicherheit und Wirksamkeit der täglich verabreichten ASS-Dosierung von 81 mg oder 325 mg. Es ist jedoch unbekannt, ob geschlechtsspezifische Unterschiede in der Sicherheit und Wirksamkeit der verschiedenen ASS-Dosen bestehen.
Geschlechtsspezifische Unterschiede im Bereich der kardiovaskulären Pharmakotherapie konnten bereits für andere Medikamente gezeigt werden. Eine Studie aus dem Jahr 2019 zeigte, dass Frauen mit einer Herzschwäche von Beta-Blockern und ACE-Hemmern nur die halbe Dosis benötigten. Eine weitere Studie hatte zudem gezeigt, dass ASS bei Männern präventiv wirkt, bei Frauen dagegen nicht. In dem gleichen Paper wird davon berichtet, dass Frauen bei Digitalis-Präparaten unter deutlich stärkeren Nebenwirkungen als Männer leiden – bis hin zu Todesfällen, wenn die Dosierung nicht an das Geschlecht angepasst wurde. Der Reizhusten, der eine typische Nebenwirkung der ACE-Hemmer ist, tritt zum Beispiel bei Frauen deutlicher häufiger auf als bei Männern.
In der aktuellen Studie untersuchten Brenziger et al. ob es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Sicherheit und Wirksamkeit der zwei ASS-Dosen in der ADAPTAPLE-Studie gibt.
Etwa 15.000 Patienten, darunter 31 % Frauen, wurden für einen Follow-up-Zeitraum von im Median 26,2 Monate beobachtet. Knapp die Hälfte der Frauen bekamen 81 mg ASS zur Sekundärprävention, die restlichen Probanden erhielten die 325-mg-Dosierung. Das Lebensalter der Frauen war etwas niedriger als das der Männer (median 66,3 Jahre versus 68,2 Jahre) und sie rauchten häufiger (12,9 % versus 8,4 %). Außerdem litten sie häufiger an einer peripheren arteriellen Erkrankung (25,7 % versus 23,0 %).
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379 Frauen (8,1 %) starben oder wurden aufgrund eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls stationär aufgenommen. In der Gruppe der Männer erlitten 780 (7,1 %) ein kardiovaskuläres Ereignis. Bezüglich der Gesamtsterblichkeit oder Klinikeinlieferung aufgrund von Herzinfarkt gab es zwischen den beiden Geschlechtern keine Unterschiede. Frauen kamen allerdings häufiger als Männer aufgrund eines Schlaganfalls ins Krankenhaus (adjustierte Hazard Ratio [aHR]: 1,72; p < 0,001); sie benötigten aber seltener eine Revaskularisierung (5,0 % versus 6,6 %; aHR 0,79; p = 0,002).
Bei beiden ASS-Dosierungen gab es bezüglich der Wirksamkeit keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern (aHR Frauen: 1,01; Männer: 1,06). Frauen erlitten aber unter 81 mg ASS etwas häufiger Blutungsereignisse als unter 325 mg (0,83 % versus 0,52 %; aHR 2,21). Die Daten sollten jedoch aufgrund der insgesamt niedrigen Blutungsrate vorsichtig beurteilt werden, betonen die Forscher. Schwere Blutungen traten mit beiden Dosierungen etwa gleich häufig auf; gleiches galt, wenn die Forscher nach Geschlecht stratifizierten. Die Compliance im Bezug auf die Medikamenteneinnahme war bei beiden Geschlechtern ähnlich.
Insgesamt fand sich kein geschlechtsspezifischer Effekt auf die Wirksamkeit und Sicherheit von ASS zur Sekundärprävention bei Patientinnen und Patienten mit einer kardiovaskulären Erkrankung, resümieren Benziger et al. Dass Frauen häufiger als Männer aufgrund eines Schlaganfalls in eine Klinik kamen, begründeten sie damit, dass Frauen in mittlerem Alter ein um 20 % höheres Lebenszeitrisiko für einen Schlaganfall hätten als Männer. Darüber hinaus hatten Frauen in der ADAPTABLE-Studie häufiger Komorbiditäten, zum Beispiel einen höheren Body-Mass-Index, rauchten öfter und litten öfter an einem Diabetes mellitus. Außerdem könnten Faktoren wie eine vorzeitige Menopause und psychosoziale Stressoren zu dem erhöhten Schlaganfallrisiko beitragen, so die Meinung der Studienautoren.
Auch wenn in der Studie kein geschlechtsspezifischer Unterschied zwischen den beiden ASS-Dosierungen gezeigt werden konnte, ist fundiertes Wissen über geschlechtsspezifische Unterschiede in der kardiovaskulären Pharmakotherapie von Bedeutung und bedarf noch weiterer Forschung. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat im Mai 2024 in einem Positionspapier Stellung zu dem Thema genommen und betont ebenfalls, dass die Gendermedizin, auch als geschlechtersensible Medizin bezeichnet, als Fachdisziplin in der Gesundheits- und Krankheitsforschung zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Quellen:
Jones et al. ADAPTABLE Team. Comparative Effectiveness of Aspirin Dosing in Cardiovascular Disease. N Engl J Med, 2021. doi: 10.1056/NEJMoa2102137.
ASIAN-HF investigators. Identifying optimal doses of heart failure medications in men compared with women: a prospective, observational, cohort study. Lancet, 2019. doi: 10.1016/S0140-6736(19)31792-1.
Regitz-Zagrosek V., Schubert C. Geschlechterunterschiede in der kardiovaskulären Pharmakotherapie. Internist, 2008. doi: 10.1007/s00108-008-2232-7
Benziger et al. Aspirin Dosing for Secondary Prevention of Atherosclerotic Cardiovascular Disease in Male and Female Patients: A Secondary Analysis of the ADAPTABLE Randomized Clinical Trial. JAMA Cardiol, 2024. doi: 10.1001/jamacardio.2024.1712.
Baessler A et al. Geschlechterspezifische Aspekte kardiovaskulärer Erkrankungen. Kardiologie, 2024. doi: 10.1007/s12181-024-00694-9
Bildquelle: Behnam Norouzi, unsplash