Teil 2 | Deutsche Assistenzärzte sind unzufrieden. Ihre Ausbildung scheint ohne Plan – Arbeitsbelastung und Verantwortung sind hoch. Wie Chefärzte den Problemen begegnen, lest ihr hier.
In unserem ersten Teil haben Assistenzärzte aus ganz Deutschland berichtet, wie es bei ihnen an der Klinik um die Themen Arbeitszeit, Gehalt, Verträge und Dienste steht. Im zweiten Teil erzählen sie von der Forschung während ihrer Ausbildung, der Lehre und dem Arbeitsklima. Es berichten Laura, Raoul, Norbert, Richard und Neele. Die Namen wurden von der Redaktion geändert. Auch hier geben wir ihre Schilderungen in Auszügen wieder.
An Universitätskliniken sind das Forschen und die Lehre von Studenten ein Pflichtprogramm, das zum Ausbildungscurriculum der Assistenzärzte gehört. Laura und Norbert sind an großen Unikliniken und können ihre Eindrücke schildern. Laura erzählt: „Diese Aufgaben gehen von deiner Freizeit ab – du wirst nicht freigestellt, aber es wird erwartet, dass du sie erledigst. Es ist nicht optional.“ Sie erzählt, dass viele Assistenten nach ihren Nacht- oder Wochenenddiensten morgens noch ins Labor gehen, um zu forschen oder am Abend nach dem Arbeitstag noch Lehre für die Studenten machen. Norbert sieht die Situation pragmatisch: „Das kann man jetzt gut oder schlecht finden, es ist aber am Ende eine freiwillige Entscheidung. Deshalb würde ich das gar nicht als negativen Punkt sehen. Wer Karriere machen will, der muss auch seine Freizeit investieren.“
Vielen Assistenten fehlt für die eigene Ausbildung ein roter Faden und das Gefühl, dass diese geplant und strukturiert abläuft. Laura erzählt: „Theoretisch sollten wir alle sechs Monate einen Oberarzt zugewiesen bekommen, um Fälle zu besprechen. Aber das kam nie vor.“ Im Prinzip laufe es so: „Wenn man ein sehr unerfahrener Assistent ist, wird man eher als Hakenhalter in OPs eingesetzt. Danach geht die OP-Zeit etwas runter, weil man die Poliklinik schmeißen kann und dort alleine mehr oder weniger alle Entscheidungen treffen muss. Und erst wenn es auf die Facharztprüfung zugeht, wird gemerkt – Mist, der Assistent braucht noch OPs – und dann wird man wieder sehr viel im OP eingeteilt. Hier würde ich mir ein besseres Konzept wünschen mit Zielekatalogen für Assistenten.“
Was die eigene Lehre, also die fachliche Ausbildung angeht, berichtet Raoul: „Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich in meiner ersten Woche im Nachtdienst alleine da stand. Die Notaufnahme war proppenvoll und es kam dann noch ein Patient rein, der sich spät abends die Fingerkuppe mit seiner Flex abgeschnitten hatte. Er stand da mit einer arteriell spritzenden Blutung. Ich habe meinen Oberarzt angerufen und er meinte, dass ich das kauterisieren und irgendwie die Blutung stoppen soll. Ich wusste aber nicht einmal, wie das Gerät funktioniert oder wo es steht. […] Wenn man Nachfragen stellt, hat man direkt das Gefühl, man nervt oder fällt den Oberärzten zu Last.“
Auch Laura kennt solche Situationen aus der Chirurgie: „Nach 3 bis 4 Monaten startet man in Dienste und ist nachts alleine, der Oberarzt ist im Hintergrund. Manchmal heißt es dann am Telefon: „Probier’ das erstmal selber.“ Wir haben eigentlich alle schon mal Dinge operiert, die wir vorher noch nie operiert haben und vorher nur telefonisch ein bisschen Anleitung bekamen oder nochmal im Buch nachgelesen haben. Wenn man das einem Patienten sagen würde, dann würde der sich doch umdrehen und wieder gehen. Aber das ist eben die Realität, learning by doing – was ich in dem Bereich schon echt kritisch sehe, weil es um Menschenleben geht.“
Das sieht in der Praxis anders aus. Raoul erzählt: „Bei Sachen, wo ich mir unsicher bin, soll ich lieber nochmal jemanden draufgucken lassen, das ist erwünscht. Im Großen und Ganzen ist es in der Praxis deutlich entspannter als in der Klinik.“ Und sogar Laura sagt, sie habe das auch schon schlimmer gehört. Immerhin könnten die Assistenten jederzeit Fragen stellen, und sei es per Telefon. „Ich finde, bei uns ist es noch relativ gut. Ich glaube in anderen Fächern hat man faulere bzw. unfreundlichere Oberärzte, die einem dann auch explizit sagen „Ruf mich bloß nicht an.“ Das Gefühl habe ich bei uns nicht. Manchmal heißt es dann aber eben: „Probier’ mal selbst!.“
Richard spricht auch das Thema Fortbildungen an: „Wir haben nicht mehr die Situation, dass die Fortbildungen bezahlt werden. Wir kriegen tendenziell die Zeit dafür, die kann ich beantragen. Die Fortbildung muss ich aber dann selbst bezahlen.“
Das Kollegium scheint in fast allen Berichten sehr wertschätzend zu sein. Hier berichten viele Assistenten positiv. Laura: „Insgesamt ist bei uns unter den Assistenten echt eine gute Stimmung. Man kennt das ja, in den Sachen, die einem nicht gefallen, verbündet man sich mit seinen Leidensgenossen.“ Auch Norbert kann sich nicht beklagen: „Sehr positiv, sehr wertschätzend, insgesamt ein gutes Miteinander.“ Richard erzählt auch begeistert von der Leitung: „Die Leute geben sich bei uns viel Mühe, wir sind sehr kollegial und ein echt nettes Team drumherum. Es wird einem sehr viel geholfen. Wir haben einen sehr netten Oberarzt, der sich um meine Station mitkümmert, das ist wirklich ein kompletter Traum.“
Geht es aber um das Thema Familienplanung und Schwangerschaften, sieht es etwas anders aus. Laura erzählt: „Bei uns ist die Arbeitsmoral sehr hoch. Wir arbeiten alle 100 %, noch keiner der Assistenten hat Familie, bei den Fachärzten auch nicht, nur von den Oberärzten teilweise – aber so viele sind das ja auch nicht. Es wird einem auch teilweise zu verstehen gegeben, dass das nicht erwünscht ist in der Assistenzarztzeit. Ich glaube das würde sich keiner trauen bei uns.“
Dabei müsse das in der Personalplanung beachtet werden, findet Richard: „Wir hatten letztens Jahr zwei parallele Schwangerschaften – ohne Vertretungen. Das ist für eine knappe Belegschaft im Winter echt brutal zu tragen. Wenn jetzt noch ein Ausfall kommt, dann hast du plötzlich 50 % mehr Arbeit. Es ist ein Unding, dass sich die Schwangeren dann schämen auszufallen. Bei einer gewissen Personalgröße müsste es doch möglich sein, immer einen überzubelegen.“
Auch der Generationsunterschied mache sich bemerkbar, wie Raoul berichtet: „Es ist einerseits so, dass viele Assistenten genau diese Probleme ansprechen. Auf der anderen Seite sagen aber die Oberärzte oder Chefärzte, dass wir alle faul seien und man kein guter Arzt wird, wenn man nur eine 4-Tage-Woche macht.“ Laura bemerkt, dass sich diese Meinung auch auf ihre Kollegschaft auswirkt. „Gerade in kompetitiven Fächern wie der Chirurgie ist der eine, der sagt ‚Ich will nicht streiken, ich will lieber dem Chef in den Arsch kriechen.‘ Ich finde das schade, weil ich denke: Nur, wenn wir alle irgendwie gemeinsam zusammenhalten und die Probleme ansprechen, wird sich was ändern.“
Auch sie kritisiert sie die geringe Zahl an Ärzten, genau wie Richard: „Wir sind definitiv zu Wenige. Es kann nicht sein, dass man alleine in der Poliklinik für fast 50 Patienten am Tag zuständig ist und OPs planen soll. Ein Oberarzt fehlt im Saal und man muss alles alleine entscheiden.“ Ihr Chef habe mal gesagt: „Ich stell nur noch Ausländer ein– die beklagen sich wenigstens nicht.“ Und die würden dann ins kalte Wasser geschmissen. „Die verstehen teilweise sprachlich nicht genau, was abgeht und da leidet die Qualität der Versorgung natürlich drunter“, so Laura.
Einige Assistenten schlagen konkrete Lösungen für die Probleme vor:
Bildquelle: erstellt mit Midjourney