Um uns im Raum zu orientieren, generiert unser Gehirn ein internes Koordinatensystem. Forscher widerlegten nun womöglich das gängige Modell, wie Nervenzellen diese mentale Landkarte erstellen.
Damit wir Entfernungen abschätzen und uns im Raum orientieren können, bildet das Gehirn eine innere räumliche Karte. Dafür sind die Gitterneuronen wichtig. Aus der Vogelperspektive betrachtet, bildet das Aktivitätsmuster einer Gitterzelle ein hexagonales Muster im Raum – das ähnlich wie ein Koordinatensystem auf einer Landkarte zu funktionieren scheint. Doch wie kommt dieses abstrakte Aktivitätsmuster zustande, das nicht auf sensorischen Reizen aus der Umwelt beruht? Um Antworten auf diese Frage zu finden, untersuchten Forscher die Verbindungen von Neuronen mithilfe von theoretischen Modellen. Das derzeit gängigste Modell wird nun womöglich von Wissenschaftlern am Bernstein Zentrum Heidelberg/Mannheim und der Abteilung Klinische Neurobiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, sowie dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) widerlegt, die das Modell mithilfe von Tierexperimenten überprüft haben. „In unserer Studie haben wir die Nervenzellaktivität bei Mäusen gemessen, die sich frei im Raum bewegen“, erklärt Christina Buetfering, Erstautorin der Studie. „Dabei haben wir sowohl die Gitterzellen angeschaut, als auch Nervenzellen, die diese Gitterzellen untereinander verbinden: die Interneurone“. Der entscheidende Trick: Die Aktivität der Interneurone konnte in den gentechnisch veränderten Mäusen mithilfe von Lichtsignalen gezielt an- und ausgeschaltet werden. Während sich die Mäuse im Raum zur Futtersuche bewegten, aktivierten die Forscher sie hin und wieder. Das half ihnen, die Zellen im gemessenen Datenstrom zu identifizieren und detailliert zu betrachten. Gleichzeitig konnten sie analysieren, wie Gitterzellen auf die Aktivität der Interneurone reagieren – und folglich mit ihnen verbunden sein mussten. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Interneurone – anders als Gitterzellen – kein räumliches Aktivitätsmuster zeigen. Außerdem sind einzelne Interneurone nicht ausschließlich mit Gitterzellen mit ähnlichem Aktivitätsmuster verbunden. Vielmehr bekommen sie ihre Eingangssignale von ganz unterschiedlichen Gitterzellen und geben sie an verschiedenartigste Nervenzellen weiter. „Mit diesen Ergebnissen konnten wir gleich zwei grundlegende Voraussagen des aktuellen theoretischen Netzwerkmodells widerlegen“, erörtert Buetfering. „Dieses geht davon aus, dass zur Erzeugung der inneren mentalen Karte Gitterzellen mit gleicher räumlicher Ausrichtung ganz eng verbunden sein müssen – was über räumlich aktive Interneurone realisiert zu sein schien.“ Gitterneurone helfen bei der Raumorientierung. Sie feuern, wenn sich die Maus an bestimmten Orten befindet. Von oben betrachtet bildet das Aktivitätsmuster eines Neurons ein hexagonales Muster. © Christina Buetfering, 2014 Die Hauptaufgabe der Interneurone scheint jedoch eine andere zu sein. Die Zellen geben hemmende Signale an ganz verschiedene Neurone in ihrer Umgebung ab. Sie könnten daher eher eine modulierende Funktion übernehmen und im Hirnareal bei übermäßiger Nervenzellaktivität eine Balance zwischen Erregung und Hemmung herstellen. Auf diese Weise könnten sie epileptischen Anfällen vorbeugen. Der Grund, wie es Gitterzellen gelingt, zur rechten Zeit am rechten Ort zu feuern und dadurch ein abstraktes mentales Koordinatensystem zu generieren, ist wiederum etwas mysteriöser geworden. Originalpublikation: Parvalbumin interneurons provide grid cell-driven recurrent inhibition in the medial entorhinal cortex Christina Buetfering et al.; Nature Neuroscience, doi: 10.1038/nn.3696; 2014