Sollen Adenokarzinome der Prostata mit Gleason‐Grad 1 überhaupt noch Krebs genannt werden? Die einen sagen nein, um eine Übertherapie zu vermeiden. Andere warnen vor voreiligen Schlüssen. Wer hat recht?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Nach dem 2023 veröffentlichtem ProtecT-Trial entfachte eine Debatte, ob Adenokarzinome der Prostata mit einem Gleason Grade Group 1 (GGG1) in der Biopsie noch Krebs genannt werden sollen, um eine Übertherapie zu vermeiden. Nun warnen die Autoren der Mass General Brigham in einer im Juli veröffentlichten Studie zu voreiligen Schlüssen – denn es könnten mehr Patienten mit einer GGG1-Biopsie an aggressiveren Karzinomen erkrankt sein, als die Histologie vermuten lässt.
Die Daten der retrospektiven Kohortenstudie stammen von Patienten mit GGG1 und TNM-Klassifikation von T1–2 N0 M0 in der Biopsie, die am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg zwischen 1992 und 2023 eine radikale Prostatektomie (rPx) erhielten. Die Studie schloss insgesamt 10.228 Patienten ein. Davon wurden bei 9.248 Patienten eine 12-Stanzen-TRUS-Biopsie (G1) und bei 980 Patienten eine MRT-Sonofusionsbiopsie (G2) durchgeführt. Ziel war es, den Zusammenhang zwischen klinischen Faktoren bei Patienten mit GGG1 und dem Vorliegen eines Hochrisiko-Karzinom sowie der spezifischen Mortalität zu untersuchen. Als hochriskant wurden Pathologien klassifiziert, die ein GGG4 und 5, ein TNM von pT3b und 4 oder einen positiven Befall von Lymphknoten aufwiesen.
10 % der Patienten der TRUS-Kohorte erhielten in Histologie des Prostatapräparats ein hochriskantes Grading (n = 955/9.248). In der MRT-Sonofusionsbiopsie-Kohorte waren es ca. 8 % (77/980). Letztere zeigte ein signifikant niedriges Risiko, einen in der Biopsie zu niedrig eingeschätzten GGG1 zu erhalten. Als Risikofaktoren für einen zu niedrig eingeschätzten GGG1 zeigten sich ein PSA über 20 ng/dl und ein Karzinomanteil von über 50 % in den Biopsiestanzen.
Insgesamt waren beide Faktoren mit einer höheren spezifischen Mortalität unter der TRUS-Biopsie-Kohorte und einem früheren PSA-Anstieg – unabhängig vom histologischen Ergebnis in beiden Gruppen – assoziiert.
Die Forscher gehen davon aus, dass die spezifische Mortalität zu niedrig sein könnte – 0,87 % für Patienten mit einem Risikofaktor und 6,80 % für Patienten mit beiden Risikofaktoren. Es sei davon auszugehen, dass ein Teil der Patienten durch die frühzeitige rPx profitiert haben. Ohne Intervention sei eine höhere Mortalität der GGG1-Patienten zu erwarten. Ebenso überstieg die Lebenserwartung das Follow-up bei einem Teil der Patienten, sodass Sterbeereignisse nach dem Follow-up nicht in die Mortalität einberechnet wurden.
Seit 2014 sind neue Guidelines zum Gleason-Grading erschienen, sodass die Autoren anmerken, dass einige GGG1-Fälle heutzutage als GGG2 klassifiziert werden würden. Eine Analyse mit ausschließlich Patientendaten nach 2014 deckte sich jedoch mit den Studienergebnissen.
Die Ergebnisse sollen dazu führen, den Anteil der GGG1-Patienten zu identifizieren, die möglicherweise ein Hochrisiko-Prostatakarzinom haben und von einer weiteren Diagnostik sowie früheren Therapie profieren könnten. Die Autoren empfehlen beim Vorliegen eines PSA-Wertes von über 50 ng/dl und PPB > 50 % weitere molekulare und genomische Tests durchzuführen und den Patienten eine systematische Re-Biopsie anzubieten.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Quellen:
Tilki, D. et al. (2024): Mortality Risk for Patients with Biopsy Gleason Grade Group 1 Prostate Cancer. In: European Association of Urology. DOI:10.1016/j.euo.2024.06.009.
Hamdy, F. et al. (2023): Fifteen-Year Outcomes after Monitoring, Surgery, or Radiotherapy for Prostate Cancer. In: N Engl J Med 2023;388:1547–1558. DOI:10.1056/NEJMoa2214122.
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