Wir wissen immer noch viel zu wenig über Long- und Post-Covid. Trotzdem gibt es jetzt eine aktualisierte Leitlinie. Lest hier mehr.
SARS-CoV-2 hält uns auch vier Jahre nach seinem Aufpoppen auf Trab – mit dem noch nicht aufgearbeiteten Maskendeal, mit Neuinfektionen und vor allem mit den Spätfolgen, an denen Menschen Monate und Jahre nach einer eigentlich überstandenen Infektion laborieren.
Etwas – aber nicht viel – Licht ins Dunkel bringt die nun überarbeitete S1-Leitlinie Long/Post-Covid unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Da die Spätfolgen wie bei kaum einer anderen Krankheit den ganzen Organismus treffen können, ist die Leitlinie entsprechend interdisziplinär aufgestellt. So haben 36 Fachgesellschaften und Verbände daran mitgearbeitet. Sie sind auch für die Inhalte der entsprechenden Kapitel verantwortlich.
Long-Covid nennt man Beschwerden ab einem Monat nach der Infektion, Post-Covid ab drei Monaten, bei Kindern und Jugendlichen ab zwei Monaten. Umstritten ist, ob die Schwere der Infektion mit der Schwere der Long- und Post-Covid-Symptome zusammenhängt. So können massive Spätfolgen wie aus heiterem Himmel kommen.
Wie viele Menschen von Long- und Post-Covid betroffen sind, hängt von der betrachteten Patientenpopulation ab. So reicht beispielsweise die Schwere der Symptome von Grad 1 mit Beschwerden, die den Alltag nicht beeinträchtigen, bis zu Grad 4 mit Beschwerden, der es Betroffenen unmöglich machen, den Alltag allein zu bewältigen.
Grundsätzlich werden vier Gruppen von Patienten unterschieden:
1. Patienten mit einem Post-Intensive-Care-Syndrome, die mit den Folgen der Therapie kämpfen.
2. Patienten mit später auftretenden Folgekrankheiten wie kardiovaskulären Komplikationen, kognitiven Leistungsstörungen oder psychischen Störungen.
3. Patienten mit Fatigue, eingeschränkter Belastbarkeit und „Brainfog“.
4. Patienten mit Verschlechterung einer Erkrankung, die schon vor der Infektion bestand.
Die Leitlinie ist, wie die Autoren betonen, eher zur diagnostischen und therapeutischen „Orientierung“ gedacht, da man immer noch so wenig weiß. Völlig unklar ist etwa die Pathogenese: Spekuliert wird über bleibende Gewebeschäden nach Infektion oder Therapie, im Verborgenen überdauernde Viren oder Virenbruchstücke, Stoffwechselstörungen, chronische Entzündungen, Blutgerinnungsstörungen oder Autoimmunreaktionen.
Die Diagnose ist knifflig, weil es einerseits keine spezifischen Laborwerte, Biomarker oder andere Testverfahren gibt und weil andererseits unauffällige Laborwerte eine Diagnose nicht ausschließen. Selbst die bei Long- und Post-Covid-Patienten häufige Fatigue reicht für eine Diagnose nicht aus. Da Erschöpfung auch sonst verbreitet ist, warnt die Leitlinie ausdrücklich vor voreiligen Kausalschlüssen. Ein Kuriosum leistet sich Long- und Post-Covid allerdings: die „Covid-Zehe“, eine bläuliche, kissenartige Verdickung über dem kleinen Zeh.
Wenig überraschend kennt man bislang auch keine kausale Therapie. In klinischen Studien wird viel probiert – von Arzneien über Immunadsorption und Lipidapherese bis hin zur hyperbare Sauerstofftherapie. Überzeugt hat das alles bislang nicht, weshalb die Leitlinie von unkontrollierten Behandlungen „dringend abrät“. Was bleibt, ist nur die Behandlung der jeweiligen Symptome. Auch spezifische Reha-Maßnahmen gibt es bis dato nicht.
Hausärzten gibt die Leitlinie den guten Rat: Nach Anamnese, körperlicher Untersuchung und einer Laborbasisdiagnostik drei Monate abwarten; bei Verschlechterung Patienten an Fachärzte überweisen.
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