Nachdem sich Oma Gerda die rechte Schulter gebrochen hat, fallen Zähne putzen, waschen und frisieren immer schwerer. Doch die Nachlässigkeit bei der Körperhygiene kann schnell im Krankenhaus enden. Was tun?
Da die Deutschen seit einigen Jahren immer älter und gleichzeitig immer kränker werden, spielt die Suche nach möglichen Risikofaktoren für Komplikationen wie eine längere intensivmedizinische Behandlung eine zunehmend wichtigere Rolle. Neben Klassikern wie Rauchen, Alkoholkonsum oder Medikamenteninteraktionen sollte dabei auch ein mutmaßlich trivialer Faktor nicht außer Acht gelassen werden: die tägliche Körperhygiene.
Denn was passiert, nachdem sich Oma Gerda bei einem Treppensturz die rechte Schulter gebrochen hat? Richtig! Das früher tägliche Haarewaschen und Frisieren fällt immer schwerer, und auch das Zähneputzen wird zum Kraftakt. Die Folge: Die 80-Jährige entwickelt im Laufe einiger Monate eine schwere Parodontitis, muss wiederholt beim Zahnarzt behandelt werden, und fängt sich auf einer der längeren Busfahrten zur Therapiesitzung sogar noch eine Grippe ein.
Der Zusammenhang liegt nahe: Ohne ausreichendes körperliches und geistiges Funktionsniveau ist eine gründliche Körperhygiene zur Prävention von Krankheitskomplikationen kaum möglich. Natürlich könnte im Fall von Oma Gerda Physiotherapie mit gezielten Übungen zu Aktivitäten des täglichen Lebens oder ein ambulanter Pflegedienst Abhilfe schaffen. Aber weder Physiotherapeuten noch ambulante Pflegekräfte haben ausreichend Zeit, um mit der älteren Dame in einem viel zu kleinen und nicht behindertengerechten Badezimmer ihrer Altbauwohnung das Zähneputzen mit Handicap zu erlernen.
Dass aber genau diese regelmäßige Zahnpflege hinterher den Unterschied machen kann, zeigt die von Ehrenzeller und Kollegen im Fachblatt JAMA Internal Medicine veröffentlichte Übersichtsarbeit und Metaanalyse über die Bedeutung des täglichen Zähneputzens für das Risiko einer im Krankenhaus erworbenen Lungenentzündung bei Intensivpatienten. Die Grundlage bildete eine Literaturrecherche in bekannten internationalen Datenbanken bis Anfang des Jahres 2023. Die Autorengruppe legte ihren Schwerpunkt hierbei auf randomisierte und klinische Studien mit Erwachsenen im stationären intensivmedizinischen Setting, die entweder Anleitung und Hilfestellung bei der täglichen Zahnpflege erhielten, oder sich in diesem Punkte selbst überlassen waren.
Primärer Studienendpunkt war die Häufigkeit einer im Krankenhaus erworbenen Pneumonie. Weitere Endpunkte beinhalteten die Sterblichkeit auf der Intensivstation, die Beatmungsdauer, sowie der Einsatz von Antibiotika. Obgleich einige bei der Auswertung berücksichtigten Studien methodischen Limitierungen unterlagen, zeigte sich dennoch eine deutliche Tendenz: So ging tägliches Zähneputzen mit einem reduzierten Risiko für eine im Krankenhaus erworbene Lungenentzündung einher. Da insbesondere mechanisch beatmete Intensivpatienten von diesem regelmäßigen Körperpflegeritual profitierten, empfiehlt das Forschungsteam die Berücksichtigung konsequenten Zähneputzens im Rahmen neuer Richtlinien und Präventionsprogramme.
Geht man jetzt noch einen Schritt weiter und beschränkt sich nicht nur auf die reine Körperpflege, sondern auf die Aufmerksamkeit gegenüber der eigenen Person und des eigenen Körpers, zeigt die Beobachtungsstudie von González-González und Requena mit Veröffentlichung im Mai 2023 in der Fachzeitschrift Geriatrics die positiven Effekte regelmäßig praktizierter Self Care bei noch gesunden Älteren. Dazu sollten über 100 Menschen ihre tägliche Self-Care-Praxis dokumentieren und mussten später einen kognitiven Test bestehen.
Verbrachten sie regelmäßig mehrere Stunden mit Self-Care-Ritualen – wie körperlicher Aktivität oder zur Stärkung der Selbstwirksamkeit und Selbstentwicklung – fielen die Ergebnisse bei Tests zur Aufmerksamkeit und zum Gedächtnis deutlich besser aus. Zeit für den eigenen Geist und Körper kann folglich nicht nur vor Infektionen schützen, sondern beugt im besten Fall sogar einer demenziellen Entwicklung vor.
Aber wie kann man die gestürzte und immer noch schmerzgeplagte Oma Gerda mit ihren rüstigen 80 Jahren nun dazu motivieren, täglich mehrere Stunden für die persönliche Entwicklung und die Körperpflege aufzubringen? Da, wie eingangs beschrieben, weder Physiotherapeut noch Pflegehelferin dies leisten können, bleibt erstmal nur die Hilfe zur Selbsthilfe. Vielleicht kann sich die Dame vom ambulanten Pflegedienst zumindest bei den ersten Terminen einmal ein bisschen mehr Zeit nehmen und das Zähneputzen mit der älteren Frau üben. Der Physiotherapeut gibt vielleicht ein paar Tipps und informiert auch die Enkelin, die ihre Oma sowieso dreimal die Woche besucht.
Einmal sensibilisiert, könnte die Familie von Oma Gerda also ein stärkeres Auge auf sie werfen, für ausreichend Material zur Körperhygiene sorgen und die Dame immer wieder zur Selbstfürsorge motivieren. So sorgt das familiäre Zusammenrücken nicht nur für schöne Momente im oftmals stressigen Familienalltag, sondern kann die Oma im besten Fall auch vor einer Lungenentzündung und Vergesslichkeit bewahren.
Quellen:
Ehrenzeller et al. Association Between Daily Toothbrushing and Hospital-Acquired Pneumonia: A Systematic Review and Meta-Analysis. JAMA Intern Med, 2024. doi: 10.1001/jamainternmed.2023.6638.
González-González et al. Practices of Self-Care in Healthy Old Age: A Field Study. Geriatrics, 2023. doi: 10.3390/geriatrics8030054.
Bildquelle: Henrik Lagercrantz, Unsplash