Dem ohnehin bescheidenen Kochsalzrenommee droht ein weiterer Schlag in die Saline – diesmal geht’s um die Prise Salz danach. Wie stark wirkt sich regelmäßiges Nachsalzen wirklich auf das Magenkrebsrisiko aus?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
„Bitte kein Salz!“ Im rheinländischen Idiom vernommen, projiziert diese Aufforderung schnell das Bild unseres kauzigen Gesundheitsministers auf die Kopfkinoleinwand. Bei jeder Gelegenheit warnt Professor Lauterbach mit Hinweis auf sein eigenes „Never-Salt-Behaviour“ vor den Gefahren des Salzeinsatzes bei Speisenzubereitung und -verzehr. Dabei fokussiert er sich auf ungünstige Wirkungen hohen Salzkonsums auf die Herzkreislaufgesundheit, Hypertension, Gefäßschädigungen und daraus resultierende Erkrankungen.
Dass ein dauerhaft hoher Salzkonsum, der deutlich über der DGE-Empfehlung von maximal 6 Gramm Kochsalz pro Tag liegt, mit den genannten Risiken einhergeht, ist trotz Fehlens eines eindeutigen Kausalitätsnachweises weitgehender Konsens in der Ernährungsmedizin. Besonders die Vorliebe für vor Salz strotzende Fertigprodukte wird in diesem Kontext kritisch bewertet. Ob Lauterbachs „No-Salt“-Diät das Maß aller Dinge ist, soll hier nicht Thema sein. Denn abseits des Diskurses um die HK-Gesundheit hat bereits 2021 eine Arbeitsgruppe der China Medical University Shenyang die salzreiche Ernährungsweise überwiegend asiatischer, für hohen Salzkonsum bekannter Bevölkerungsgruppen im Hinblick auf gastroenterologische Krebsrisiken ins Visier genommen.
Ihre Metanalyse und systematische Übersichtsarbeit mit den Daten von fast 500.000 Personen ergab eine signifikante Korrelation zwischen der Höhe der Salzaufnahme und dem Magenkrebsrisiko sowie der Wahrscheinlichkeit, daran zu versterben. Bei hohem Salzkonsum lag die statistische Risikosteigerung für Magenkrebs bei 25 % (RR 1,25, 95 % KI: 1,10–1,41), jedoch nur für asiatische Völkergruppen, die traditionell viele in salzigen Marinaden eingelegte sowie mit Soja- und anderen salzreichen Saucen gewürzte Speisen verzehren. Bei den deutlich unterrepräsentierten Studien aus Europa und den USA war dieser Zusammenhang nicht nachzuweisen. Der Verdacht einer genetischen Prädisposition bei Menschen asiatischer Abstammung stand fortan im Raum, wobei anzumerken ist, dass nicht der Salzkonsum allein, sondern auch das Nahrungsmittel eine Rolle spielte. Während etwa eine hohe Salzaufnahme über prozessiertes Fleisch und/oder eingelegte Speisen die Magenkrebsinzidenzen steigerte, war dies bei stark gesalzenem Fisch und Misosuppe nicht der Fall.
Eine weitere Metaanalyse aus 2022 von 38 Fall-Kontroll-Studien mit Daten von über 37.000 Personen aus 20 Ländern (Ost- und Mittelasien, Nord- und Südamerika, alle Regionen Europas) bestätigte die Korrelation von hohem Salzkonsum und Magenkrebsinzidenz (OR 1,55; 95 % KI 1,45–1,64). Mit dem Hinweis, dass auch hier ostasiatischen Studien (15 aus China und Korea) deutlich überrepräsentiert waren, wurde die Viel-Salz-Magenkrebs-Korrelation im Gegensatz zur vorgenannten Analyse für alle Bevölkerungsgruppen (OR Europa: 1,71, Amerika: 1,65, Asien: 1,48) ermittelt.
Die Belastbarkeit der in die vorgenannten Metaanalysen eingeflossenen Studiendaten wird durch eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren beschränkt. Das Fehlen einer einheitlichen Definition für hohen Salzkonsum, eine unzureichende Trennung zwischen dem Verzehr salzreicher Nahrungsmittel und dem oft nicht klar erfassten Nachsalzen während der Mahlzeit sowie die deutliche Überrepräsentanz von Bias-anfälligen Fall-Kontroll-Studien im retrospektiven Befragungsdesign verbieten das Ziehen kausaler Rückschlüsse. Die zudem gegebene Dominanz von Arbeiten aus dem ostasiatischen Raum mit traditionell salzreicher Ernährung motivierte eine Arbeitsgruppe vom Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien gemeinsam mit Kollegen vom Institute for Global Food Security der Queen’s Universität Belfast zu einer prospektiven Studie mit in Westeuropa beheimateten Personen. Konkret ging es um die Fragestellung: Lässt sich für westliche Bevölkerungsgruppen ein Zusammenhang zwischen häufigem Nachsalzen vom Speisen „bei Tisch“ und dem Magenkrebsrisiko nachweisen?
Die Wissenschaftler nutzen die renommierte UK-Biobank, eine der umfassendsten Datenbanken mit Gesundheits-, genetischen und Lebensstildaten sowie biologischem Probenmaterial von annähernd 500.000 Personen aus dem Vereinigten Königreich. In den in der Datenbank gelisteten Selbstauskünften zum gewohnheitsgemäßen Nachsalzen (nie/selten, manchmal, gewöhnlich, immer) bei den alltäglichen Mahlzeiten sahen die Forscher eine unkomplizierte und vergleichsweise geringen tagesaktuellen Schwankungen unterworfene Informationsquelle für das habituelle Nachsalz-Verhalten. Durch dessen Abgleich mit den über knapp 11 Jahre nachbeobachteten Magenkrebsinzidenzen wurde mittels Regressionsanalysen die Stärke der Assoziation zwischen Nachsalzen bei Tisch und dem Magenkrebsrisiko ermittelt. In weiteren Analysen untersuchte die Arbeitsgruppe den Einfluss des Nachsalzens auf die ebenfalls in der Datenbank hinterlegten Urin-Natriumkonzentrationen (punktuell und 24h) und dessen Assoziation zur Magenkrebsinzidenz. Über diese Untersuchungen sollte die Frage beantwortet werden, ob die Selbstauskünfte über die Salzzugabegewohnheiten einen qualitativ vergleichbaren Indikator für die Salzaufnahme bieten wie die wesentlich aufwendigere Bestimmung des Urin-Natriumwertes.
Von 471.144 in der Analyse berücksichtigten Personen aus Westeuropa (Ø 56 Jahre; ♀ 54 %, ♂ 46 %) entwickelten 640 (0,14 %) innerhalb der knapp 11-jährigen Nachbeobachtung ein Magenkarzinom. Geschlechts- und Ethnien-adjustiert wies die „Immer-Nachsalz-Kohorte“ eine 88 % höhere Magenkrebswahrscheinlichkeit auf (HR 1,88; 95 % KI 1,41–2,52). Nach Einzelabgleichen mit Ernährungs- und anderen Lebensstilfaktoren (Rauchen, Alkohol, Sport), mit Vorerkrankungen, mit nachgewiesener Helicobacter Pylori Infektion sowie nach Ausschluss von Magenkrebsneuerkrankungen im ersten Nachbeobachtungsjahr lagen die Risikosteigerungen des „Viel-Salzens“ im Bereich von 40 ± 5 % gegenüber dem „Nie/Selten-Salzen“:
Die Vielsalzkohorte wies im Vergleich zur Probandengesamtheit einen höheren Männeranteil, ein durchschnittlich niedrigeres Bildungsniveau, eine höhere Raucher-/Ex-Raucherquote und höheren Alkoholkonsum (≥ 16 g/Tag) auf. Die Gruppe der nur „gelegentlich“ nachsalzenden Personen zeigte Multifaktor-adjustiert keine statistische Erhöhung des Magenkrebsrisiko (HR 0,99; 95 % KI 0,82–1,19) gegenüber der „Nie/Selten-Salz-Kohorte“. Bei den „gewöhnlich“ Nachsalzenden lag die statistische Risikosteigerung Multifaktor-bereinigt bei 6 % (HR 1,06; 95 % KI 0,84–1,35).
Hinsichtlich der Tumorlokalisation zeigten sich in Abhängigkeit vom Salzkonsum keine signifikanten Häufigkeitsunterschieden zwischen Geschwüren im Bereich der Kardia und in Nicht-Kardia-Regionen. (HR 1,01/KI 0,88–1,15 versus 1,09/KI 0.93–1.27).
Die Natriumkonzentration im Urin war statistisch signifikant mit der Häufigkeit des Nachsalzens und somit auch mit der Magenkrebsinzidenz assoziiert. Damit erwiesen sich die Selbstauskünfte über das habituelle Nachsalzen als verbeichbar zuverlässige Indikatoren für die Salzaufnahme wie die deutlich aufwendigeren Messungen der urinalen Natriumausscheidung.
Die Ergebnisse der prospektiven Datenanalyse westeuropäischer Probanden bestätigen die in zahlreichen retrospektiven Studien mit asiatischen Bevölkerungsgruppen ermittelte Positivkorrelation einer hohen Salzaufnahme mit dem Risiko der Magenkrebsentwicklung. Die Möglichkeit, dass Asiaten aufgrund einer genetischen Prädisposition besonders gefährdet sind, lässt sich somit nicht bestätigen. Zumindest in UK beheimatete Menschen regieren auf hohe Salzaufnahme vergleichbar sensibel. Wenngleich die Wiener Studie einen prospektiven Ansatz verfolgt, muss einschränkend berücksichtig werden, dass auch hier einmalig erhobene Selbstauskünfte zum Salzeinsatz ein hohes „Subjektivitäts-Bias“ begründen. Überdies schafft die fehlende Quantifizierung der tatsächlichen Salzaufnahme via Salzeinsatz bei Speisenzubereitung und -verzehr sowie dem Eigengehalt der Speisen weiterer markante Unsicherheiten.
Dennoch dürfte die Empfehlung, eher sparsam mit dem Salzeinsatz umzugehen, nicht verkehrt sein. Magenkrebs ist immerhin die weltweit fünfthäufigste Krebserkrankung – mit der höchsten Prävalenz im „kulinarisch salzreichen“ Asien – und exzessiver Salzkonsum scheint durch Beschädigung der Magenmukosa die Einnistung des karzinogen-verdächtigen Helicobacter pylori zu begünstigen (Maddineni et al., Balendra et al.)
Trotz aller bis dato ermittelter Salz-Krebs-Assoziationen bleibt die Kausalitätsfrage ungeklärt. Um Ursache-Wirkung-Zusammenhänge zu ermitteln, bedarf es großer longitudinaler Interventionsstudien, was im Bereich der Ernährungsforschung allein schon wegen der Hürden beim Randomisieren, beim Verblinden und der Placebokontrolle kaum praktikabel ist. Damit bleibt die fehlende Möglichkeit, Kausalzusammenhänge allein über die im Ernährungsbereich dominierenden Beobachtungs-/Fall-Kontroll-Studien aufzudecken, sozusagen ein systemimmanentes Problem.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Salz und Krebs: Studien zeigen eine starke Verbindung zwischen hohem Salzkonsum und einem erhöhten Magenkrebsrisiko – das gilt nicht nur für Asien, sondern auch für westliche Länder.
Nachsalzen = Risiko: Nach Einzelabgleichen mit Ernährungs- und anderen Lebensstilfaktoren lagen die Risikosteigerungen des „Viel-Salzens“ im Bereich von knapp 40 % gegenüber dem „Nie/Selten-Salzen“:
Kausalitäts-Kniff: Trotz aller Salz-Krebs-Hinweise bleibt die Frage nach der direkten Ursache unbeantwortet. Der Beweis? Schwer zu erbringen, aber Vorsicht schadet sicher nicht!
Quellen
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