Bei einer Patientin mit Übelkeit und Erbrechen scheint die Diagnose klar: Gastroenteritis. Doch später kommen weitere Symptome hinzu – eine lebensbedrohliche neurologische Erkrankung ist der Auslöser.
Eine 53-jährige Patientin stellt sich in der Zentralen Notaufnahme vor. Einige Tage zuvor war sie wegen Übelkeit und Erbrechen dort, es wurde eine Gastroenteritis vermutet und sie wurde entlassen. Seitdem geht es ihr immer schlechter. Sie kann nichts bei sich behalten, erbricht viermal am Tag. Hinzugekommen sind starke Kopfschmerzen, die die Patientin auf der rechten Seite hinter dem Auge lokalisiert. Außerdem habe sie Wortfindungsstörungen. Der begleitende Ehemann berichtet, dass seine Frau auf ihn einen zunehmend verwirrten Eindruck mache, sie laufe z. B. in die Küche, schaue sich planlos um und wisse nicht, was sie dort wolle.
Wesentliche Vorerkrankungen liegen nicht vor, sie nimmt keine Dauermedikation ein. In der neurologischen Untersuchung ist die Patientin zeitlich, örtlich, situativ und zur Person voll orientiert, es fällt jedoch eine psychomotorische Verlangsamung auf. Ebenso besteht eine Apraxie, die Patientin kann komplexe Bewegungsabläufe nicht umsetzen. Die Patientin gibt eine reduzierte Sensibilität der rechten Körperhälfte an. Weitere neurologische Ausfälle bestehen nicht. Die Temperatur beträgt 38,6 °C, die übrigen Vitalparameter sind unauffällig.
Aufgrund der neurologischen Symptome wird ein Schädel-CT mit unauffälligem Befund durchgeführt. Das Labor zeigt leicht erhöhte Entzündungswerte und eine mäßige Hyponatriämie. Aufgrund des enzephalitischen Syndroms mit Kopfschmerzen, Verwirrtheit und Fieber wird eine Lumbalpunktion durchgeführt, die eine erhöhte Zellzahl von 45/µl ergibt. Eine empirische antibiotische und antivirale Therapie mit Ceftriaxon und Aciclovir wird eingeleitet und die Patientin stationär aufgenommen. Am folgenden Tag liegen die Ergebnisse der Erregerdiagnostik aus dem Liquor vor. Die PCR auf HSV-1, das Herpes-simplex-Virus 1, ist positiv. Ceftriaxon wird daraufhin abgesetzt, Aciclovir bei der Diagnose einer Herpes-Enzephalitis fortgeführt. Es wird ein MRT des Schädels durchgeführt, hier zeigt sich passend zur Diagnose ein linkstemporales Ödem mit Diffusionsrestriktion (siehe Abbildung). MRT des Schädels. FLAIR-Sequenz, axiale Ebene. Signalanhebung im linken Temporallappen, passend zu einer Herpes-Enzephalitis. Credit: J. Heinemann.
Der weitere Verlauf gestaltet sich komplikationsreich, die Patientin erleidet epileptische Anfälle, im Verlauf entwickelt sich trotz anfallssupprimierender Medikation ein non-konvulsiver Status epilepticus mit fluktuierender Vigilanzminderung. Die Patientin wird intensivmedizinisch behandelt, die Ernährung erfolgt über eine nasogastrale Sonde und im weiteren Verlauf über eine PEG. Als weitere Komplikation tritt eine Aspirationspneumonie auf, die antibiotisch behandelt wird. Im Verlauf kann der Status epilepticus durchbrochen werden. Die Patientin bleibt jedoch somnolent und es besteht eine hochgradige Hemiparese rechts. Aufgrund der weiterhin bestehenden hochgradigen Einschränkungen wird sie von der Akutklinik in eine neurologische Frührehabilitation verlegt.
Die Herpes-Enzephalitis ist mit einer Inzidenz von ca. 4/1.000.000 Personen pro Jahr zwar selten, gehört aber zu den gefährlichsten neurologischen Erkrankungen überhaupt. Die Erkrankung erfordert einen raschen Therapiebeginn, um eine Heilungschance zu ermöglichen. Das Besondere an dieser Form der infektiösen Enzephalitis ist zudem, dass es mit Aciclovir eine spezifische Therapie gibt, die jedoch rasch begonnen werden muss, um wirksam zu sein.
Leitsymptome der Herpes-Enzephalitis sind Fieber, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen. Wenn die Bewusstseinsstörung quantitativ ist, ist sie in der Regel leicht zu erkennen, die Patienten machen einen schläfrigen Eindruck, antworten z. B. stark verzögert und schlafen direkt wieder ein. Die Bewusstseinsstörung kann aber auch qualitativ sein, was sich dann als Verwirrtheit und Desorientierung äußert. Auch diese Symptome deuten bei akutem Auftreten auf eine Enzephalitis hin und müssen daher rasch abgeklärt werden. Weitere häufige Symptome sind epileptische Anfälle, fokale neurologische Ausfälle und Erbrechen.
Treten Übelkeit und Erbrechen isoliert auf, wie bei unserer Patientin, bei der zunächst eine Gastroenteritis vermutet wurde, ist es unmöglich, die beginnende Enzephalitis zu erkennen. Es ist jedoch nicht bekannt, ob zu diesem Zeitpunkt nicht bereits diskrete neurologische Symptome vorlagen, die bei genauerer Abklärung einen noch früheren Therapiebeginn ermöglicht hätten.
Der sensitivste Test zum Nachweis einer Herpes-Enzephalitis ist die HSV-PCR aus dem Liquor; nur in sehr seltenen Fällen kann dieser Test in den ersten Tagen nach Symptombeginn noch negativ sein, dann sollte der Test zum definitiven Ausschluss nach einigen Tagen wiederholt werden. Die Zellzahl im Liquor ist ebenfalls meist erhöht, jedoch nicht so hoch wie bei einer bakteriellen Meningitis, sondern eher im Bereich von 50–200/µl. Das CT ist oft unauffällig, das MRT zeigt meist Auffälligkeiten im Temporallappen (Ödeme, Nekrosen, Blutungen). In jedem Fall darf bei klinischem Verdacht nicht das Ergebnis der Diagnostik abgewartet werden, es muss sofort mit der antiviralen Therapie mit Aciclovir begonnen werden. Ohne Therapie liegt die Mortalität bei 70 %, mit Therapie sinkt sie auf 20 %. Bei den Überlebenden bleiben jedoch trotz adäquater Therapie sehr häufig neurologische Residuen zurück.
Eine mögliche Ursache für das häufig schlechte Outcome könnte eine Komplikation sein, die erst in den letzten Jahren Beachtung gefunden hat. Patienten können nach Ausheilung der Herpes-Enzephalitis eine sekundäre Autoimmun-Enzephalitis entwickeln, was bei fast einem Drittel der Patienten der Fall ist. Dabei kommt es zu einer fehlgeleiteten Immunantwort, es werden Antikörper gebildet, die Hirnstrukturen angreifen. Häufig richten sich diese Antikörper gegen den NMDA-Rezeptor. Hinweise auf eine sekundäre Autoimmun-Enzephalitis können eine fehlende Besserung unter Therapie oder ein erneutes Auftreten der Symptome nach zwischenzeitlicher Besserung sein. Bei Vorliegen einer Autoimmunenzephalitis wird eine Immuntherapie z. B. mit Glukokortikoiden oder intravenösen Immunglobulinen durchgeführt. Neben der Früherkennung und dem raschen Beginn einer antiviralen Therapie ist bei der Herpes-Enzephalitis das Management der Komplikationen von entscheidender Bedeutung für ein bestmögliches Behandlungsergebnis.
Quellen:
Stahl JP, Mailles A. Herpes simplex virus encephalitis update. Curr Opin Infect Dis, 2019. doi: 10.1097/QCO.0000000000000554.
Armangue T et al. Frequency, symptoms, risk factors, and outcomes of autoimmune encephalitis after herpes simplex encephalitis: a prospective observational study and retrospective analysis. Lancet Neuro, 2018. doi: 10.1016/S1474-4422(18)30244-8.
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