Sulfatierte Iduronsäure könnte die Behandlung von Asthmatikern verbessern. Im Tierversuch zeigte das zufällig entdeckte, zuckerähnliche Molekül keine Nebenwirkungen. Zudem ist es einfach herzustellen und scheinbar wirksam, ein Versuch am Menschen steht allerdings noch aus.
Grund für die Atemnot von Asthmatikern sind Entzündungsreaktionen der Bronchien, die zur Schleimproduktion und zur Verengung der Atemwege führen. In den Industrie- und Schwellenländern hat die Verbreitung von Asthma in den letzten 30 Jahren stetig zugenommen. Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter der chronischen Erkrankung. Asthma ist zwar bisher nicht heilbar, aber in den meisten Fällen gut behandelbar – wenn auch manchmal Nebenwirkungen der Medikamente in Kauf genommen werden müssen. Dazu gehören beispielsweise Kopfschmerzen, Herzklopfen, Zittern und Unruhegefühl bei gängigen Behandlungsmethoden mit Salbutamol oder Heiserkeit, Mund-Soor und Gewichtszunahme unter einer Cortisonbehandlung. Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass sich die Asthma-auslösenden Entzündungsprozesse mit einem einfachen Molekül hemmen lassen. Die synthetische, zuckerähnliche Substanz scheint bisher frei von Nebenwirkungen zu sein.
Bei Entzündungsprozessen spielen die T-Lymphozyten eine wichtige Rolle, so auch bei einer Asthma-Erkrankung. Bei Asthmatikern alarmiert das Immunsystem diese Abwehrzellen in einer Überreaktion, wenn die Betroffenen in Kontakt mit Substanzen kommen, auf die sie allergisch reagieren. Die meisten T-Lymphozyten werden dabei verständigt, wenn ein Signalmolekül namens CCL20 an einen bestimmten molekularen Alarmknopf (CCR6) andockt. Damit die weißen Blutkörperchen den Notruf empfangen können, muss das Molekül CCL20 sich jedoch zunächst mit einem Molekül namens Heparan oder Heparinsulfat zusammenschließen. Dieses Molekül haben die Forscher nun versucht nachzuahmen. Heparan ist ein Kettenmolekül aus sich wiederholenden Einzelgliedern. An asthmatischen Mäusen testeten die Wissenschaftler verschiedene, synthetisch hergestellte Substanzen auf ihre Fähigkeit, statt des Heparans an das chemische Alarmsignal CCL20 zu binden. Gelingt dieser Vorgang, wird CCL20 nicht mehr von der Empfangsstation CCR6 erkannt und die Entzündungsreaktion gestoppt.
„Dass ausgerechnet die sehr einfache Iduronsäure den Signalweg blockiert, war eine Zufallsentdeckung“, sagt Peter Seeberger vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. Die Forscher waren zunächst davon ausgegangen, dass gerade dieses Molekül unwirksam sei und hatten es als Kontrolle eingesetzt, um für die Wirksamkeit der anderen Kandidaten einen Vergleich zu haben. Die anderen Testmoleküle ähnelten viel offensichtlicher dem Heparinsulfat, das gemeinsam mit CCL20 natürlicherweise den Alarmknopf CCR6 der weißen Blutkörperchen drückt: Es handelte sich wie beim Heparan um Kettenmoleküle, die deutlich schwieriger herzustellen sind als die sulfatierte Iduronsäue.
Doch warum komplizierte Moleküle herstellen, wenn es auch einfach geht? „Unser mit Sulfatgruppen geladener Einfachzucker, der so in der Natur nicht vorkommt, hemmt das Signal, das bei einem Asthma-Anfall T-Zellen rekrutiert und in die Lunge dirigiert“, so Seeberger. Neben der offenbar guten Wirksamkeit bringt das Molekül noch weitere Vorteile mit sich: Es ist einfach herzustellen und zeigte im Versuch an Mäusen keinerlei Nebenwirkungen.
Der Grundstoff für ein schonendes Asthmamedikament scheint gefunden zu sein, ganz ausgereift ist der Zuckerabkömmling allerdings noch nicht. Bevor das Molekül als Wirkstoff zugelassen werden kann, muss es weiterentwickelt werden und zahlreiche weitere Tests bestehen. „Wir müssen die Substanz noch so verändern, dass sie ausschließlich an CCL20 bindet“, erklärt Peter Seeberger. Die sulfatierte Iduronsäure heftet sich nämlich auch an andere Akteure des Immunsystems und blockiert deren Arbeit. Das könnte zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Bei ihren Versuchsmäusen konnten die Forscher zwar keine Nebenwirkungen beobachten, die Erfahrung zeigt jedoch, dass Tierversuche nicht immer eins zu eins auf den menschlichen Organismus übertragbar sind. Deshalb muss sich die sulfatierte Iduronsäure erst noch in klinischen Studien am Menschen als wirksam und nebenwirkungsfrei oder zumindest –arm erweisen. Um das zu prüfen, hat Peter Seeberger bereits Kontakt zu Medizinern aufgenommen und ist auf reges Interesse gestoßen.