Viele Ärzte halten noch immer an falschen Impf-Kontraindikationen fest, ob aus Unwissen oder Angst vor Komplikationen. Dann wird im Zweifel lieber gar nicht geimpft – mit fatalen Folgen. Wir räumen mit den Vorurteilen auf.
Ein Text von Ulrich Enzel
„Im Zweifelsfall impfen wir lieber nicht!“ Fehlende Klarheit im unübersichtlichen Spannungsfeld „Kontra- oder Indikation?“ verursacht nicht selten, dass wichtige Impfungen nicht realisiert werden – mit oftmals fatalen Folgen. Dabei ist es gar nicht schwierig, sichere Orientierung und klare Regeln auf dem fest umgrenzten Spielfeld des Impfens in der Praxis zu finden. Ein rechtliche Basis schenkendes Faktenblatt des RKI definiert richtige Kontraindikationen als: „Medizinische Ausschlusskriterien für eine Impfung mit einem bestimmten Impfstoff oder zu einem bestimmten Zeitpunkt, bzw. in einem je speziellen Lebensalter“. Und rät: (Nur) „Personen, bei denen eine richtige Kontraindikation besteht, sollten zunächst nicht geimpft werden.“ Gleichzeitig stellt das RKI fest: „Ob und wann eine Impfung durchgeführt werden kann, liegt in der Verantwortung des Arztes.“
Das RKI belässt es glücklicherweise nicht bei solchen allgemeinen Ratschlägen. Gerade zu den echten Kontraindikationen erhalten wir präzise Angaben. Als erstes sei die Problemgruppe der Patienten mit angeborener, erworbener oder medikamentös induzierter Immunsuppression aufgeführt. Bei diesen sind Lebendimpfstoffe fast grundsätzlich, zumindest in den meisten Fällen, kontraindiziert. Die weit häufiger induzierten Totimpfstoffe dagegen sind auch in den meisten dieser Fälle – zumindest gemäß den STIKO-Empfehlungen – einsetzbar.
Umfangreiche detaillierte Entscheidungshilfen für Ärzte bietet das RKI hier: vier im Bundesgesundheitsblatt 2017 bis 2020 publizierte, ausführliche und präzise Arbeitsanweisungen zum Impfen bei Patienten mit primären Immundefekten, HIV, hämatologischen und onkologischen Grundkrankheiten, sowie Autoimmunerkrankungen unter immunmodulatorischer Therapie.
Das Erscheinen dieser vier Arbeitsanweisungen hat auch mir persönlich zu absoluter Sicherheit verholfen bei den Säuglingen mit angeborener Immunschwäche, bei den an hämatologisch-onkologischen Krankheiten leidenden Kleinkindern, bei Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) im Schulkindesalter, den Diabetikern in der pubertären Krisenzeit und nicht zuletzt auf allen „pädiatrischen“ Altersstufen mit Mukoviszidose-Erkrankten.
Zum Schutz jeder zu beimpfenden Personen sind vor allem zwei richtige, wichtige echten Kontraindikationen strikt zu beachten. Zum einen potenzielle Allergien gegen Bestandteile der Impfstoffe (für viele sind Allergen-freie Alternativen erhältlich, wie z. B. Hühnerweiß-freie Präparate). Die andere, wenn es bei einer vorausgegangenen Impfung mit demselben Impfstoff zu irgendwelchen Komplikationen gekommen sein sollte. Auch sollte eine Impfung bei schweren akuten Erkrankungen erst nach vollständiger Genesung durchgeführt werden, lediglich dringende postexpositionelle Impfstoffgaben sind unabhängig vom akuten Gesundheitszustand zu verabreichen.
Ist Schwangerschaft ein Impf-Hindernis? Laut dem RKI-Faktenblatt „Impfungen in der Schwangerschaft“ stellt für die Lebendimpfstoffe gegen Masern, Mumps, Röteln, Varizellen und Dengue die Schwangerschaft eine Kontraindikation dar. Während der Schwangerschaft sollten nur empfohlene und dringend indizierte Impfungen durchgeführt werden. Viele Totimpfstoffe können aber problemlos, bevorzugt ab dem 2. Trimenon, gegeben werden. Bei der Gelbfieber-Impfung rät das Faktenblatt zu sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung. Und während der Stillzeit dürfen lediglich Dengue- und Gelbfieber-Impfungen grundsätzlich nicht durchgeführt werden. Wie dankbar sind mir erneut schwangere Mütter, wenn ihr Kinderarzt solche vermeintlichen Hindernisse kompetent zur Seite räumen kann, zum Nutzen der Schwangeren selbst, des Ungeborenen, der ganzen Familie.
Kontraindikationen, die vor allem dem Schutz des Impfenden dienen, damit z. B. Komplikationen, die in zeitlicher Koinzidenz mit Erkrankungen auftreten, nicht als falsche Kausalität einer Impfung angelastet werden, sind „akute, behandlungsbedürftige Erkrankungen (siehe Epidemiologisches Bulletin 4.2024) bis 14 Tage nach Genesung“, Ausnahme sind postexpositionelle Impfungen. Ausdrücklich als kein Impf-Hindernis werden banale, auch subfebril (< 38.5°) verlaufende Infekte benannt oder entsprechende Inkubationen! Es gilt also die Regel: Nicht akut krank = Impfung möglich! Auch die Kontraindikation: „Mit Totimpfstoffen drei, mit Lebendimpfstoffen 14 Tage vor und nach einer Operation keine Vakzination!“ dient mehr dem Schutz des Operateurs, bzw. Impfarztes. Es gibt keinerlei Studien-gesicherte Hinweise auf irgendwelche Impf-induzierten Operations-Komplikationen.
Weitere häufig v. a. Impfungen im Rahmen der Grund-Immunisierung und fällige Auffrischungen verhindernde „falsche“ Kontraindikationen sind untenstehend aufgelistet (s. auch Faktenblatt „Richtige und falsche Kontraindikationen“ des RKI vom 1.3.2023):
Abschließend sei eine besonders fatale unrichtige Impf-Kontraindikation angesprochen: die Immunisierung von Frühgeborenen. Da diese z. B. aufgrund ihrer regelhaften Immunschwäche besonders gefährdet sind, schwere Verläufe und Komplikationen durch Impf-präsentable Erkrankungen zu erleiden, sollten bei solchen Risiko-Kindern zumindest alle von der STIKO empfohlenen Impfungen, unabhängig vom Gewicht, dem „echten Alter“ seit Geburt folgend realisiert werden!
Alles klar mit echten und falschen Impf-Kontraindikationen? Ab morgen ganz gewiss kein Anlass mehr, irgendwelche anstehenden Impfungen zu verschieben, gar zu versäumen!
Bildquelle: Planet volumes, unsplash