Nicht Krankheit, sondern Schlaf: Gar nicht wenige Menschen schlafen während einer Untersuchung im Magnetresonanztomographen (MRT) ein. Das könnte die Aussagekraft der Ergebnisse verfälschen – und sollte in zukünftigen Studien berücksichtigt werden.
Mit Untersuchungen des Gehirns im Ruhezustand lässt sich die Stärke der Verbindungen zwischen den Hirnregionen erfassen. Diese so genannte Konnektivität könnte Rückschlüsse auf Veränderungen bei bestimmten Erkrankungen erlauben – zum Beispiel bei Demenz, Depression, Schizophrenie oder Epilepsie. Das typische Muster der Verbindungen korreliert zum Beispiel mit der kognitiven Leistungsfähigkeit oder mit Maßen für Gefühle. Allerdings könnte ein simpler Faktor die Ergebnisse deutlich verfälschen: Ein Forscherteam aus Kiel und Frankfurt am Main hat nun herausgefunden, dass nicht wenige Probanden während einer Untersuchung im MRT innerhalb kurzer Zeit einschlafen – und dass sich dies deutlich auf die Bilder der Gehirnfunktion auswirkt. Ihre Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift „Neuron“ erschienen.
Helmut Laufs, Neurologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel und Enzo Tagliazucchi vom Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main untersuchten zunächst 71 Probanden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT). Gleichzeitig zeichneten sie per EEG die Gehirnströme auf, um so Wachheit und verschiedene Schlafzustände zuverlässig unterscheiden zu können. Überraschenderweise stellten sie fest, dass viele Probanden innerhalb kurzer Zeit im Scanner eindösen: Nach vier Minuten war ein Drittel, nach zehn Minuten bereits die Hälfte der Teilnehmer zumindest vorübergehend in den Schlaf gefallen. Dabei zeigten sich im fMRT charakteristische Unterschiede zwischen den Wachheitszuständen des Gehirns: Im leichtem Schlaf war vor allem die Kommunikation zwischen subkortikalen und kortikalen Gehirnregionen verringert, im tiefen Schlaf zusätzlich die Verbindungen zwischen den verschiedenen Regionen des Cortex.
„Zum einen sind die Ergebnisse für uns neurobiologisch interessant – denn bisher war nicht klar, wie sich die Konnektivität zwischen den Hirnregionen im Schlaf verändert“, erläutert Laufs. „Zum anderen müssen bisherige Ruhezustandsmessungen nun kritisch betrachtet werden: Möglicherweise sind Unterschiede zwischen Patienten und Gesunden gar nicht auf krankhafte Veränderungen zurückzuführen, sondern auf einen systematischen Unterschied der Wachheit zwischen beiden Gruppen.“ Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn die Patienten müde machende Medikamente nehmen und deshalb rasch einschlafen – oder umgekehrt eher wach bleiben, weil sie bei der Untersuchung aufgeregter sind als Gesunde. Aus ihren Ergebnisse erstellten Laufs und Tagliazucchi einen Atlas der funktionellen Hirnstruktur. Er bildet typische Konnektivitätsmuster im Wachzustand, im leichten und im tiefen Schlaf ab. Mithilfe dieser Daten ließ sich der jeweilige Wachheitszustand während einer fMRT-Untersuchung auch ohne EEG zuverlässig klassifizieren. Ihr Kategorisierungssystem wendeten die Forscher anschließend auf 1147 Datensätze an, die im Internet zur Verfügung stehen – und stellten fest, dass auch hier sehr viele Probanden in den ersten zehn Minuten „in der Röhre“ einschlafen. Ein Drittel döste sogar schon innerhalb der ersten drei Minuten ein.
„Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass bei zukünftigen Ruhezustandsmessungen unbedingt der Wach- bzw. Schlafzustand berücksichtigt werden sollte“, betont Laufs. Während der Gehirnscans ein EEG mitlaufen zu lassen, sei zwar aufwändig – aber für die Aussagekraft der Ergebnisse unverzichtbar. „So kann vermieden werden, dass harmlose Schlafmuster im Gehirn als Hinweis auf eine weniger harmlose Erkrankung gedeutet werden“, sagt der Kieler Forscher. Ruhezustandsmessungen im MRT werden in den letzten Jahren immer häufiger eingesetzt. Ihr Ziel ist es, charakteristische Veränderungen der Konnektivität zu erkennen, die zur Diagnose oder Früherkennung neurologischer und psychiatrischer Krankheitsbilder beitragen könnten. Im Fokus der Forschung stehen vor allem die Alzheimer-Krankheit und die Schizophrenie. Untersucht werden aber auch andere Demenzformen, Depressionen, Autismus oder die Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS). Die Analyse der bisherigen Forschungsergebnisse zeigt jedoch, dass nur bei manchen Erkrankungen relativ konsistente Veränderungen gefunden werden – etwa bei der Alzheimer-Krankheit. Bei anderen Krankheitsbildern sind die Ergebnisse oft weniger einheitlich, zum Beispiel bei der Schizophrenie.
Dass die Wachheit einen Einfluss auf die Konnektivitätsmuster hat, sieht Laufs aber nicht nur negativ. „Wenn man dies in Zukunft berücksichtigt, kann man möglicherweise Veränderungen erkennen, die bisher übersehen wurden – zum Beispiel typische Unterschiede zwischen Gesunden und Patienten, die nur im Schlaf zu beobachten sind.“ Zudem sollte die Entmischung von Wach- und Schlafzuständen auch die Sensitivität der Untersuchungen erhöhen. Den von ihnen entwickelten Konnektivitäts-Atlas wollen Laufs und Tagliazucchi für die zukünftige Forschung zur Verfügung stellen. Im Internet verfügbare Datenbanken, etwa das „1000 Functional Connectomes Project“, könnten solche systematischen Analysen ebenfalls erleichtern.