Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 2.986 Organe nach postmortaler Spende transplantiert, dem gegenüber steht jedoch eine Warteliste mit ca 8.700 Patient*innen.1 Zusätzlich hat sich die Spendebereitschaft in den vergangenen 10 Jahren kaum verbessert.1 Wie lässt sich das Ungleichgewicht zwischen verfügbaren und benötigten Spenderorganen beheben? Bieten Transplantate von Tieren eine Lösung? Ist ein Leben mit einem Schweine- oder Rinderherz überhaupt möglich? Lesen Sie hier mehr!
Bei der Xenotransplantation werden Zellen, Gewebe und Organe vom Tier auf den Menschen übertragen.2 Dieser medizinische Eingriff wurde zum ersten Mal im 19. Jahrhundert beschrieben, als man experimentell Haut von Schafen, Kaninchen und Hunden auf Menschen transplantierte.3 Seither haben sich die Techniken und die Auswahl der Spenderarten sowie der verwendeten Organe erheblich verbessert.4 So wurden 2022 und 2024 jeweils zum ersten Mal ein Herz bzw. eine Niere aus genetisch modifizierten Schweinen in Menschen mit akutem Herz- bzw. Nierenversagen transplantiert.4,5 Diese Eingriffe verliefen zunächst erfolgreich, jedoch verstarben die Patient*innen wenige Monate nach der Transplantation.
Trotz dieser Fortschritte gibt es noch zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen, bevor Xenotransplantationen als Standardverfahren etabliert werden können.
1. Das menschliche Abwehrsystem erkennt das fremde Organ anhand von Molekülen (Antigenen) auf der Oberfläche der Organzellen
Das menschliche Abwehrsystem erkennt fremde Organe anhand von Molekülen, sogenannten Antigenen, die auf der Oberfläche der Zellen des neuen Organs vorhanden sind.6 Diese Antigene dienen als Markierungen, die es dem Immunsystem ermöglichen, die Herkunft der Zellen zu erkennen. Sie signalisieren dem Immunsystem das Vorhandensein von Fremdkörpern, die durch Antikörper identifiziert und neutralisiert werden, so wie es bei beispielsweise Krankheitserregern wie Viren oder Bakterien der Fall wäre.7
Würde ein Schweineherz ohne spezielle Behandlungen in einen Menschen transplantiert werden, würde das menschliche Immunsystem dieses Herz sofort als Fremdkörper erkennen und abstoßen.3 Expert*innen sprechen hier von einer hyperakuten Abstoßung (Abstoßungsreaktion wenige Minuten bis Stunden nach der Transplantation und infolgedessen Verlust des Transplantats).6 Diese Reaktion ist im Vergleich zur Abstoßung menschlicher Spenderorgane in der Regel schneller und stärker, da der menschliche Körper von Anfang an Antikörper gegen Antigene anderer Arten aufweist.8 Bei menschlichen Spenderorganen ist dies in der Regel nicht der Fall – stattdessen entstehen im Zeitraum nach der Transplantation zytotoxische T-Zellen, die eine Abstoßung herbeiführen können.9
Um eine hyperakute Abstoßung zu vermeiden, werden in der Forschung Schweine gezüchtet, die diese Oberflächenantigene nicht mehr besitzen. So sollen Tierorgane nach Transplantation nicht mehr als fremdartig erkannt und abgestoßen werden.6
2. Tierische Krankheitserreger könnten beim Menschen schwere Erkrankungen hervorrufen
Eine weitere Herausforderung ist die mikrobiologische Sicherheit, also dass keine krankheitserregenden Bakterien, Pilze, Parasiten, Viren oder sogar bisher noch unbekannte Erreger durch die Transplantation übertragen werden. Durch bestimmte Maßnahmen beim Spendertier, wie z. B. Impfungen und antivirale Medikamente, können die meisten Krankheitserreger vor der Organentnahme beseitigt werden. Ganz bestimmter Krankheitserreger jedoch nicht – endogene Retroviren.6
Endogene Retroviren stellen Wissenschaftler*innen vor eine große Herausforderung. Befallen Retroviren einen Wirt, so bauen sie ihre Erbinformationen in das Genom ihres Wirts ein. Zwei sehr bekannte Retroviren sind die humanen Immundefizienz-Viren HIV-1 und HIV-2, die AIDS hervorrufen. Die integrierte Erbinformation des Retrovirus in das Wirtsgenom wird als Provirus bezeichnet. Retroviren durchlaufen keinen vollständigen Replikationszyklus, wie es andere Viren tun, sondern vermehren sich als solche integrierten Proviren durch die Zellteilung der Wirtszellen. Gelingt es einem Retrovirus seine Erbinformation in das Genom von Keimbahnzellen (Spermien- oder Eizellen) zu integrieren, ist nach der Befruchtung das retrovirale Provirus in jeder Zelle des sich entwickelnden Embryos und später des gesamten Organismus vorhanden - in diesem Fall spricht man von endogenen Retroviren.10
Die endogenen Retroviren der Schweine werden als PERV (porcine endogene Retroviren) bezeichnet.2 In Schweinen kommen drei unterschiedliche endogene Retroviren (PERV A, B and C) vor.6 „In Ruhe“ sind endogene Retroviren weniger bedenklich, problematisch wird es, wenn sie sich vermehren können – denn dann könnten sie Infektionskrankheiten verursachen.6
Bei der Transplantation eines Schweineorgans in einen Menschen besteht das Risiko, dass endogene Retroviren des Schweins übertragen werden und bei den Empfänger*innen Krankheiten hervorrufen.2,6 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Transplantationspatient*innen Medikamente erhalten, die ihr Immunsystem gezielt schwächen (Immunsuppression), um eine Organabstoßung zu verhindern.2 Die endogenen Retroviren der Schweine sind eng verwandt mit Retroviren, die bei Mäusen, Katzen oder Gibbonaffen Leukämie und Immundefizienz auslösen können.2 Daher wird vermutet, dass sie nach der Übertragung auf den Menschen ebenfalls diese Krankheiten auslösen könnten.2
Zusätzlich ist es bislang nicht gelungen, alle endogenen Retroviren aus dem Genom der Spenderschweine zu entfernen – ein Restrisiko bleibt daher weiter bestehen.2
Für die Organtransplantation vom Schwein auf den Menschen kommen nur Spendertiere infrage, deren Spenderorgane nicht die Gefahr bergen, Viruserkrankungen bei Empfänger*innen auszulösen.2
Der Lösungsansatz: Schweine mit funktionsunfähigen oder nicht infektiösen Retroviren
Lange Zeit sind Forscher*innen davon ausgegangen, dass nur die Subtypen PERV-A und PERV-B Speziesbarrieren überwinden und möglicherweise nach Übertragung auch Menschen infizieren können. Dagegen können PERV-C hauptsächlich Schweinezellen, aber nicht menschliche Zellen infizieren. PERV-C-Retroviruspartikel sind nicht vermehrungsfähig und nicht infektiös.2
Infolgedessen wurde eine Schweinerasse gezüchtet, die keine funktionsfähigen PERV A- und PERV B-Gene aufweist. Diese Rasse trägt den Namen Haplotyp SLA D/D.2 Haplotyp SLA D/D-Schweine können jedoch PERV-C-Genomträger sein.2
Erkenntnisgewinn: PERV-C ist in Zellkultur infektiös
Ein Forschungsteam des Paul-Ehrlich-Instituts hat gezeigt, dass PERV-C in Zellkultur vermehrungsfähig ist und somit ein Risiko bei Transplantationen darstellen könnte: Bei der Charakterisierung von PERV-C aus der Schweinerasse Haplotyp SLA D/D stellten die Forschenden fest, dass sich PERV-C in einem Nährmedium außerhalb des Organismus (Zellkultur) vermehrt.
Die gute Nachricht ist: Theoretisch wäre es möglich eine Schweinerasse ohne PERV-C zu züchten. Durch zielgerichtete Veränderung der DNA des Schweins kann das PERV-C-Gen ausgeschaltet werden. Wissenschaftler*innen bezeichnen dies als Knock-Out. Damit bestünde bei der Transplantation von Organen von Haplotyp SLA D/D-Schweinen (funktionsfähige PERV-A und -B fehlen) mit PERV-C-Knock-Out (funktionsfähige PERV-C fehlen) kein Risiko der Übertragung von PERV.2 Praktisch müsste dies noch nachgewiesen werden.
Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen verfügbaren und benötigen Organspenden in Deutschland.1 Xenotransplantation, die Übertragung von Tierorganen auf den Menschen, könnte Abhilfe schaffen, doch es gibt noch einige Hürden zu überwinden.6 Eine große Herausforderung sind endogene Retroviren:6 diese bergen das Risiko nach der Transplantation schwere Krankheiten im Menschen auszulösen.6 Es wurde bereits eine Schweinerasse mit funktionsunfähigen endogenen Retroviren der Subtypen PERV-A und -B gezüchtet.2
Bislang ging man davon aus, dass der Subtyp PERV-C nicht vermehrungsfähig und nicht infektiös ist.2 Aktuelle Forschungsergebnisse des Paul-Ehrlich-Instituts zeigten jedoch, dass sich PERV-C unter Laborbedingungen vermehrt, was ein Risiko bei Transplantationen darstellen würde.2 Die Identifikation des PERV-C-Genoms macht es nun möglich, durch zielgerichtete Veränderung der DNA des Schweins (Gen-Editierung) die PERV-C-Gene auszuschalten.2 So könnten in Zukunft sichere Xenotransplantationen von Schweineorganen ermöglicht werden.2
Glossar
Endogene Retroviren = Proviren, die in allen Zellen eines Organismus vorkommen
Gen-Editierung = zielgerichtete Veränderung der DNA des Schweins
Hyperakuten Abstoßung = Abstoßungsreaktion wenige Minuten bis Stunden nach der Transplantation und als Folge Verlust des Transplantats
Knock-out = vollständiges Ausschalten von Genen und der entsprechenden Funktion
Proviren = integrierte Erbinformation eines Retrovirus in der Wirts-DNA
Retroviren = Viren, die ihre Erbinformationen in die DNA ihres Wirts integrieren
Xenotransplantation = Übertragung von Zellen, Gewebe und Organe vom Tier auf den Menschen
Zellkultur = Isolierung von Zellen und anschließende Vermehrung in einem Nährmedium außerhalb des Organismus
Abkürzungen
HIV: Humanes Immundefizienz-Virus
PERV: Porcine endogene Retroviren
Quellen
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