Schon wieder kein Orgasmus für Franz – aber woran liegt’s? Kennt ihr die Ursachen einer Anorgasmie und wisst ihr, wie ihr euren Patienten schneller zum Orgasmus verhelft?
Anorgasmie (AO) und gehemmte Orgasmen (DO) zählen zu den Orgasmusstörungen und können für Betroffene sehr belastend sein. Der Gang zum Arzt ist für viele Männer mit solch intimen Problemen schwer – vor allem dann, wenn einem keiner so richtig helfen kann.
Die Ursache für eine Orgasmusstörung zu finden, kann ein schwieriges Unterfangen sein – denn es fehlt an Erkenntnissen, Definitionen und Handlungsempfehlungen. In einem Review haben Wissenschaftler daher jetzt Faktoren herausgearbeitet und zusammengetragen, die die Entstehung einer Orgasmusstörung begünstigen können und an welchen Stellschrauben ihr drehen könnt, um euren Patienten wieder zum Orgasmus zu verhelfen.
Körperliche Ursachen gibt es laut der Wissenschaftler einige. An vorderster Front steht der Hormonspiegel – zum Beispiel das Testosteronlevel. Laut des Reviews konnte in der Vergangenheit mehrfach ein niedriges Level des Steroidhormons bei Betroffenen mit DO und AO nachgewiesen werden. Das kann nicht nur zu einer Abnahme von Lust führen, sondern auch zu Erschöpfung und Schlafstörungen, was wiederum auch die Sexualität negativ beeinflussen kann. Wenn induziert, wird ein niedriger Testosteronspiegel durch Verabreichung von Testosteron behandelt. Ist eine Orgasmusstörung das primäre Symptom des Testosteron-Defizits, könnte sich die Behandlung auch positiv auf die Anorgasmie oder DO auswirken.
Ein weiteres Hormon, das die Ausdauer des Mannes beeinflusst, ist das Thyroid stimulierende Hormon (TSH). Wird dies in abnormen Mengen produziert, wirkt sich das auf die Intravaginal ejaculation latency time (IETL) aus, also auf die Dauer der vaginalen Penetration bis zur Ejakulation und damit zum Orgasmus. Wird zu viel TSH produziert, neigen Patienten zur verfrühten Ejakulation. Bei zu niedrigen Leveln des Hormons kann es zu DO oder gar AO kommen. Eine Normalisierung des Hormonspiegels durch Medikation konnte in einer Studie erste positive Effekte erzielen. So konnte die IELT von Patienten mit hohen TSH-Leveln von 2,4 auf 4 Minuten gehoben werden, die von DO-Patienten von durchschnittlich 22 auf 7 Minuten gesenkt werden.
Eine häufige Ursache für Anorgasmie oder den verzögerten Orgasmus ist die Einnahme von Antidepressiva (42 % der AO-Patienten laut Review). Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (selective serotonin reuptake inhibitors, SSRI) können sich auf die Bildung und Freisetzung von Prolaktin auswirken und können eine Hyperprolaktinämie herbeiführen. Diese wiederum hemmt die Bildung von Testosteron – die möglichen Folgen sind AO und DO.
Die Anorgasmie bei der Einnahme von SSRI kann jedoch auch aus einer verminderten Libido resultieren, was eine häufige Nebenwirkung vieler Präparate ist. Um die Orgasmusstörung bei Einnahme von Antidepressiva zu verbessern, könnte also eine Umstellung oder Anpassung der Medikation am effektivsten sein.
Doch nicht nur die Medikamente, sondern auch die Depression selbst kann die Ursache einer Orgasmusstörung sein. Denn auch diese kann zu einer verminderten Libido, Schlafstörungen und Lustlosigkeit führen. Auch weitere psychische Faktoren wurden von den Autoren als Auslöser genannt. Darunter etwa ein unerfüllter Kinderwunsch, Traumata oder Angststörungen.
In manchen Fällen kann dann bereits eine Aufklärung der Patienten hilfreich sein – auch um Ängste zu bewältigen und Stress zu reduzieren. Insbesondere bei religiösen, ideologischen oder sozialen Ursachen kann eine Enttabuisierung des Themas euren Patienten der erste Schritt zur Bewältigung der Orgasmusstörung sein. Wird Sexualität im Umfeld tabuisiert, kann dies die Entstehung einer Anorgasmie oder von DO begünstigen. Daher ist eine Aufklärung dieser Patienten ein wichtiges Instrument. Auch eine Sexual- oder Gesprächstherapie können diesen Patienten bei der Bewältigung ihrer Orgasmusstörung behilflich sein.
Habt ihr eure Patienten schon einmal gefragt, wie häufig sie Masturbieren oder wie häufig sie Sex haben? Das wäre bei einem Anamnesegespräch bei Anorgasmie allenfalls hilfreich. Denn ein Grund für das Ausbleiben oder die Verzögerung des Orgasmus kann auch eine verminderte Sensitivität des Penis sein. Spürt Mann weniger, ist es weniger intensiv, macht weniger Spaß und der Orgasmus bleibt aus.
Eine mögliche Ursache für den Sensationsverlust könnte eine hohe Masturbationsaktivität sein. Wird der Penis überstimultiert, nimmt die Sensitivität ab – daraufhin wird die Kraft während der Masturbation erhöht und das Problem verstärkt sich. Die Stimulation beim normalen, penetrativem Sex reicht dann nicht mehr aus, um einen Orgasmus herbeizuführen.
Neben vermehrter Masturbation können aber auch operative Eingriffe Ursachen von Sensitivitätsverlust sein. Doch für unsensible Penisse gibt es einen möglichen Behandlungsansatz: Die Penile Vibrations-Stimulation (PVS). Dabei wird das Frenulum für bis zu 10 Minuten durch einen Vibrator stimuliert. Von insgesamt 36 Probanden mit Anorgasmie erlebten 72 % nach der Behandlung wieder Orgasmen. Allerdings fehlet es hier an größeren Studien mit Kontrollgruppen.
Es gibt also zahlreiche Auslöser für Orgasmusstörungen, daher müsst ihr wieder einmal eure Detektivlupe hervorholen. Denn bei der Diagnose, Ursachenfindung und Behandlung sind ein langer Atem, eure Kreativität und Teamarbeit mit anderen Disziplinen gefragt. Stellen sich Patienten bei euch vor, die Probleme haben zum Orgasmus zu kommen, werdet hellhörig und versucht so viel Informationen aus euren Patienten zu kitzeln wie möglich. Das Wichtigste beim Thema Potenz: Bietet einen sicheren Ort für eure Patienten, brecht mit Tabus, seid offen und informiert – auch abseits eurer Praxis.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney