Post-COVID als große Herausforderung nach der Pandemie? Wohl kaum. Längerfristige Beschwerden nach SARS-CoV-2 sind nicht häufiger als nach anderen viralen Infektionen – aber es gibt trotzdem ein Problem.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die Pandemie ist längst vorbei, doch die Infektionsraten sind wieder etwas nach oben gegangen. Zuletzt lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 4,8 laborbestätigten COVID-19-Fällen je 100.000 Einwohner.
„Seit einigen Wochen liegt die ARE-Aktivität insgesamt auf einem vergleichsweise hohen Niveau für diese Jahreszeit, ist aktuell jedoch nicht weiter angestiegend“, schreibt das Robert Koch-Institut zu akuten Atemwegserkrankungen (ARE). „Das ARE-Geschehen wird hauptsächlich durch Rhinoviren und SARS-Cov-2 bestimmt.“
Aus medizinischer Sicht sind anhaltende Probleme nach der Infektion aber weitaus problematischer als die derzeitigen Inzidenzen.
Das RKI schreibt zu den Begrifflichkeiten:
Aber wir groß ist das Problem nun wirklich? Genau hier wird es interessant: Bekannt sind Langzeitfolgen einer Infektion seit Jahren, als SARS-CoV-2 noch kein Thema war. Dazu gehören etwa postakute Beschwerden nach einer Influenza-, Polio- oder Epstein-Barr-Virus-Infektion. Eine neue Studie geht der Häufigkeit nach – mit überraschendem Ergebnis.
Grundlage der Arbeit war die INSPIRE-Studie, eine multizentrische, prospektive, longitudinale Kohortenstudie. Zwischen 11. Dezember 2020 und 29. August 2022 wurden Personen mit Verdacht auf COVID-19 eingeschlossen. Sie mussten zunächst ein Online-Formular mit Fragen zu ihren Beschwerden ausfüllen und Ergebnisse eines COVID-19-Tests hochladen. Weitere Befragungen folgten im Nachgang. Insgesamt nahmen 4.738 Personen an der Studie teil (68,1 % Frauen, 30,3 % Männer, 1,6 % Transgender-Personen bzw. nicht binäre Personen). Das Durchschnittsalter lag bei 37,8 Jahren.
Der Anteil der Probanden mit Hinweis auf eine ME/CFS-ähnliche Erkrankung änderte sich nach drei bis 12 Monaten nicht signifikant. Die Autoren nennen hier in der COVID-positiven Gruppe einen Bereich von 2,8 % bis 3,7 % und in der Vergleichsgruppe 3,1 % bis 4,5 %. In der Vergleichsgruppe konnten Teilnehmer andere Infektionen haben, beispielsweise Influenza, was aber virologisch im Detail nicht erfasst worden ist.
Bereinigte Analysen ergaben keinen signifikanten Unterschied zwischen COVID-19-positiven und COVID-19-negativen Personen in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit, zu irgendeinem Zeitpunkt an einer ME/CFS-ähnlichen Erkrankung zu leiden.
„In dieser prospektiven Kohortenstudie gab es keine Hinweise darauf, dass sich der Anteil der Teilnehmer mit ME/CFS-ähnlicher Erkrankung zwischen den mit SARS-CoV-2 Infizierten und den nicht mit SARS-CoV-2 Infizierten bis zu zwölf Monate nach der Infektion unterscheidet“, so die Autoren. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass COVID-19 nicht häufiger als andere akute Infektionen mit ME/CFS assoziiert ist und dass akute Erkrankungen im weiteren Sinne mit der chronischen Symptombelastung durch ME/CFS in Verbindung gebracht werden können.“
Bleibt als Problem: Eine Prävalenz von 3–4 % ME/CFS-ähnlicher Erkrankungen nach dem Kontakt mit SARS-CoV-2 führt angesichts von Millionen Infizierter zu einer immensen finanziellen Belastung der Gesundheitssysteme weltweit.
Die Ergebnisse erstaunen beim Blick in die Literatur nicht wirklich. Bereits im Juni 2022 haben Wissenschaftler während des australischen Winters Patienten mit positivem Influenza- bzw. SARS-CoV-2-Test nachbeobachtet.
Die COVID-19-Kohorte umfasste 2.195 Personen. In der Influenza-Kohorte waren 951 Teilnehmer. „Nach Kontrolle potenzieller Störfaktoren fanden wir keine Hinweise darauf, dass Erwachsene mit COVID-19 zwölf Wochen nach ihrer Diagnose häufiger anhaltende Symptome (21,4 % gegenüber 23,0 %) oder mäßige bis schwere Funktionseinschränkungen (4,1 % gegenüber 4,4 %) aufwiesen als Erwachsene mit Influenza“, fassen die Autoren zusammen.
Auch sie sehen das Problem in der absolut hohen Zahl an COVID-19-Patienten – und damit in der hohen Zahl an Patienten mit längerfristigen Beschwerden nach der Infektion. Kausale Therapien gibt es bislang nicht.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Langzeitbeschwerden? Nicht nur COVID: Die Studie zeigt, dass langwierige Beschwerden nach COVID-19 nicht häufiger sind als nach anderen Virusinfektionen.
Studienergebnisse ohne Überraschung: Die INSPIRE-Studie fand keinen Unterschied bei ME/CFS-ähnlichen Erkrankungen zwischen COVID-positiven und -negativen Teilnehmern. COVID-19 ist also nicht der einzige Übeltäter, wenn es um langwierige Beschwerden geht.
Finanzielles Dilemma: Trotz ähnlicher Häufigkeit von Langzeitbeschwerden sorgt die hohe Zahl der COVID-19-Fälle für enorme Kosten im Gesundheitssystem. Auch wenn nur 3-4 % betroffen sind, summiert sich das bei Millionen Infizierten ordentlich.
Bildquelle: Annie Spratt, Unsplash