Mit Lecanemab haben Ärzte eine scheinbar wirksame Waffe gegen Alzheimer in der Hand – trotzdem entschied sich die EMA jetzt gegen eine Zulassung. Warum?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Mit ihrer Entscheidung vom 25. Juli 2024 hat sich die europäische Zulassungsbehörde EMA gegen die Zulassung des neuen Alzheimer-Medikaments Leqembi® (Wirkstoff: Lecanemab) ausgesprochen. Diese Entscheidung kam für viele überraschend, da die Zulassungsstudien eine Verlangsamung des Fortschreitens der Alzheimer-Krankheit im Frühstadium gezeigt hatten und das Medikament in den USA bereits seit letztem Jahr zugelassen ist.
Die EMA interpretierte die Studienergebnisse anders als die amerikanische Zulassungsbehörde FDA. Das Medikament verlangsame zwar das Fortschreiten der Demenzsymptome, der Effekt sei aber gering. Demgegenüber stehe ein erhebliches Risiko potenziell gefährlicher Nebenwirkungen: Bis zu 20 % der behandelten Patienten entwickelten Hirnödeme oder Hirnblutungen. Diese Nebenwirkungen treten bei allen Amyloid-Antikörpern auf und werden vielleicht etwas verharmlosend als „Amyloid-related Imaging Abnormalities“, kurz ARIA, bezeichnet. Ob es sich dabei, wie der Name suggeriert, nur um bildgebende Veränderungen ohne Relevanz für die betroffenen Patienten handelt, ist jedoch fraglich. Auch deshalb kam die EMA zu dem Schluss, dass das erhebliche Nebenwirkungsrisiko durch die vergleichsweise geringen positiven Effekte nicht aufgewogen wird.
Eigentlich hatte man auch in Europa fest damit gerechnet, dass Lecanemab die erste zugelassene Therapie gegen Alzheimer werden würde. Das Vorläufer-Medikament Aducanumab, ebenfalls ein Amyloid-Antikörper, war bereits in den USA, nicht aber in Europa zugelassen worden. Die Entscheidung der FDA für die Zulassung war damals allerdings sehr umstritten, da zwar ein deutlicher Effekt auf die Reduktion der Amyloid-Ablagerungen im Gehirn nachgewiesen werden konnte, der klinische Effekt auf die kognitive Leistungsfähigkeit der Studienteilnehmer jedoch weniger eindeutig war. Die Phase-III-Studie mit Lecanemab wurde als Durchbruch in der Alzheimer-Forschung gefeiert, da erstmals ein eindeutig positiver klinischer Effekt nachgewiesen werden konnte.
Die klinische Relevanz der Studienergebnisse war jedoch von Anfang an umstritten. Nach Ansicht verschiedener Experten erreichten die Veränderungen nicht die Schwelle der klinischen Signifikanz, ab der zu erwarten wäre, dass der Effekt für die Betroffenen tatsächlich spürbar wird (DocCheck berichtete). Neben den beschriebenen Nebenwirkungen sprechen auch die hohen Kosten (in den USA 27.000 Dollar pro Jahr für die Lecanemab-Therapie) gegen einen breiten Einsatz der neuen Therapie.
Zudem wurde die Sorge geäußert, dass die Infrastruktur des deutschen Gesundheitssystems für die aufwendige Therapie nicht ausreicht, wenn viele Patienten mit den neuen Antikörpern behandelt werden. Neben der aufwendigen Diagnostik vor Therapiebeginn (Liquordiagnostik, MRT, ggf. Amyloid-PET) und den Infusionen, bei denen die Patienten überwacht werden müssen, sind regelmäßige MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen zu erkennen. Dies treibt die Kosten weiter in die Höhe.
Auch aufgrund dieser Hürden wird Lecanemab in den USA seit der Zulassung nicht so häufig eingesetzt wie erwartet. Zur Diagnose der Alzheimer-Krankheit ist bisher neben der klinischen Untersuchung entweder eine Liquordiagnostik oder ein Amyloid-PET notwendig. Eine der beiden Untersuchungsmethoden muss eine krankhafte Ablagerung von Amyloid-Plaques nachweisen. Die in Deutschland übliche Liquordiagnostik ist für den Patienten unangenehm und aufwändig. Das Amyloid-PET ist nicht überall verfügbar und teuer.
Deshalb wird mit Hochdruck an neuen Methoden der Alzheimer-Diagnostik geforscht. Bluttests, die Amyloid-β sicher nachweisen, könnten die Alzheimer-Diagnostik revolutionieren. Da pathologisches Amyloid-β im Blut in viel geringerer Konzentration vorkommt als im Liquor, ist die Entwicklung solcher Tests anspruchsvoll. Dennoch sind aktuelle Ergebnisse vielversprechend (DocCheck berichtete über einen Bluttest, der bereits gute Ergebnisse zeigte).
Die Entscheidung der EMA zu Lecanemab ist allerdings noch nicht endgültig, die Hersteller Eisai und Biogen haben nach dem negativen Bescheid eine erneute Prüfung beantragt.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
EMA-Skepsis: Überraschend hat die EMA am 25. Juli 2024 das Alzheimer-Medikament Leqembi® (Lecanemab) nicht zugelassen. Trotz vielversprechender Studien, die eine Verlangsamung des Fortschreitens von Alzheimer zeigten, bleibt Europa skeptisch.
Nebenwirkungen galore: Die EMA ist nicht überzeugt, da das Medikament zwar hilft, aber auch einige Nebenwirkungen im Gepäck hat – Hirnödeme und Hirnblutungen bei bis zu 20 % der Patienten. Diese Risiken stehen in keinem guten Verhältnis zu den Vorteilen, finden die Experten.
US-Zurückhaltung: Auch in den USA, wo Leqembi® bereits zugelassen ist, herrscht Zurückhaltung. Die Therapie ist teuer, die Diagnostik aufwendig und das Gesundheitssystem nicht wirklich vorbereitet. Experten hoffen auf einfachere diagnostische Verfahren, z. B. einen Bluttest.
Bildquelle: Omar Ram, unsplash